Das neue Verfahren bei der Wahl des
UN-Generalsekretärs zeigt: Reformen der Vereinten Nationen sind, trotz
allem, möglich. In einer Serie von Gastartikeln antworten hier
Vertreterinnen und Vertreter aus Politik,
Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf die Frage: Wenn Sie eines an der
Funktionsweise der UN ändern könnten, was wäre es? Heute: Dhananjayan Sriskandarajah. (Zum Anfang der Serie.)
Die
meisten der heutigen intergouvernementalen Institutionen –
einschließlich der Vereinten Nationen – wurden in den 1940er und
1950er Jahren entworfen: Sie haben die Vorrangstellung von Staaten in
ihrer Blaupause und die Nachkriegshierarchien in ihrem Herzen. Dieses
System globalen Regierens hat einige sehr bedeutende und positive
Ergebnisse mit sich gebracht, von der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte
über die Flüchtlingskonvention
von 1951 bis zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen.
Aber es ist auch ein System, das die Macht des Staates auf Kosten des
Bürgers festgeschrieben hat. Das muss sich ändern.
Ein
globales Demokratiedefizit
Im
Herzen unserer globalen Regierungsinstitutionen schwärt ein
Demokratiedefizit. Immer
mehr Menschen
sind – auf nationaler Ebene – wütend über ihre fehlenden
Mitspracherechte, über Ungleichheit, Korruption und die Zerstörung
der Umwelt. Die Frustration über die wahrgenommene Unfähigkeit der
Machthaber, im besten Interesse ihrer Bürger zu handeln, wächst. Es
gibt Wut über das eklatante, endemische Zusammenspiel zwischen
wirtschaftlichen und politischen Eliten. Aber statt dass unsere
globalen Regierungsinstitutionen den Menschen, die auf nationaler
Ebene unterdrückt, marginalisiert oder ausgegrenzt werden, Schutz
und Unterstützung bieten, verstärken sie noch das
Demokratiedefizit, indem sie die Herrschaft der nationalen
Autoritäten legitimieren.
Diese
Institutionen haben es nicht geschafft, mit den geopolitischen
Veränderungen der letzten Jahrzehnte mitzuhalten. Organe wie der
UN-Sicherheitsrat spiegeln die Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg
wider, die längst vergangen ist. Auf operativer Ebene halten diese
fundamentalen Machtungleichgewichte unsere internationalen
Institutionen in Geiselhaft, indem sie sie auf die Wünschen einer
Handvoll Staaten ausrichten, statt auf die Bedürfnisse der
Weltbevölkerung.
Partizipatorische
Demokratie
Während
die partizipatorische Demokratie in politische Institutionen auf
allen anderen Ebenen eingezogen ist, vom Gemeinderat über
Regionalversammlungen bis zu nationalen Parlamenten, gelang es der
globalen Ebene nicht, auf die veränderten Erwartungen in Sachen
Bürgerbeteiligung zu reagieren. Ihre Institutionen sind nach wie vor
weit entfernt und weitgehend entkoppelt von den Menschen, deren Leben
sie beeinflussen.
Es
heißt, dass intergouvernementale Entscheidungen, häufig mit Bezug
auf die wichtigsten globalen Themen – vom Klimawandel bis zum
internationalen Steuerrecht – nur von ungewählten Funktionären
getroffen werden können, die hinter verschlossenen Türen Deals
aushandeln. Aber die
Unzufriedenheit mit dieser Konstruktion wächst.
Konsultationsverfahren, mit denen die Zivilgesellschaft einbezogen
werden soll, sind im Wesentlichen oberflächliche Pflichtübungen.
Die Vertreter der Zivilgesellschaft sind von den eigentlichen Arenen
der Entscheidungsfindung und Politikgestaltung unserer
internationalen Institutionen ausgeschlossen und werden höchstens
eingeladen, um schablonenhafte Alibi-Beiträge zu liefern.
Wir
brauchen eine Neugestaltung unserer globalen Institutionen
Dieses System, das Staaten – und oft auch Unternehmen – wichtiger nimmt
als Menschen, kann nicht mehr akzeptabel sein. Wir brauchen dringend
eine Neugestaltung unserer globalen Institutionen, in deren
Mittelpunkt die Bürgerbeteiligung stehen muss. Wir brauchen eine
Demokratisierung des globalen Regierens, indem ein Umfeld geschaffen
wird, das es der Zivilgesellschaft ermöglicht, sich substantiell
einzubringen. Wir müssen auf der Prämisse aufbauen, dass die
Entscheidungsfindung auf globaler Ebene genauso transparent und
rechenschaftspflichtig sein sollte wie auf jeder anderen
Regierungsebene. Und so direkt wie möglich.
Das
bedeutet, dass beispielsweise südafrikanische Diplomaten ihrer
Wählerschaft zu Hause erklären sollten, warum sie in Genf immer
wieder gegen Menschenrechtsresolutionen stimmen.
Und die Rechenschaftspflicht der Sekretariate unserer internationalen
Institutionen sollte sich nicht nur nur auf eine Handvoll „ständiger
Vertreter“ erstrecken (ein Ausdruck, der wie kein anderer
bezeichnend für das Gesamtproblem ist).
Ein
„Unterhaus“ für die Generalversammlung
Wir brauchen radikal neue Formen der Repräsentation und Aufsicht.
Vielleicht sollte die UN-Generalversammlung ein „Unterhaus“
erhalten, mit von den Bürgern direkt gewählten Repräsentanten, als
Gegengewicht zu den Exzessen der dominanten Staaten im Oberhaus.
Vielleicht könnten die globalen Regierungsinstitutionen regelmäßig
darauf geprüft werden, wie gut sie auf Themen reagieren, die von der
Bevölkerung statt nur von den Regierungen bestimmt werden.
Die
Leiter von UN-Agenturen sollten regelmäßige Interaktionen mit der
Zivilgesellschaft und den Medien haben. Die Agenturen sollten leicht
zugängliche Datenbanken mit Informationen und Statistiken über ihre
Tätigkeiten aufbauen. Durch diese und weitere Schritte könnten die
UN sicherstellen, dass die Rechte der Zivilgesellschaft, die in ihren
eigenen Verträgen festgeschrieben sind, in der Praxis auch wirklich
realisiert werden.
Generalsekretär:
Einer für sieben Milliarden
Ermutigend
sind die kleinen Schritte, die dieses Jahr bereits unternommen
wurden, um die Wahl des neuen UN-Generalsekretärs zu öffnen. Die
Undurchsichtigkeit des bisherigen Ernennungsverfahrens war
symptomatisch für die Missachtung der Bürger – und, im Gegenzug,
für den Vorrang der Staaten –, die dem UN-System zu eigen
ist. Die Rolle des UN-Generalsekretärs ist, den sieben Milliarden
Bürgern der Welt zu dienen, nicht den Interessen einer Handvoll
Staaten. Ich hoffe, dass der nächste Amtsinhaber dieses Verständnis
– dass er der Eine
für sieben Milliarden
ist – in den Mittelpunkt seiner Amtsführung stellen wird.
Wenn
der neue UN-Generalsekretär seinen Posten antritt, wird er
hoffentlich einige der Agenturen, die sich derzeit mit
Öffentlichkeitsarbeit befassen, zu einem einzigen neuen Einheit
zusammenfassen, die vielleicht UNgage
heißen
könnte und deren Hauptziel es wäre, die Stimme der Bürger hörbar
zu machen und in globale Entscheidungsprozesse einzuspeisen. Eine
solche Agentur könnte die derzeitigen UN
Information Centres
ersetzen, deren Hauptzweck nur in der Verbreitung von UN-Propaganda
zu bestehen scheint. Stattdessen sollten diese Zentren zu
Knotenpunkten einer globalen Konversation in beide Richtungen werden:
von den UN zu den Bürgern und zurück.
Von
einem staatenzentrierten zu einem bürgerorientierten Modell
Und
täuschen wir uns nicht: Diese Schritte sind sowohl realistisch als
auch erreichbar. Alle Hindernisse auf dem Weg dorthin werden in
erster Linie politisch sein. Am Ende läuft es darauf hinaus, ob die
Staaten bereit sind, auf die Macht zu verzichten, die sie derzeit
ausüben und oft so eifersüchtig bewachen.
Unsere
globalen Regierungsinstitutionen und ihre Entscheidungen waren
niemals wichtiger als heute. Eine wachsende Zahl komplexer,
drängender Probleme kreuzen die nationalen Grenzen und betreffen die
Leben von Menschen, die physisch hunderttausende Kilometer entfernt
voneinander leben, in ähnlicher Weise. Das macht es zwingend
notwendig, dass wir von einem staatenzentrierten Modell des
internationalen Regierens zu einem bürgerorientierten Modell
übergehen.
Und
die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Frage wächst, wie auch
der öffentliche Zorn. Wenn die Vereinten Nationen und andere
intergouvernementale Institutionen nicht Schritt halten, riskieren
sie, auf fatale Weise ihre Glaubwürdigkeit und globale Autorität zu
verlieren. Wir haben gelernt, das Prinzip „ein Staat, eine Stimme“
als Grundmerkmal unserer globalen Entscheidungssysteme zu
akzeptieren. Aber ich träume von dem Tag, an dem das überwunden
wird. „Eine Person, eine Stimme“: Das wäre etwas.
Dr. Dhananjayan Sriskandarajah ist Generalsekretär von CIVICUS:
World Alliance for Citizen Participation und Mitglied des UN High-Level Panel on Humanitarian Financing.
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Wenn Sie eines an den Vereinten Nationen ändern könnten, was wäre es?
1: Serienauftakt [DE / EN]
2: Ein neues Wahlverfahren für den UN-Generalsekretär [DE / EN] ● Stephen Browne
3: Das Sekretariat der Vereinten Nationen: Unabhängig, effizient, kompetent? [DE / EN] ● Franz Baumann
4: Die Bürger in den Mittelpunkt: Die Vereinten Nationen brauchen eine Grunderneuerung für das 21. Jahrhundert [DE / EN] ● Dhananjayan Sriskandarajah
5: Weichenstellung für die Vereinten Nationen: Wie kann der Sicherheitsrat reformiert werden? [DE] ● Sven Gareis
6: Die Bürger der Welt müssen die Kontrolle zurückgewinnen – mit einem globalen Parlament [DE / EN] ● Andreas Bummel
7: Elect the Council: Die globale Sicherheit braucht einen reformierten UN-Sicherheitsrat [DE / EN] ● Jakkie Cilliers und Nicole Fritz
1: Serienauftakt [DE / EN]
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6: Die Bürger der Welt müssen die Kontrolle zurückgewinnen – mit einem globalen Parlament [DE / EN] ● Andreas Bummel
7: Elect the Council: Die globale Sicherheit braucht einen reformierten UN-Sicherheitsrat [DE / EN] ● Jakkie Cilliers und Nicole Fritz
Übersetzung aus dem Englischen: Manuel Müller
Bilder: UN Photo/Mark Garten [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr; privat [alle Rechte vorbehalten].
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