Das neue Verfahren bei der Wahl des
UN-Generalsekretärs zeigt: Reformen der Vereinten Nationen sind, trotz
allem, möglich. In einer Serie von Gastartikeln antworten hier
Vertreterinnen und Vertreter aus Politik,
Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf die Frage: Wenn Sie eines an der
Funktionsweise der UN ändern könnten, was wäre es? Heute: Andreas Bummel. (Zum Anfang der Serie.)
- „Das Weltregime dient vor allem der globalen Elite. Warum gibt es kein gewähltes Weltparlament, das eine demokratische Kontrolle im Namen der Bürger ausübt?“
Je enger und komplexer die weltweite
wechselseitige Abhängigkeit wird, desto weniger Probleme können
einzeln agierende Staaten alleine lösen. Wohlstand, Entwicklung und
Sicherheit hängen heute sehr stark von erfolgreicher internationaler
Zusammenarbeit und Integration ab. Das Brexit-Votum ist eine Anomalie
und eine irrationale Antwort auf diesen globalen Trend. Während die
neue britische Regierung sich auf die Austrittsverhandlungen mit der
EU vorbereitet, plant die Afrikanische Union die Einführung
eines kontinentalen Passes
und die Abschaffung von Grenzkontrollen ähnlich wie im
Schengen-Raum. Was auch immer fremdenfeindliche und nationalistische
Demagogen die Menschen glauben lassen wollen: Eine zombieartige
Wiederauferstehung der „nationalen Unabhängigkeit“ ist keine
tragfähige Lösung und wird in der Welt nur Schaden anrichten.
Intergouvernementalismus untergräbt die
Demokratie
Es gibt jedoch ein wachsendes
Bewusstsein dafür, dass die
derzeitige Form der Globalisierung nicht weitergehen kann. Sie
unterstreicht Klassengegensätze, indem sie wirtschaftliche Gewinne
in einer sehr ungleichen Weise verteilt. Zugleich untergräbt sie
durch intergouvernementale Zusammenarbeit die Demokratie. In vielen
Fällen werden nationale Parlamente zu Abnick-Institutionen
reduziert, von denen erwartet wird, dass sie alles akzeptieren, was
ihre Regierungen ausgehandelt haben – falls sie überhaupt gefragt
werden.
Die UN und ihre vielen Sonderorganisationen, die
internationalen Finanzinstitutionen, die Welthandelsorganisation und
verschiedene zwischenstaatliche Netzwerke üben schon jetzt viele
Funktionen einer Weltregierung aus. Doch dieses Weltregime dient in
erster Linie den Interessen einer globalen Elite. Wie Mary Kaldor vor
einigen Wochen formuliert hat:
„In der Theorie sollten wir Entscheidungen durch die Mitgliedschaft
unserer Nationalstaaten in globalen Institutionen beeinflussen
können, aber in der Praxis sind diese Institutionen eher durch die
Interessen der globalen Elite geprägt als durch gewöhnliche
Bürger.“
In einem früheren
Beitrag hat Danny
Sriskandarajah geschrieben, dass das System globalen Regierens das
„eklatante, endemische Zusammenspiel zwischen wirtschaftlichen und
politischen Eliten“ fördert. Er argumentiert für „radikal neue
Formen der Repräsentation und Aufsicht“ auf globaler Ebene. Auf
EU-Ebene garantiert das direkt gewählte Europäische Parlament, dass
es eine demokratische Verbindung zu den Bürgern gibt. Es ist das
markanteste Merkmal eines globalen Demokratiedefizits, dass es im
globalen Regierungssystem nichts Ähnliches gibt.
Die Weltbürger gegenüber den globalen Eliten
stärken
Steuervermeidung und die Nutzung anonymer
Briefkastenfirmen durch die Superreichen ist ein massiver Angriff auf
die Fähigkeit von Staaten, öffentliche Dienstleistungen zu
erbringen, und erhöht die globale Ungleichheit. Es
heißt, dass heute zwischen
24 und 36 Billionen Dollar in Steueroasen versteckt sind. Nach der
spektakulären Veröffentlichung der Panama Papers richtete das
Europäische Parlament im Juni einen Untersuchungsausschuss
ein, der sich mit dem Thema Steuervermeidung und Geldwäsche
beschäftigt.
Warum gibt es kein gewähltes Weltparlament, das
dasselbe tut und eine demokratische Kontrolle im Namen der 99% der
Weltbürger ausübt? „Die Panama Papers bestätigen, dass die
globale Elite betrügt, lügt und stiehlt“, schrieb
Fredrik Deboer und forderte:
„Steuerzahler der Welt, vereinigt euch!“ Angesichts der
Unfähigkeit oder des Unwillens der nationalen Regierungen, der OECD
und anderer Institutionen, das Problem wirklich zu lösen, scheint
ein Weltparlament aus regierungsunabhängigen Abgeordneten der beste
Weg zu sein.
Eine Parlamentarische Versammlung bei den
Vereinten Nationen
Mutiges Denken ist notwendig. Das Konzept der
„Global Governance“ – das vorgibt, dass Regierungsfunktionen
auf globaler Ebene erfüllt werden können, ohne dass es eine formale
globale Regierung gibt – hat seinen Zenit überschritten. Es ist
ein gutes Zeichen, dass führende Wissenschaftler der Internationalen
Beziehungen, Politikwissenschaft, Philosophie, Soziologie,
Wirtschaftswissenschaft und anderer Felder sich letztes Jahr
zusammengeschlossen haben, um das World
Government Research Network
zu gründen.
Gewiss, ein Weltparlament kann nicht von einem Tag
auf den nächsten eingerichtet werden. Aber es ist ein alternativer
und progressiver Ansatz zur Idee, „die Kontrolle zurückzugewinnen“.
Es basiert auf den Werten von globaler Solidarität und
Weltbürgertum. Ein erster Schritt wäre schon jetzt möglich, wenn
genügend politischer Wille bestünde: die Schaffung einer
Parlamentarischen Versammlung bei den Vereinten Nationen (United
Nations Parliamentary Assembly, UNPA).
Sie könnte von der UN-Generalversammlung ohne eine Charta-Reform
oder die Zustimmung des Sicherheitsrats eingerichtet werden.
Mehr als 1.500 Parlamentarier unterstützen die
UNPA
Boutros Boutros-Ghali, der von 1992 bis 1996
UN-Generalsekretär war (und von den USA aus dem Amt gedrängt
wurde), war ein starker Verfechter dieses Projekts. Als 2007, zu
einem guten Teil dank seiner Unterstützung, die internationale
UNPA-Kampagne gestartet
wurde, erklärte
er: „Wir müssen die
Demokratisierung der Globalisierung voranbringen, bevor die
Globalisierung die Grundlagen nationaler und internationaler
Demokratie zerstört. Die Etablierung einer Parlamentarischen
Versammlung bei den Vereinten Nationen ist ein unverzichtbarer
Schritt geworden, um eine demokratische Kontrolle der Globalisierung
zu erreichen.“
Heute wird der internationale Aufruf für eine
UNPA von einem breiten Spektrum von Einzelpersonen und Institutionen
aus mehr als 150 Ländern unterstützt – insbesondere von rund
1.500 derzeitigen oder früheren Parlamentariern. Im Mai rief das
Panafrikanische Parlament die
afrikanischen Regierungen dazu auf,
das Projekt bei den Vereinten Nationen voranzubringen. Das Parlament
der Afrikanischen Union erklärte, dass eine UNPA „zur Stärkung
der demokratischen Partizipation und Repräsentation der Bürger
dieser Welt notwendig“ ist und dass die neue Versammlung zu „einer
Stärkung der demokratischen Kontrolle über UN-Einsätze, speziell
in Afrika, beitragen“ würde.
Das Gemeinwohl der Menschheit
In der Tat, es gäbe viel zu tun für eine UNPA.
Wer zum Beispiel wäre in einer besseren Position als die Vertreter
der Weltbürger, um die Fortschritte bei den neuen Zielen zur
nachhaltigen Entwicklung zu bewerten? Eine UNPA sollte ihren eigenen
Menschenrechtsausschuss einrichten. Sie sollte Druck auf Regierungen
ausüben, bei Abrüstungsfragen voranzukommen. Sie könnte den
Fortschritt beim Kampf gegen den Klimawandel überwachen. Mit der
Zeit sollte eine UNPA Informations-, Beteiligungs- und Kontrollrechte
gegenüber allen relevanten globalen Regierungsinstitutionen
erhalten.
Gemäß einer kürzlich
veröffentlichten Umfrage in
18 Ländern sehen sich mehr als die Hälfte der Befragten in
Schwellenländern in erster Linie als globale, nicht als nationale
Bürger an. Dieses Gefühl würde auch bei den meisten
Weltparlamentariern vorherrschen. Sie wären dazu aufgerufen, das
Gemeinwohl der Menschheit als Ganzes zu verfolgen. Im Gegensatz dazu
haben Karrierediplomaten, was auch immer sie persönlich fühlen
mögen, immer die Pflicht, die Sichtweisen ihrer Regierungen zu
vertreten.
Den Bürgern der Welt ein Mitspracherecht geben
Die UN und die globalen Regierungsinstitutionen
haben eine Reform zwingend nötig. Das System ist fragmentiert und
oft ineffektiv. Es gibt eine Unzahl an Themen, die behandelt werden
müssen. Eine der besten Übersichtsdarstellungen in jüngerer Zeit
war Joseph Schwartzbergs Buch Transforming
the United Nations System,
das derzeit ins Deutsche übersetzt wird. Viele Vorschläge sind auch
in dem Bericht der Commission on Global
Security, Justice, and Governance enthalten,
der letztes
Jahr veröffentlicht wurde.
Von allen Vorschlägen aber ist die Einrichtung
einer UNPA der wichtigste, um den Bürgern der Welt ein
Mitspracherecht bei der UN und über die künftige Richtung der
Globalisierung zu geben.
Andreas Bummel ist Mitgründer und Direktor des Komitees für eine demokratische UNO (KDUN), einer parteipolitisch unabhängigen Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Berlin, sowie Vorstandsmitglied im World
Federalist Movement-Institute for Global Policy (WFM-IGP) in New York. Seit 2007 koordiniert er die internationale Kampagne für eine Parlamentarische Versammlung bei den Vereinten Nationen.
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Wenn Sie eines an den Vereinten Nationen ändern könnten, was wäre es?
1: Serienauftakt [DE / EN]
2: Ein neues Wahlverfahren für den UN-Generalsekretär [DE / EN] ● Stephen Browne
3: Das Sekretariat der Vereinten Nationen: Unabhängig, effizient, kompetent? [DE / EN] ● Franz Baumann
4: Die Bürger in den Mittelpunkt: Die Vereinten Nationen brauchen eine Grunderneuerung für das 21. Jahrhundert [DE / EN] ● Dhananjayan Sriskandarajah
5: Weichenstellung für die Vereinten Nationen: Wie kann der Sicherheitsrat reformiert werden? [DE] ● Sven Gareis
6: Die Bürger der Welt müssen die Kontrolle zurückgewinnen – mit einem globalen Parlament [DE / EN] ● Andreas Bummel
7: Elect the Council: Die globale Sicherheit braucht einen reformierten UN-Sicherheitsrat [DE / EN] ● Jakkie Cilliers und Nicole Fritz
1: Serienauftakt [DE / EN]
2: Ein neues Wahlverfahren für den UN-Generalsekretär [DE / EN] ● Stephen Browne
3: Das Sekretariat der Vereinten Nationen: Unabhängig, effizient, kompetent? [DE / EN] ● Franz Baumann
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5: Weichenstellung für die Vereinten Nationen: Wie kann der Sicherheitsrat reformiert werden? [DE] ● Sven Gareis
6: Die Bürger der Welt müssen die Kontrolle zurückgewinnen – mit einem globalen Parlament [DE / EN] ● Andreas Bummel
7: Elect the Council: Die globale Sicherheit braucht einen reformierten UN-Sicherheitsrat [DE / EN] ● Jakkie Cilliers und Nicole Fritz
Übersetzung aus dem Englischen: Manuel Müller.
Bilder: UNMEER/Pierre Peron [CC BY-ND 2.0], via Flickr; privat.
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