Die Union stattet sich mit den erforderlichen Mitteln aus, um ihre Ziele erreichen und ihre Politik durchführen zu können.
Es
war nur ein kurzer Schlagabtausch, den der Präsident des
Europäischen Parlaments, Antonio Tajani (FI/EVP), und einige
hochrangige deutsche Politiker Anfang dieser Woche austrugen – und
doch kann er einige Hinweise geben, was von der Europapolitik einer
möglichen künftigen Jamaika-Koalition zu erwarten ist. Am Montag
forderte Tajani ab 2021 eine Verdoppelung
des Haushalts der Europäischen Union durch die Erschließung neuer
Einnahmequellen wie einer europaweiten Finanztransaktionssteuer.
Am Dienstag lehnten verschiedene deutsche Politiker diesen Vorstoß
ab. Besonders scharf wurde dabei Christian Lindner (FDP/ALDE), dem Ambitionen auf das Amt
des Bundesfinanzministers nachgesagt werden: Die EU sei „kein Staat, sondern ein
Staatenverbund“ und müsse deshalb weiterhin „durch Beiträge der
Mitgliedsstaaten“ finanziert werden. „Nur so behalten wir die
demokratisch notwendige Kontrolle.“
Was ist davon zu halten?
Haushaltsverhandlungen
für die Zeit ab 2021
Zum
Hintergrund: Mit seinem Vorstoß bezog sich Tajani auf eines der
großen Themen, mit denen die EU in den nächsten Jahren konfrontiert
sein wird, nämlich die Verhandlungen für den neuen mehrjährigen
Finanzrahmen ab 2021. In diesem Finanzrahmen wird für einen
Zeitraum von mindestens fünf Jahren die Obergrenze für das
EU-Budget festgelegt. Aktuell sind das rund 140 Milliarden Euro
jährlich, knapp 1 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts.
Parallel
zum mehrjährigen Finanzrahmen wird außerdem ein neuer
Eigenmittelbeschluss
verabschiedet, in dem die Einnahmequellen der EU geregelt sind.
Derzeit sind dies die sogenannten „traditionellen Eigenmittel“
(vor allem Zölle), die „Mehrwertsteuer-Eigenmittel“ (eine
europaweit einheitliche Mehrwertsteuer in Höhe von 0,3%) sowie vor
allem die „auf dem Bruttonationaleinkommen basierenden Eigenmittel“.
Diese BNE-Eigenmittel, die heute rund drei Viertel der
Gesamteinnahmen der EU ausmachen, werden auf Grundlage der nationalen
Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten berechnet und aus dem
nationalen Steueraufkommen bezahlt. In den Medien werden sie deshalb
oft auch als „nationale Mitgliedsbeiträge“ bezeichnet.
Sowohl
der mehrjährige Finanzrahmen als auch der Eigenmittelbeschluss
müssen von den Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen werden, und da
es dabei um sehr viel Geld (und letztlich auch um sehr viel Macht)
geht, zählen die Verhandlungen darüber traditionell zu den
schwierigsten und langwierigsten überhaupt. Für die Zeit ab 2021
kommen allerdings noch einige zusätzliche Herausforderungen hinzu.
Die Brexit-Finanzierungslücke
Die
erste dieser Herausforderungen betrifft den Brexit. Als eines der
reicheren EU-Länder war das Vereinigte Königreich bislang ein
europäischer Nettozahler. Mit seinem Austritt entsteht deshalb eine
Finanzierungslücke von jährlich etwas mehr als 10 Milliarden Euro,
die die EU irgendwie schließen muss.
Gleichzeitig
sind die finanziellen Anforderungen und Erwartungen an die EU in den
letzten Jahren immer weiter gestiegen. So soll die EU wachsende
Aufgaben bei der Kontrolle der europäischen Außengrenzen und im
Bereich der inneren Sicherheit übernehmen; Investitionen aus dem
EU-Haushalt sollen den
Breitbandausbau fördern, europaweit
das Wirtschaftswachstum ankurbeln und Mitgliedstaaten
bei Strukturreformen helfen; eine intensivierte
europäische Entwicklungspolitik in Afrika soll Fluchtursachen
bekämpfen, ein
europäischer Verteidigungsfonds soll gemeinsame Rüstungsprojekte
fördern, und womöglich erhalten künftig alle
18-jährigen Bürger gratis Interrail-Tickets auf Kosten der EU.
Zusätzliche
Aufgaben erfordern ein höheres Budget
Die
meisten dieser Aktivitäten sind unter ökonomischen Gesichtspunkten
durchaus sinnvoll: In vielen Fällen ist es schlicht billiger und
effizienter, Aufgaben einmal gesamteuropäisch zu erfüllen als 27
Mal getrennt auf nationaler Ebene. Natürlich gibt es andere
Bereiche, in denen die EU durchaus Sparpotenzial hat – etwa die
seit langem viel
kritisierte Gemeinsame Agrarpolitik. Insgesamt aber führt kein
Weg an dem Kernargument von Antonio Tajani vorbei: Wenn die EU in
vielen Politikfeldern immer mehr Tätigkeiten übernehmen soll, dann
braucht sie auch ein höheres Budget.
Tatsächlich
signalisierte die deutsche Bundesregierung für diese Position in der
Vergangenheit auch schon Verständnis. So erklärte Außenminister
Sigmar Gabriel (SPD/SPE) im vergangenen März, dass die
Bundesregierung in
der nächsten europäischen Haushaltsdebatte etwas „Unerhörtes“
tun solle, nämlich „statt für eine Verringerung unserer
Zahlungen an die EU zu kämpfen, die Bereitschaft zu signalisieren,
sogar mehr zu zahlen.“
Uneinigkeit
unter den Jamaika-Parteien
Allerdings
wird Gabriels SPD der nächsten Bundesregierung voraussichtlich nicht
mehr angehören, und unter den Parteien des Jamaika-Bündnisses, die
derzeit eine Koalition sondieren, gehen die Meinungen zu dieser Frage
auseinander. Im europapolitischen
Wahlkompass, der vor der Bundestagswahl auf diesem Blog erschien,
unterstützten nur die Grünen (EGP) einen höheren deutschen
Beitrag, um „die Brexit-Finanzlücke zu schließen“. Die CDU/CSU
(EVP) gab sich in dieser Frage neutral, will aber, dass neue
europäische Aufgaben „soweit wie möglich durch Umschichtungen im
EU-Haushalt finanziert werden“. Lindners FDP (ALDE) schließlich
lehnt zusätzliche finanzielle Mittel völlig ab und setzt
stattdessen auf „konsequente Haushaltsdisziplin“ und
„Sparsamkeit“ der EU.
Was
dies für die Europapolitik einer möglichen Jamaika-Koalition
bedeutet, steht fürs Erste in den Sternen. In dem zuletzt
bekannt gewordenen Sondierungsstand ist nur vage von einem
„angemessenen deutschen Beitrag“ und einer
„Gesamtmittelausstattung der EU, so dass sie die ihr übertragenen
Aufgaben sachgerecht erfüllen kann“, die Rede. Und die massive
Ablehnung, auf die Tajanis Vorstoß in CDU/CSU und FDP gestoßen ist,
stimmt jedenfalls pessimistisch.
Reform
des Eigenmittel-Systems
Der
Brexit und die Finanzierung neuer Aufgaben sind allerdings nicht die
einzige Herausforderung, die die Verhandlungen über die nächste
Haushaltsperiode so besonders macht. Auch das Eigenmittelsystem steht
auf dem Prüfstand und soll 2021 gründlich überarbeitet werden.
Dabei geht es insbesondere um das große Gewicht, das die
BNE-Eigenmittel heute an den Gesamteinnahmen ausmachen. Tatsächlich
wurden die „nationalen Mitgliedsbeiträge“ in den 1980er Jahren
zunächst nur eingeführt, um angesichts sinkender Zolleinnahmen die
traditionellen Eigenmittel zu ergänzen. Dass ihr Anteil am Budget
immer weiter wuchs, gilt heute aus zwei Gründen als problematisch:
● Zum einen veränderte sich dadurch die öffentliche Wahrnehmung des
EU-Haushalts: Zwar heißt es in Art.
311 AEUV ausdrücklich, dass die EU sich selbst
„mit den erforderlichen Mitteln aus[stattet], um ihre Ziele
erreichen und ihre Politik durchführen zu können“. Durch den
Fokus auf nationale Mitgliedsbeiträge ist diese Idee einer
gemeinschaftlichen Finanzierung gemeinsamer Politiken jedoch in den
Hintergrund geraten. Stattdessen wird in den Medien meist darüber
diskutiert, welches Land wie viel Geld in den EU-Haushalt einzahlt
und daraus zurückbekommt – und gerade in den reichen
„Nettozahler“-Ländern geht damit implizit oder explizit oft der
Anspruch einher, größere politische Mitspracherechte zu haben
als die „Nettoempfänger“.
● Zum anderen tragen die BNE-Eigenmittel selbst auch nur wenig zur
Umsetzung der politischen Ziele der EU bei. Sie dienen dazu, der EU
Geld zu verschaffen, und sie sind (wegen der stärkeren Belastung
reicherer Staaten) einigermaßen gerecht. Eine ökonomische oder
ökologische Steuerungswirkung geht von ihnen jedoch nicht aus.
Europäische
Unternehmens- und Ökosteuern?
Bereits
kurz nach Verabschiedung des letzten Eigenmittelbeschlusses 2014
setzten die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und
der Ministerrat deshalb eine gemeinsame Arbeitsgruppe
unter dem Vorsitz des früheren italienischen Ministerpräsidenten
Mario Monti (parteilos) ein, die Vorschläge zu neuen
europäischen Einnahmequellen entwickeln sollte. Anfang 2017 legte
diese Gruppe ihren Abschlussbericht
vor, in der sie eine Reihe von möglichen neuen Eigenmitteln
präsentierte (deutschsprachige Kurzversion hier).
Der Hauptfokus lag dabei zum einen auf binnenmarktbezogenen
Eigenmitteln, etwa in Form einer europäischen Unternehmens- oder
Finanztransaktionssteuer. Zum anderen sprach sich die Monti-Gruppe
für umweltbezogene Eigenmittel aus, zum Beispiel eine CO2-Abgabe
oder eine Abgabe auf fossile Energieträger.
Diese
neuen Eigenmittel hätten zum einen den Vorteil, dass sie eine
Steuerungsfunktion erfüllen und zu einem besseren Funktionieren des
Binnenmarkts, zur Bekämpfung von Steuervermeidung und zum
Klimaschutz beitragen. Zum anderen könnten sie die Vorstellung
überwinden, dass der EU-Haushalt aus „nationalen Beiträgen“
finanziert wird und immer auf die einzelnen Mitgliedstaaten
heruntergebrochen werden kann: Eine europäische Ökosteuer würden
nicht „die Deutschen“ oder „die Franzosen“, sondern eben die
Verbraucher fossiler Energieträger bezahlen – ganz egal, wo in
Europa diese ansässig sind.
In den Jamaika-Sondierungen kein Thema
In
der Kommission und dem Europäischen Parlament stießen diese
Vorschläge der Monti-Gruppe Anfang des Jahres grundsätzlich auf
Zustimmung. Die deutschen Jamaika-Sondierer scheinen über dieses
Thema bislang allerdings überhaupt nicht gesprochen zu haben: In den
bekannt gewordenen Sondierungsständen wird die Eigenmittel-Reform jedenfalls mit keinem
Wort erwähnt.
Dass
Christian Lindner nun so nachdrücklich auf den BNE-Eigenmitteln
beharrt (und ihm in diesem Punkt anscheinend auch kein anderer
Teilnehmer der Sondierungsgespräche öffentlich widersprochen hat),
deutet jedoch darauf hin, dass die nächste Bundesregierung bei der
Reform der europäischen Einnahmequellen eher im Lager der Bremser
stehen wird.
„Demokratische
Kontrolle“?
Noch
problematischer als diese Blockadehaltung allein ist allerdings, wie Lindner
sie begründet – nämlich mit der „demokratisch notwendigen
Kontrolle“, die nur bei einer Finanzierung durch „Beiträge der
Mitgliedsstaaten“ gewährleistet sei. Dieses Argument geht gleich
in doppelter Hinsicht am Thema vorbei.
Denn
zum einen handelt es sich bei den BNE-Eigenmitteln in Wirklichkeit
eben nicht um „nationale Beiträge“: Sie werden zwar aus dem
Steueraufkommen der Mitgliedstaaten finanziert, sind aber formal
nicht Teil des nationalen Haushalts, sondern stehen unmittelbar der
EU selbst zu. Würde ein nationales Parlament die Auszahlung des
nationalen Beitrags an die EU verweigern, würde es rechtswidrig
handeln. Eine „demokratische Kontrolle“ der EU-Eigenmittel findet
schon jetzt nur über den EU-Ministerrat statt, wo allerdings jede
nationale Regierung ein Vetorecht hat.
Lindner
argumentiert am Thema vorbei
Nun
habe ich selbst vor einigen Jahren auf diesem Blog beschrieben, warum
es aus meiner Sicht demokratisch
wünschenswert wäre, diese nationalen Vetorechte abzuschaffen.
Im Monti-Bericht aber – und das ist der andere Grund, weshalb
Lindners Argument ins Leere läuft – ist davon überhaupt keine
Rede. Vielmehr legte die Monti-Gruppe großen Wert darauf, dass sich
all ihre Vorschläge innerhalb der derzeitigen EU-Verträge
verwirklichen lassen. Entsprechend will sie auch die Einstimmigkeit
im Ministerrat nicht antasten, die nach Art.
311 und 312
AEUV für den Eigenmittelbeschluss und den mehrjährigen
Finanzrahmen nun einmal vorgesehen ist.
Und
auch Antonio Tajani meint mit seiner Forderung nach „europäischen
Steuern“ offensichtlich nur einen anderen Typ von Einnahmen, nicht
ein neues Verfahren. Christian Lindner, der deutscher Finanzminister
werden will, hat einen zentralen Vorschlag zur europäischen Eigenmittelreform also
nicht nur brüsk vom Tisch gewischt – er tat dies zudem mit einem
Argument, das mit dem Vorschlag selbst nicht das Geringste zu tun hat.
Nun
ist es sicher richtig, dass Tajanis Äußerungen nur ein politisches
Vorgeplänkel waren und es bis zu den eigentlichen Verhandlungen über
den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen noch eine Weile dauern wird.
Doch für die Europapolitik der nächsten Bundesregierung und die
Qualität der europapolitischen Debatte in Deutschland lässt die
kurze Auseinandersetzung der letzten Tage nichts Gutes erahnen.
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