29 August 2016

Elect the Council: Die globale Sicherheit braucht einen reformierten UN-Sicherheitsrat

Das neue Verfahren bei der Wahl des UN-Generalsekretärs zeigt: Reformen der Vereinten Nationen sind, trotz allem, möglich. In einer Serie von Gastartikeln antworten hier Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf die Frage: Wenn Sie eines an der Funktionsweise der UN ändern könnten, was wäre es? Heute: Jakkie Cilliers und Nicole Fritz. (Zum Anfang der Serie.)

„Ein Sicherheitsrat ohne Legitimität ist ohne Reformen in seiner Zusammensetzung und Arbeitsweise dem Risiko ausgesetzt, umgangen zu werden oder vollständig außer Acht zu geraten.“
Die Bürger der Welt haben ein sehr reales Interesse daran, eine effektive, koordinierte Antwort auf Bedrohungen der globalen Sicherheit zu gewährleisten. Wenn man Terrorismus, globalen Epidemien, Ressourcenarmut, Klimawandel und Internetkriminalität keinen Einhalt gebietet, werden sie Leben zerstören, menschliche Sicherheit und Menschenrechte gefährden und die Erfolge des letzten halben Jahrhunderts zunichte machen. Eine vernetzte Welt, die diesen Bedrohungen gegenübersteht, braucht einen wirksamen und zuverlässigen UN-Sicherheitsrat. Aber ein Sicherheitsrat ohne Legitimität und Glaubwürdigkeit – ohne Reformen in seiner derzeitigen Zusammensetzung und Arbeitsweise – ist dem Risiko ausgesetzt, umgangen zu werden, mit anderen Machtzentren konkurrieren zu müssen oder schlimmstenfalls sogar vollständig außer Acht zu geraten.

Die Initiative Elect the Council (EtC), jetzt etwas mehr als zwei Jahre jung, ist ein Projekt des Institute for Security Studies, einem führenden afrikanischen Thinktank in Fragen der menschlichen Sicherheit. Sie schlägt die Einrichtung einer breiten Allianz von interessierten Parteien vor, um die Reform des Sicherheitsrats voranzutreiben. Dazu gehören die Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen, die Wirtschaft, Akademiker und Staaten, die verstehen, dass eine koordinierte globale Führung sich den Herausforderungen von heute und morgen stellen muss, dass diese Führung gerecht, repräsentativ und effektiv sein muss, und dass die Regierungen allein bis jetzt nicht in der Lage waren, eine solche Reform herbeizuführen.

Wir brauchen eine breite Allianz von Reformunterstützern

Wir erkennen an, dass ein reformierter Sicherheitsrat nicht für sich allein schon eine Garantie für eine effektivere Institution ist. In der Praxis erfordert die Reform ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, gleichzeitig die Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrats zu verbessern, das verheerende Repräsentationsdefizit bei seiner Zusammensetzung zu überwinden und die Realitäten der Machtverteilung im 21. Jahrhundert anzuerkennen. Auch können die Reformbemühungen nicht die Lehren ignorieren, die sich aus der Geschichte des Sicherheitsrats in den letzten siebzig Jahren ergeben.

Aber ein Reformprozess, der von einer breiten Allianz gleichgesinnter Einzelpersonen und Institutionen vorangetrieben und dessen Umsetzung später von dieser Allianz überwacht würde, könnte einen transparenteren Prozess in Gang setzen und Staaten empfänglicher dafür machen, was die Allianz als Bedrohungen des internationalen Friedens und Sicherheit wahrnimmt. Wenn erfolgreich, würde eine solche Kampagne die politischen Kosten für Einzelstaaten erhöhen, die die Anliegen der Allianz ignorieren.

Ein detaillierter Vorschlag

In den letzten Jahrzehnten gab es unzählbare Versuche der Sicherheitsratsreform. Mit Ausnahme von 1965, als die Anzahl der nicht-ständigen Mitglieder erweitert wurde, war kein Versuch erfolgreich, und es gibt wenig Hoffnung, dass sich das während der laufenden zwischenstaatlichen Verhandlungen in der UN-Generalversammlung in New York ändert, die derzeit zwischen unvereinbaren nationalen Positionen festgefahren sind. Der Mangel an Legitimität des Rates führt dazu, dass auch die übrigen Institutionen nicht reformiert werden können und das UN-System insgesamt nach und nach an Handlungsfähigkeit verliert.

Die Sicherheitsratsreform ist ein Bereich, in dem allseitige „grundsätzliche“ Unterstützung immer wieder an den Klippen des Details zerschellt. Viele Staaten sind ganz zufrieden damit, sich hinter dieser Uneinigkeit zu verstecken, da der Status quo ihnen die Möglichkeit zum Trittbrettfahren gibt. Um dies zu verhindern, ist EtC detailliert und spezifisch. Die Prinzipien, die die Initiative leiten, sind folgende:

Weltmächte müssen im Rat vertreten sein

1. Nicht alle Staaten sind gleich, was ihre Rolle und ihren möglichen Beitrag für Frieden und Sicherheit betrifft, und der künftige Sicherheitsrat muss die Machtverteilung berücksichtigen, die sich herausbildet. Langfristige Vorausschauen zur Machtverteilung, die eine Kombination unterschiedlicher Faktoren berücksichtigen, lassen alle eine dreigeteilte globale Struktur erwarten. Die erste Gruppe besteht aus zwei (vielleicht drei) Weltmächten (USA, China und vielleicht Indien). Mit großem Abstand folgen als zweite Gruppe weitere Staaten wie Brasilien, Indonesien, Korea, Japan, der Türkei, Russland, Deutschland, Großbritannien, Frankreich usw. – wobei eine integrierte EU natürlich ebenfalls die Bedingungen erfüllen könnte, um zur Elite der globalen Mächte zu zählen. Die dritte Gruppe wird von der Mehrzahl der Staaten gebildet, die einen sehr viel geringeren Anteil an der Macht hat.

Angesichts dieser großen Disparitäten ist EtC der Meinung, dass die oberste Schicht globaler Mächte in einem reformierten Rat vertreten sein muss. Ein Sicherheitsrat ohne diese globalen Mächte könnte ignoriert oder umgangen werden. Wir sehen deshalb eine Mitgliederkategorie vor, durch die Staaten (oder Staatenbünde), die 6% der globalen Wirtschaftsleistung, 6% der globalen Verteidigungsausgaben und 3% der globalen Bevölkerung umfassen, automatisch das Recht haben, im Rat vertreten zu sein, solange sie diese Kriterien erfüllen. Diese Staaten oder Staatengruppen haben außerdem ein verstärktes Stimmrecht, indem ihre Stimme dreifach zählt.

Gleichberechtigte Vertretung aller Weltregionen

2. In einer komplexen Welt arbeiten die UN zunehmend mit und durch Regionalorganisationen und richtet ihre Interessen notwendigerweise an Regionalmächten aus, die eine wichtige Rolle in ihrem jeweiligen geografischen Raum spielen. Deshalb sehen wir eine Kategorie für Regionalmächte vor, bestehend aus Staaten, die für eine einmal verlängerbare Amtszeit von fünf Jahren in den Sicherheitsrat gewählt werden. Jede der fünf Regionalgruppen, die derzeit die nicht-ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats wählen, würden einen regionalen Staat für je 22 ihrer Mitglieder wählen.

3. Eine dritte Kategorie von 16 rotierenden Sitzen komplettiert die Zusammensetzung des Rates. Jede Region würde für je 22 ihrer Mitglieder zwei Staaten in den Sicherheitsrat wählen dürfen. Diese Sitze würden für eine Amtszeit von drei Jahren ohne unmittelbare Wiederwahlmöglichkeit vergeben. Auf diese Weise würde der Rat eine proportionale Repräsentation aller Weltregionen auf gleichberechtigter Grundlage sicherstellen.

4. Zusammen mit den ersten beiden Sitzkategorien würde der reformierte UN-Sicherheitsrat also aus 24 gewählten Staaten plus zwei oder drei globalen Mächten bestehen.

Zwanzigjährige Übergangsphase

5. EtC schlägt vor, die ständigen Sitze (und das Vetorecht) abzuschaffen und den Rat im Verlauf einer 20-jährigen Übergangsphase schrittweise zu normalisieren. Dadurch würde die Zusammensetzung und Arbeitsweise des Sicherheitsrats den großen globalen Machtverschiebungen folgen, die derzeit stattfinden. Während der 20-jährigen Übergangsphase würden die derzeitigen ständigen Mitglieder weiterhin im Rat vertreten sein und verstärkte Stimmrechte, aber kein Vetorecht besitzen. Daneben wären im Rat 16 weitere Staaten vertreten, die für jeweils drei Jahre gewählt würden (wie oben beschrieben), sowie fünf Länder, die für fünf Jahre gewählt sind (anstelle der acht Fünfjahressitze nach Vollendung der Reform).

Dies liegt daran, dass vier der ständigen Mitglieder (China, Großbritannien/Frankreich und Russland) bereits in drei Regionalgruppen vertreten sind. Nach der 20-jährigen Übergangsphase würde die Zahl der Staaten, die für fünf Jahre gewählt sind, auf acht steigen.

Mindestanforderungen für die Mitglieder

6. Der UN-Sicherheitsrat ist das einzige Exekutiv- und Legislativorgan, das für die Sicherstellung des internationalen Friedens und Sicherheit zuständig ist. Staaten, die im Rat vertreten sind, sollten deshalb die Ressourcen, Erfahrung und globale Präsenz haben, um einen bedeutenden Beitrag zu Frieden und Sicherheit zu leisten. Zu diesem Zweck schlagen wir vier Basis- oder Mindestanforderungen vor – obwohl wir denken, dass die Durchsetzung dieser Kriterien am besten den regionalen Wahlgruppen selbst überlassen sein sollte.

Im Einzelnen sind die Kriterien: (a) Erfahrung und Fähigkeit, (b) gute Finanzbeziehungen mit den UN und ihren Agenturen, (c) die Bereitschaft, zusätzliche Finanzbeiträge zu UN-Bemühungen im Bereich Frieden und Sicherheit zu leisten, die von der Generalversammlung festgelegt werden, (d) Respekt für eine offene, inklusive und verantwortungsvolle Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und internationale Menschenrechtsstandards.

Wiederherstellung der Legitimität des Rates

7. Ähnlich wie nach dem jetzt angewandten Verfahren würden die Regionen Staaten für die 24 gewählten Sitze nominieren, aber die formale Abstimmung darüber in der Generalversammlung stattfinden. Dieses Arrangement erlaubt es jeder Region, die Wahl so zu gestalten, wie sie selbst möchte – sei es in Form von Kampfabstimmungen oder nach einem Rotationsprinzip.

8. Das System der proportionalen Repräsentation, das im erweiterten Rat gelten würde, führt zu einer gerechteren Repräsentation der Regionen und würde die Legitimität des Rates und der UN wiederherstellen. Zudem sollte die Kategorie der gewählten Regionalmächte die Dynamik zwischen Regionalmächten und anderen Staaten in der Region verändert. Gruppen von Staaten mit besonderen Repräsentationsbedürfnissen, etwa die Arabische Gruppe oder die Kleinen Insel-Entwicklungsländer (Small Island and Development States, SIDS), würden ermutigt, gruppenübergreifende Arrangements zu treffen, um eine angemessene Repräsentation im reformierten Rat sicherzustellen.

Anreize für die jetzigen ständigen Mitglieder

9. Um den Wandel zu erreichen, ist es wichtig, Anreize für die jetzigen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats zu schaffen. In einem reformierten Rat würde die Stimme aller gewählten Staaten nur einfach gewichtet, die Stimme der Weltmächte hingegen dreifach. Während der 20-jährigen Übergangsphase würden die Stimmen der ständigen Mitglieder zunächst fünffach gewichtet (1.-5. Jahr), dann vierfach (5.-10. Jahr), dreifach (11.-15. Jahr) und schließlich doppelt (16.-20. Jahr) – wobei die Stimmen der Staaten, die die Weltmacht-Kriterien erfüllen (Bevölkerung, Wirtschaftsleistung und Verteidigungsausgaben) niemals weniger als dreifach zählen würden.

10. Es ist wichtig, Hindernisse zu überwinden, die den Fortschritt bremsen könnten. Wir schlagen vor, dass der derzeitige UN-Sicherheitsrat bis zu fünf spezifische Themen definiert, die während der Übergangszeit auf Eis gelegt werden. In diesen fünf Bereichen würden für eine Phase von zwanzig Jahren nach dem Inkrafttreten der Generalversammlungsresolution zur Änderung der UN-Charta keine weiteren Kapitel-VII-Entscheidungen erlassen werden, außer dem Erhalt oder der Beendigung existierender Beschlüsse. Ein Beispiel könnten das Beharren der USA auf Angelegenheiten sein, die Israel/Palästina betreffen, oder auch der Konflikt um das Südchinesische Meer. Auf diese Weise könnten umstrittene Themen, die die Reform blockieren könnten, von der Agenda des reformierten Sicherheitsrats entfernt werden.

Verfahrensblockaden lösen

11. Die Einrichtung eines regelmäßigen Überprüfungsverfahrens für den UN-Sicherheitsrat würde die Möglichkeit schaffen, in Zukunft weitere Verbesserungen vorzunehmen, und eine Wiederholung der jetzigen Blockadesituation verhindern. Eine verpflichtende periodische Überprüfung der Sicherheitsratsverfahren, die alle 30 Jahre stattfindet, sollte deshalb in die Reform der UN-Charta mit eingeschlossen werden.

12. Zusätzlich zu all dem würde die überarbeitete UN-Charta Verfahren beinhalten, die verhindern, dass der Sicherheitsrats von einer Handvoll seiner Mitglieder durch Verfahrensfragen blockiert werden kann. Dadurch sollten ausstehende Fragen wie die Geschäftsordnung des Rates (die bis heute nur provisorisch ist) zügig abgeschlossen werden können. Die UN-Generalversammlung und der Internationale Gerichtshof würden die Möglichkeit bekommen, Verfahrensblockaden zu lösen.

13. All diese Vorschläge würden in einer einzigen Reform der UN-Charta zusammengefasst.

Elect the Council: die nächsten Schritte

Bis Mitte 2016 hat Elect the Council verschiedene Versionen dieser Vorschläge in Treffen mit der Zivilgesellschaft, Thinktanks und Regierungsvertretern in Berlin, Brüssel, London, Pretoria, Johannesburg, Oslo, Stockholm, Nairobi, Abuja, Seoul, New Delhi, Addis Abeba, Ankara, New York, Beijing und anderswo präsentiert und diskutiert.

Als nächste Schritte will EtC eine formale Koalition von Einzelpersonen und Gruppen in einer Kampagne zur Sicherheitsratsreform zusammenführen und vorbereitende Treffen ausrichten, um die spezifischen Reformmechanismen weiter auszuarbeiten.


Dr. Jakkie Cilliers ist Vorsitzender des Board of Trustees des Institute for Security Studies und Leiter der Abteilung African Futures & Innovation im Büro Pretoria des ISS. Er ist außerordentlicher Professor am Centre of Human Rights und dem Department of Political Sciences an der Universität Pretoria und ist Mitglied im Redaktionsbeirat der African Security Review und des South African Journal of International Affairs.

Nicole Fritz ist Gründungsdirektorin des Southern Africa Litigation Centre (SALC). Sie ist Honorardozentin am Centre for Human Rights der Universität Pretoria und an der School of Law der Universität Witwatersrand sowie Vorstandsmitglied des Women’s Legal Centre (WLC). Derzeit arbeitet sie als Beraterin für Elect the Council.

Wenn Sie eines an den Vereinten Nationen ändern könnten, was wäre es?

1: Serienauftakt [DE / EN]
2: Ein neues Wahlverfahren für den UN-Generalsekretär [DE / EN] ● Stephen Browne
3: Das Sekretariat der Vereinten Nationen: Unabhängig, effizient, kompetent? [DE / EN] ● Franz Baumann
4: Die Bürger in den Mittelpunkt: Die Vereinten Nationen brauchen eine Grunderneuerung für das 21. Jahrhundert [DE / EN] ● Dhananjayan Sriskandarajah
5: Weichenstellung für die Vereinten Nationen: Wie kann der Sicherheitsrat reformiert werden? [DE] ● Sven Gareis
6: Die Bürger der Welt müssen die Kontrolle zurückgewinnen – mit einem globalen Parlament [DE / EN] ● Andreas Bummel
7:  Elect the Council: Die globale Sicherheit braucht einen reformierten UN-Sicherheitsrat [DE / EN] ● Jakkie Cilliers und Nicole Fritz

Übersetzung aus dem Englischen: Manuel Müller.
Bilder: By Gobierno de Chile [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons; privat; privat.

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