Update, 5. Oktober 2016: António Guterres hat bei der sechsten Probeabstimmung keine Gegenstimmen erhalten. Der Sicherheitsrat wird ihn deshalb am morgigen Donnerstag offiziell als neuen Generalsekretär vorschlagen. Die vollständigen Ergebnisse der Abstimmung sind hier zu finden.
Die
Entscheidung rückt näher: Am morgigen Mittwoch findet im
UN-Sicherheitsrat die nächste Probeabstimmung über die Wahl des
neuen Generalsekretärs statt, und die Erwartung ist hoch, dass
danach nicht mehr allzu viele folgen werden. Zum einen drängt ein
wenig die Zeit, da das Mandat des derzeitigen Amtsinhabers Ban
Ki-moon zum 31. Dezember ausläuft und sein Nachfolger (oder seine
Nachfolgerin) zuvor noch die Möglichkeit haben soll, sich einige
Wochen auf das Amt vorzubereiten. Zum anderen hält Russland, bisher der größte Blockierer einer Einigung, im
Oktober die monatlich rotierende Präsidentschaft im Sicherheitsrat.
Man kann davon ausgehen, dass es die
Verhandlungen nun von dieser Einflussposition aus zu Ende führen
will, sodass noch in diesem Monat mit einem Ergebnis zu rechnen ist.
Vetodrohungen werden deutlich
Um
zum neuen Generalsekretär gewählt zu werden, benötigt ein Kandidat
die Stimmen von mindestens neun der fünfzehn Mitglieder des
Sicherheitsrats; außerdem darf keines der fünf ständigen
Mitglieder – USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien –
ein Veto einlegen. Zuvor finden aber noch sogenannte straw polls
statt, also
unverbindliche Probevoten, die die Stimmung im Sicherheitsrat
ausloten sollen.
Die
Abstimmung morgen ist bereits der sechste
solche straw poll seit
Ende Juli. Von den
fünf bisherigen
unterscheidet er sich jedoch dadurch, dass die Stimmzettel der fünf
ständigen Mitglieder diesmal farblich gekennzeichnet sind. Dadurch
wird deutlich, welchen Kandidaten ein Veto droht – oder ob einer
von ihnen bereits die Unterstützung aller fünf Vetomächte genießt,
die er für den offiziellen Wahlgang benötigt. (Für einen Überblick
über das gesamte Verfahren und die Ergebnisse der bisherigen
Probeabstimmungen siehe
hier.)
Ohne
Veto wäre der Sieger klar: António Guterres
Ohne
die Veto-Regelung freilich stünde der Sieger längst fest. Der
frühere portugiesische Regierungschef und UN-Hochkommissar für
Flüchtlinge, António Guterres (PS/SI-PA), erreichte bei
allen bisherigen Probeabstimmungen elf oder zwölf
Unterstützungsstimmen und lag damit jeweils auf dem ersten Platz.
Mehr noch: Bei dem letzten straw poll Ende
September war er der einzige von allen
Kandidaten, der auf die
neun Stimmen kam, die
für die Wahl notwendig sind. An
seiner Fähigkeit, das Amt auszufüllen, gibt
es keine ernsthaften Zweifel, und
auch
bei den UN-Mitarbeitern genießt er große Unterstützung. Nichts
läge näher, als ihn möglichst bald auch offiziell
zum neuen Generalsekretär zu wählen – wenn es das Vetorecht
nicht gäbe.
Denn
schon seit längerem hält sich das Gerücht, dass eine der beiden
Gegenstimmen, die Guterres in den letzten straw polls
erhielt, von
der russischen Regierung
stammt. Diese hat erst jüngst
zum wiederholten Mal erklärt, dass sie als nächsten
UN-Generalsekretär einen
Osteuropäer sehen will. Begründet
wird das damit, dass von den
fünf
UN-Regionalgruppen (Afrika, Asien, Lateinamerika, Osteuropa sowie
Westeuropa und der Rest
der Welt) nur Osteuropa noch
niemals den Generalsekretär gestellt hat. Darüber
hinaus wäre Guterres aber
auch der erste Generalsekretär, der aus einem NATO-Mitgliedstaat
stammt – für die russische
Regierung zweifellos ein
Grund mehr, ihn abzulehnen.
Russlands
Favoriten
Schon
eher nach dem russischen Geschmack wären der Serbe Vuk
Jeremić
(parteilos)
und der Slowake Miroslav
Lajčák
(SMER/SI),
die bei der letzten Probeabstimmung auf dem zweiten und dritten Rang
landeten. Mit jeweils acht Unterstützerstimmen waren sie die
einzigen Kandidaten neben Guterres, die im Sicherheitsrat insgesamt
mehr Zustimmung als Ablehnung erhielten.
Allzu
gute Chancen dürften sie jedoch nicht haben. Denn
sollte Guterres tatsächlich an einem russischen Veto scheitern, so
dürften sich
wohl
die
USA, Frankreich
und Großbritannien
dafür
revanchieren,
indem sie auch
die russischen Favoriten durchfallen lassen.
Hinzu
kommt, dass Jeremić
und Lajčák
jeweils auch persönlich einiges dazu beigetragen haben, um die
westlichen Vetomächte zu verärgern. So
wehrte sich
Jeremić
als
serbischer Außenminister (2007-12)
vehement gegen die Unabhängigkeit des Kosovo; während seiner
Amtszeit als Präsident der UN-Generalversammlung 2012/13 verglich
er die Kosovaren gar mit den mörderischen Orks aus der
Hobbit-Sagenwelt. Auch
wenn Jeremić
sich
zuletzt als entschlossener UN-Reformer präsentierte und sich damit
auch die
Unterstützung des Wall
Street Journal sicherte,
dürfte es ihm schwerfallen, diese verbalen Aggressionen wieder
vergessen zu machen.
Ein
slowakisch-russischer
Deal
Der
slowakische Außenminister Lajčák
wiederum
stand nach dem zweiten straw
poll mit
nur zwei Unterstützerstimmen schon einmal auf dem letzten Platz der
Kandidatenliste
– ehe sein
Premierminister
Robert Fico (SMER/SI) sich
mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin (ER/–) traf
und sich recht
offen für ein Ende der Handelssanktionen aussprach, die die EU
infolge der Ukraine-Krise gegen Russland verhängt hat.
Im
Gegenzug sicherte Putin Fico öffentlich
zu,
dass er Lajčák
unterstützen
werde, was
dann noch einige weitere Länder im
Sicherheitsrat mitzog.
Dass
die USA, oder auch Frankreich und Großbritannien, sich auf diesen
slowakisch-russischen Deal einlassen werden, darf man aber wohl
getrost ausschließen. Selbst
wenn Lajčák
auf
die notwendigen neun Stimmen kommen sollte, dürfte er deshalb
am Nein der westlichen Vetomächte scheitern.
Bulgariens
Kandidatinnenwechsel
Das
große Thema der letzten Tage war aber ohnehin eine ganz andere
Kandidatin: nämlich die Bulgarin Kristalina
Georgieva (GERB/IDU),
derzeit Vizepräsidentin der Europäischen
Kommission.
Anfang des Jahres war Georgieva noch daran gescheitert, für ihre
Kandidatur die Unterstützung ihrer nationalen Regierung zu sichern.
Stattdessen hatte Bulgarien die
derzeitige UNESCO-Generaldirektorin Irina
Bokova (BSP/SI-PA)
nominiert,
die schon zuvor
immer wieder als
Favoritin für das UN-Generalsekretärsamt
genannt
worden war.
Allerdings
stieß Bokova auf unerwartet
heftigen
Widerstand der USA, die ihr vorwerfen, 2011
den Beitritt Palästinas zur UNESCO unterstützt zu haben. Und
auch in den ersten straw
polls schnitt
sie schlechter ab als erwartet: Zuletzt
erreichte sie nur noch die Zustimmung von sechs
Sicherheitsratsmitgliedern, während sieben sie ablehnten. Ende
September wechselte
die bulgarische Regierung
daraufhin
ihre Kandidatin aus und unterstützt
nun offiziell
Georgieva.
Bokova
bleibt
zwar auf
eigene Faust weiterhin
im
Rennen, dürfte
aber keine realistische Chance mehr auf das Amt haben.
Kristalina
Georgieva: ideale Kompromisskandidatin?
Doch
die
Nominierung Georgievas hatte noch eine weitere, etwas
merkwürdige Vorgeschichte.
Schon
Anfang September hatte es nämlich Gerüchte
gegeben, nach denen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU/CDI-IDU) sich für Georgievas Kandidatur stark mache. Auf einem
G20-Treffen in China habe sie in einem informellen Gespräch mit
Vladimir Putin die Unterstützung der russischen Regierung gesichert.
Außerdem seien Kroatien, Ungarn und Lettland bereit, Georgieva
selbst zu nominieren, falls die bulgarische Regierung sich nicht zu
einem Kandidatinnenwechsel entschließen würde.
Für
kurze Zeit sah es deshalb so aus, als könnte Georgieva die
ideale Kompromisskandidatin sein. Zum
Teil wurde zwar kritisiert, dass sie bisher noch niemals
ein Amt im UN-System
innegehabt
hat.
An
internationaler Erfahrung aber
mangelt
es ihr bestimmt nicht: Immerhin arbeitete sie
von
1993 bis 2010
für
die Weltbank
und
war seitdem Mitglied der Europäischen Kommission. Auch
ihr aktueller Arbeitsschwerpunkt in der Kommission, wo sie für
das Ressort Haushalt und Personal zuständig
ist, ist ein Pluspunkt – ist doch die Personalpolitik
des UN-Sekretariats eines
der großen Themen für eine Reform der Vereinten Nationen.
Ein
harsches Dementi
Dass
Georgieva eine Frau ist und aus Osteuropa stammt, erfüllt zudem die
Forderungen der starken Interessengruppen, die diese
Merkmale als wichtigste Kriterien für die Generalsekretärswahl
sehen. Könnte
sie tatsächlich auf die Unterstützung Russlands zählen,
so wäre sie sicherlich die
stärkste Konkurrentin von António Guterres.
Doch
ob
sie diese Unterstützung hat, ist alles andere als sicher. Auf
die Gerüchte Anfang September reagierte die russische Regierung
jedenfalls mit einem
ungewöhnlich
harschen Dementi: Der deutsche Versuch, Bulgarien zu einem
Kandidatinnenwechsel zu bewegen, sei „inakzeptabel“; die
Behauptung, dass Russland das unterstützen würde, sei „gelogen“.
Und
auch als Bulgarien den Schritt vor wenigen Tagen schließlich
vollzog, machte die
russische Regierung ihre
Unzufriedenheit deutlich.
Die
wahrscheinlichste Lösung ist ein Kuhhandel
Die
Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass bei der Probeabstimmung morgen
kein einziger Bewerber
ohne
Vetodrohung davonkommt. Im
Mittelpunkt steht dabei, ganz wie zu Zeiten des Kalten Krieges, ein
West-Ost-Gegensatz: Die Kandidaten, die die USA, Großbritannien und
Frankreich unterstützen, werden von Russland abgelehnt – während
die Kandidaten, die für Russland akzeptabel wären, auf mindestens
ein westliches Veto stoßen würden.
Zum
Teil wird deshalb bereits spekuliert, dass die Suche nach einem neuen
UN-Generalsekretär in die Nachspielzeit gehen und Ban Ki-moons
Mandat bis
in das Jahr 2017 ausgedehnt werden könnte. Sogar
krasse
Außenseiter
machen
sich noch Hoffnungen auf das Amt: etwa der
frühere australische Premierminister Kevin Rudd (ALP/PA), der
bislang noch überhaupt nicht als Kandidat in Erscheinung getreten
war.
Wahrscheinlicher
ist aber wohl immer noch, dass es zuletzt zu einer Einigung kommt,
bei
der Russland seinen Widerstand gegen Guterres (oder Georgieva)
aufgibt und
dafür an anderer Stelle Zugeständnisse erreicht – sei es bei der
Besetzung anderer hochrangiger Ämter im UN-System oder bei der
Formulierung der nächsten
Syrien-Resolution. Dass
Russland derzeit im Sicherheitsrat den Vorsitz hat,
könnte, wie gesagt, einem solchen Kuhhandel durchaus förderlich
sein.
Machtspiele der Veto-Staaten statt öffentlicher Argumente
Doch
wie
auch immer das Gerangel zwischen
den Großmächten
schließlich endet, ein
Verlierer steht jetzt schon fest: Von
der Hoffnung
auf ein strukturierteres,
transparenteres
und letztlich auch gerechteres Verfahren,
die
mit dieser
Generalsekretärswahl verbunden
war,
ist nicht viel übrig geblieben. Gewiss:
Anders als in früheren Jahren stellten
sich alle Kandidaten diesmal einer Anhörung in der
Generalversammlung, bei
der sie öffentlich ihre Visionen für die Zukunft der Vereinten
Nationen präsentierten. Auch die nachnominierte Kristalina Georgieva
kam
nicht um diese Prozedur herum.
Am
Ende
aber hängt
auch diese
Wahl eben nicht an
den öffentlich
ausgetauschten Argumenten
der Kandidaten, sondern
am
Veto der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Der
transparente Teil des Verfahrens war spätestens
nach der dritten Probeabstimmung vorüber,
als eine klare Mehrheit für António Guterres deutlich
wurde.
Alles,
was wir seitdem erleben, sind
diplomatische
Machtspiele,
in
denen die
Veto-Staaten
ihre
nationalen Eigeninteressen verteidigen.
Aber
vielleicht wird es ja 2021 besser.
Am kommenden Dienstag, 11. Oktober, diskutiere ich ab 11 Uhr in einem Online-Hangout mit Tim Richter über das neue Verfahren und aktuelle Entwicklungen bei der Generalsekretärswahl. Tim Richter betreibt für die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) das Blog #YourNextSG. Das Hangout wird dort erst live und später als Aufzeichnung zu sehen sein. Mehr Informationen hier.
|
Bild: By European Parliament/Pietro Naj-Oleari [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
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