Der deutsch-französische Motor ermöglichte viele wichtige Durchbrüche in der Entwicklung der EU, doch in den letzten Jahren scheint er etwas an Zugkraft verloren zu haben. Kann ein neuer Élysée-Vertrag die Partnerschaft wiederbeleben? In einer Serie von Gastartikeln antworten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und
Wissenschaft hier auf die Frage, welche Rolle die deutsch-französische Zusammenarbeit in der EU künftig spielen kann. Heute: Christophe Arend. (Zum Anfang der Serie.)
- „Bundestag und Assemblée Nationale, die Herzkammern der deutsch-französischen Beziehungen, haben ihre Ideen für einen neuen Elysée-Vertrag schon vorgestellt.“
Die
deutsch-französische Freundschaft ist ein historisches Geschenk.
Seit Jahrzehnten arbeiten Deutschland und Frankreich als Partner und
Freunde eng miteinander zusammen. Nach 55 Jahren ist es wichtig,
diese Freundschaft
für die Herausforderungen der Zukunft zu wappnen. Nicht nur für
Deutschland und Frankreich, sondern auch für Europa und die Welt.
In
diesem Jahr feiern wir den 55. Geburtstag des Elysée-Vertrages.
Als Konrad Adenauer und Charles de Gaulle diesen Vertrag 1963
unterzeichneten, bewiesen sie politischen Pioniergeist. Die beiden
Staatsmänner beendeten die Erbfeindschaft zwischen Deutschland und
Frankreich und legten den historischen Grundstein für die
deutsch-französische Freundschaft. Bis heute stützen sich die
deutsch-französischen Beziehungen auf die Grundpfeiler dieses
Vertrages: eine enge bilaterale Zusammenarbeit, eine ausgeprägte
zivilgesellschaftliche Dimension und konkrete gemeinsame Initiativen
für Europa. Es sind diese Elemente, die diese Beziehung zu einer der
engsten bilateralen Freundschaften der Welt werden ließen. Noch
heute gilt daher das magische Rezept des Elysée-Vertrages.
Mit
Blick auf eine europäische Einigung wusste man schon damals, dass
diese ohne eine nachhaltige Annäherung zwischen Deutschland und
Frankreich unmöglich ist. Der Vertrag sah deshalb regelmäßige
Regierungskonsultationen diesseits und jenseits des Rheins vor. Über
die Jahre ist daraus eine enge politische Zusammenarbeit gewachsen.
Stellvertretend für diese werden häufig die sogenannten
„deutsch-französischen Paare“ genannt. Eine Vielzahl politischer
Projekte und Kooperationen konnte so entstehen. Nicht nur in
Deutschland und Frankreich.
Deutschland
und Frankreich als Vermittler
Mit
der fortschreitenden europäischen Integration, wurde auch die zweite
Funktion der deutsch-französischen Beziehung immer deutlicher: als
Vermittler. Bis heute gilt die Regel, dass ein europäischer
Kompromiss immer dann am wahrscheinlichsten ist, wenn Paris und
Berlin eine gemeinsame Position einnehmen. Deutschland und Frankreich
gelten daher als Wegbereiter vieler europäischer Kompromisse und
Projekte. Im Dienste Europas und in steter Zusammenarbeit mit ihren
europäischen Partnern wurden unsere beiden Länder zu wichtigen
Impulsgebern in der Europäischen Union.
Dass
diese politische Zusammenarbeit auch außerhalb der EU zum Tragen
kommt, wird immer wieder in internationalen Krisensituationen
deutlich. Deutschland und Frankreich engagieren sich daher auch
bilateral in vielen internationalen Organisationen. Nicht selten
fungieren beide Länder auch hier als Vermittler, wie zum Beispiel
bei der Lösung des Konflikts um die ukrainische Halbinsel Krim.
Eine
Freundschaft nicht nur der Regierungen, sondern der Völker
Zu
dieser politischen Zusammenarbeit gehört seit Beginn an eine starke
zivilgesellschaftliche Dimension. Eine Vielzahl deutsch-französischer
Organisationen verbindet die Bürgerinnen und Bürger. Zahlreiche
Städtepartnerschaften, Schüleraustausche, Jugendbegegnungen etc.
füllen die Freundschaft mit Leben. Seit 1963 sind die
deutsch-französischen Beziehungen nicht nur eine Sache der
Regierungen. Vielmehr handelt es sich um eine vollumfängliche
Völkerfreundschaft. Schon Adenauer und de Gaulle hatten verstanden,
dass es für eine nachhaltige Aussöhnung wichtig ist, auch die
Bürger zu begeistern.
Diese
Dimensionen bilden also den Rahmen unserer Beziehungen. Dass diese zu
einem Erfolgsmodell der Geschichte wurden, liegt auch daran, dass sie
stets mit konkreten Projekten verbunden wurden. Es ging dabei nie nur
um die deutsch-französische Aussöhnung und die Sicherung des
europäischen Friedens, sondern auch um ganz konkrete Initiativen.
Nach dem Krieg war dies vor allem der wirtschaftliche Wiederaufbau
und die Positionierung im Kontext des Ost-West-Konflikts. Mit der
fortschreitenden europäischen Integration war es sodann wichtig,
Europas Einigung den Weg zu ebnen und die wirtschaftliche Integration
voranzutreiben. Seit einigen Jahren schon gehört auch immer wieder
die Lösung internationaler und europäischer Krisen zur Tagesordnung
der deutsch-französischen Freundschaft.
Herausforderungen
der Zukunft
Diese
drei Komponenten bilden das magische Rezept des Elysée-Vertrages. Es
ist diese erfolgreiche Konstellation, die wir dem Pioniergeist der
Gründungsväter unserer Freundschaft verdanken. Dieses historische
Erbe unserer Freundschaft sollte uns stets bewusst sein.
Allerdings
ist die Welt von heute nicht mehr die gleiche wie die im Jahre 1963.
Beziehungen müssen daher immer zu weiterentwickelt und an die
Herausforderungen der Zukunft angepasst werden. Der Deutsche
Bundestag und die Assemblée Nationale haben hierzu am 22. Januar
2018 eine gemeinsame Resolution verabschiedet. Darin stellen wir als
Parlamentarier unsere Vorstellungen für eine Weiterentwicklung
unserer Beziehungen vor. Auch Emmanuel Macron hat seine europa- und
deutschlandpolitischen Vorstellungen bereits vorgestellt. Der Ball
liegt nun im Spielfeld der Regierungen, die noch im laufenden Jahr
einen neuen Elysée-Vertrag ausarbeiten wollen.
Ein neuer Elysée-Vertrag:
innovativ, progressiv und inklusiv
In
einer Welt, die vermeintlich mehr denn je durch internationale Krisen
und das Erwachen populistischer Strömungen geprägt ist, müssen wir
unsere Beziehungen für die Zukunft wappnen. Auch für die
europäische Integration im Zeitalter des Brexit und
nationalistischer Gegenbewegungen wären frische Impulse
wünschenswert. Deutschland und Frankreich müssen daher mehr denn je
konkrete Projekte vereinbaren. Der bewährte Geist des
Elysée-Vertrages und die Schlüsselfunktion der
deutsch-französischen Freundschaft für den europäischen Frieden
sind noch heute wichtig, sie reichen aber nicht mehr aus. Wir müssen
den Bürgern wieder deutlich machen, worin der Mehrwert eines
geeinten Europas in einer mehr und mehr fragmentierten, aber auch
immer vernetzteren Welt liegt.
Bundestag
und Assemblée Nationale, die Herzkammern der deutsch-französischen
Beziehungen, haben ihre Ideen für einen neuen Vertrag schon
vorgestellt. Am 22. Januar 2018 haben beide Parlamente eine
gemeinsame
Resolution verabschiedet.
Diese Resolution übernimmt bewährte Praktiken und öffnet Wege für
eine vertiefte Zusammenarbeit.
Konkrete
neue Projekte
Ganz
konkret soll zum Beispiel die Zusammenarbeit in den Grenzregionen
vereinfacht werden. Die Eurodistrikte
sollen mit eigenen Kompetenzen ausgestattet und die
grenzüberschreitenden Kooperationen noch tiefergehend gestaltet
werden können. Die deutsch-französischen Grenzräume könnten somit
zu Laboren werden, in denen neue Formen der Zusammenarbeit
ausprobiert werden könnten, um sie danach auf ganz Deutschland bzw.
Frankreich und gegebenenfalls auch andere europäische Regionen auszuweiten.
Zudem
wurden konkrete politische Projekte vereinbart. So sollen unsere
beiden Länder in wirtschaftlichen Fragen noch enger
zusammenarbeiten. Im Zeitalter von Digitalisierung und Big Data
müssen Deutschland und Frankreich eine Vorreiterrolle einnehmen. Auf
lange Sicht soll ein integrierter deutsch-französischer
Wirtschaftsraum entstehen.
Auch
in der schon weit entwickelten deutsch-französischen Kultur- und
Jugendarbeit fordern wir als Parlamentarier Weiterentwicklungen. So
soll ein deutsch-französischer Praktikantenstatus geschaffen werden,
der Austausch in der beruflichen Bildung gestärkt und die Anzahl von
Schülern, die die Sprache des Partnerlandes erlernen, erhöht
werden. Außerdem sollen insgesamt zehn deutsche Kulturzentrum
mithilfe von Kooperationen zwischen Institut Français und
Goethe-Instituten geschaffen werden.
Europäische
Initiativen
Neben
diesen konkreten bilateralen Projekten, sieht die Resolution auch
europäische und internationale Initiativen vor. In naher Zukunft
soll zum Beispiel der durch die neu
geschaffene Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO)
gewonnene Handlungsrahmen in der EU-Außenpolitik gemeinsam genutzt
werden. Darüber hinaus haben wir vereinbart, dass Deutschland und
Frankreich wichtige Impulse für eine europäische Digitalunion geben
sollen und die EU zu einem weltweit führenden Akteur im
Innovationsbereich werden soll. Auch die Wirtschafts- und
Währungsunion soll vertieft werden und die Abstimmung in Fragen von
Migration und Integration noch effizienter werden. Außerdem
unterstützt die Resolution ausdrücklich die von Präsident Macron
für das Jahr 2018 angekündigten consultations citoyennes. Auf
dem internationalen Parkett fordern wir die Regierungen zu einer
engen Zusammenarbeit im Klimaschutz auf. Generell sollen sich die
Außenpolitiker beider Länder regelmäßiger austauschen.
Die
gemeinsame Resolution von Bundestag und Assemblée Nationale ruft
also zu einer Reihe von konkreten deutsch-französischen Projekten
auf. Es handelt sich dabei einerseits um bilaterale Initiativen, aber
auch um europäische Impulse und internationale Anliegen. Es ist nun
an den Regierungen, diese Vorschläge in einem neuen Elysée-Vertrag
festzuschreiben.
Die Parlamente als Herzkammern
der Freundschaft
Dass
diese maßgeblichen Vorschläge von den Parlamenten und nicht den
Regierungen ausgingen, beweist einmal mehr den Grad der
deutsch-französischen Freundschaft. In einer Zeit, in der in Berlin
noch über eine neue Koalition verhandelt wurde, haben Bundestag und
Assemblée Nationale ihre Arbeit gemacht und Vorschläge erarbeitet.
Es wird daher wieder deutlich, dass die deutsch-französischen
Beziehungen nicht nur eine Sache der Regierungen sind, sondern die
gesamte Gesellschaft, und damit auch die Parlamente, umfassen. Die
Parlamente sind die Herzkammern unserer Freundschaft.
Daher
haben Bundestag und Assemblée Nationale neben der Resolution noch
ein Parlamentsabkommen beschlossen. Zur konkreten Ausgestaltung
wollen beide Parlamente eine Arbeitsgruppe aufstellen. Die
grundlegenden Punkte wurden allerdings schon vereinbart.
So
sollen die parlamentarischen Prozedere angeglichen und regelmäßig
gemeinsame Sitzungen und Debatten durchgeführt werden. Die beiden
Parlamente wollen die deutsch-französischen Beziehungen künftig
noch intensiver begleiten und diskutieren. Beabsichtigt ist zudem die
Benennung von Abgeordneten als mitwirkungsberechtigte Mitglieder, die
an den Sitzungen des Europaausschusses des jeweils anderen Parlaments
mit Sitz- und Rederecht teilnehmen können sollen.
Der
Ball liegt nun bei den Regierungen
Auch
zwischen Bundestag und Assemblée Nationale wurden also zahlreiche
Projekte vereinbart. Die parlamentarische Stimme in den
deutsch-französischen Beziehungen wird daher in Zukunft noch lauter
und wegweisender sein. Als Parlamentarier haben wir viele Ideen für
unsere Freundschaft.
Die
Parlamente haben ihre Ideen für die Zukunft der
deutsch-französischen Freundschaft also schon vorgestellt. Mit
diesen Ideen und Impulsen können die deutsch-französischen
Beziehungen für die Zukunft gewappnet werden. Die Parlamente werden
sich dafür einsetzen, dass zeitnah ein neuer Freundschaftsvertrag
ausgearbeitet wird. Dies liegt allerdings zunächst an den
Regierungen in Paris und Berlin.
Auch in Zukunft ein Erfolgsmodell
Ich
bin zuversichtlich, dass die deutsch-französische Freundschaft nicht
nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Zukunft ein
Erfolgsmodell ist. Mit den Bürgern treiben wir konkrete bilaterale
Projekte voran und geben wichtige Impulse für die europäische
Integration.
Ich bin überzeugt davon, dass
die Aufgaben der Zukunft zu groß und komplex sind, als dass sie ein
Staat alleine lösen kann. Der Grad der politischen und
gesellschaftlichen Verflechtung zwischen unseren Ländern ist heute
schon historisch einmalig. Um die Zukunft aktiv gestalten zu können,
muss diese in einigen Bereichen allerdings noch enger werden. Auch
eine Stärkung der EU ist in vielen Politikbereichen unerlässlich.
Wenn wir daran arbeiten, können wir gemeinsam optimistisch in die
Zukunft blicken.
Christophe
Arend (LREM) ist Vorsitzender der Deutsch-Französischen Freundschaftsgruppe in der Assemblée Nationale.
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Die Zukunft des „deutsch-französischen Motors“ in der EU
1: Serienauftakt
2: Deutschland und Frankreich: Gemeinsam in die Zukunft ● Christophe Arend
3: Raus aus der Komfortzone: Deutschland und Frankreich in der Pflicht ● Claire Demesmay
4: Frankreich, Deutschland und Europa: Über einige Konstanten deutscher Außenpolitik und ihre Bedeutung heute (1) ● Stefan Seidendorf
5: Frankreich, Deutschland und Europa: Über einige Konstanten deutscher Außenpolitik und ihre Bedeutung heute (2) ● Stefan Seidendorf
6: Europa neu denken: Wir brauchen einen deutsch-französischen Impuls für die europäische Erneuerung ● Sabine Thillaye
7: Die deutsch-französische Allianz ist nichts Unvergleichliches ● Christel Zunneberg [DE | EN]
1: Serienauftakt
2: Deutschland und Frankreich: Gemeinsam in die Zukunft ● Christophe Arend
3: Raus aus der Komfortzone: Deutschland und Frankreich in der Pflicht ● Claire Demesmay
4: Frankreich, Deutschland und Europa: Über einige Konstanten deutscher Außenpolitik und ihre Bedeutung heute (1) ● Stefan Seidendorf
5: Frankreich, Deutschland und Europa: Über einige Konstanten deutscher Außenpolitik und ihre Bedeutung heute (2) ● Stefan Seidendorf
6: Europa neu denken: Wir brauchen einen deutsch-französischen Impuls für die europäische Erneuerung ● Sabine Thillaye
7: Die deutsch-französische Allianz ist nichts Unvergleichliches ● Christel Zunneberg [DE | EN]
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