Umfragen
sind das Salz in der Suppe jedes Wahlkampfs. Welcher Kandidat konnte
mit seinem Auftritt die Bürger bislang am besten überzeugen? Wer
liegt zurück und muss nun mit weiteren Initiativen nachlegen, um
noch aufholen zu können? Über die Chancen von Hillary Clinton gegen
Donald Trump im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf
berichten die deutschen Medien schon
seit
Monaten
fast
im
Wochentakt.
Auf EU-Ebene hingegen war das Fehlen europaweiter Umfragen lange
Zeit ein Hemmnis für die europäische Öffentlichkeit.
Und
bei den Vereinten Nationen? Ende dieses Jahres wird bekanntlich der
nächste UN-Generalsekretär gewählt; und es gibt elf
Kandidatinnen und Kandidaten, die sich für das Amt beworben
haben. Umfragen, die ein Stimmungsbild der Weltbevölkerung über
diesen wichtigsten Posten in der globalen Exekutive ermöglichen
würden, sucht man jedoch vergebens. Wer herausfinden will, wie die
Aussichten der Kandidaten derzeit stehen, ist deshalb auf ein anderes
Mittel angewiesen: An die Stelle von Umfragen treten die
Wettquoten internationaler Buchmacher.
Das
neue Wahlverfahren
Und
auch sonst ist es ein eigenartiger Wahlkampf, den die
Generalsekretärskandidaten derzeit führen. Bislang wurde die
Besetzung dieses Postens im Wesentlichen hinter verschlossenen Türen
ausgehandelt, wobei letztlich die fünf ständigen Mitglieder des
UN-Sicherheitsrats – die Regierungen der USA, Russlands, Chinas,
Frankreichs und Großbritanniens – dank ihres Vetorechts die alles
entscheidenden Akteure waren. Für den Nachfolger des derzeitigen
Amtsinhabers Ban Ki-moon, der Ende dieses Jahres ernannt werden soll,
wird jedoch erstmals ein
neues Verfahren angewandt: Wer für das Amt kandidieren will,
muss sich jetzt formal von einem Mitgliedstaat nominieren lassen und
in einer „informellen Anhörung“ vor der UN-Generalversammlung
seine Vision für die Zukunft der Weltorganisation präsentieren.
Eine
erste
Runde dieser Anhörungen fand Mitte April mit neun Kandidaten
statt; zwei weitere, die ihre Bewerbung erst später erklärten,
wurden vor
einigen Tagen gehört (ein Überblick über alle Kandidaten mit
Links zu den Videos ihrer Anhörungen findet sich hier).
Parallel dazu gab es im
April in New York und Anfang
Juni in London zwei zivilgesellschaftlich organisierte
Townhall-Debatten, bei denen sich jeweils eine Gruppe von Kandidaten
den Fragen des Publikums stellte.
Durch
Transparenz steigt der Druck auf die Großmächte
Sinn
dieser Debatten ist zunächst einmal, die Wahl des Generalsekretärs
transparenter zu machen. Wenn die Öffentlichkeit sich schon im
Voraus informieren kann, welche Kandidaten zur Auswahl stehen und
welche Positionen sie repräsentieren, steigt der Druck auf die
Großmächte im Sicherheitsrat, sich auch wirklich für einen
Generalsekretär mit Format zu entscheiden. Außerdem bieten die
öffentlichen Anhörungen natürlich auch ein Forum für die
Auseinandersetzung mit einigen der großen Herausforderungen, vor
denen die Vereinten Nationen heute stehen: von der Umsetzung des
Pariser
Klimavertrags bis zu den Zielen
für nachhaltige Entwicklung, von der globalen
Flüchtlingskrise bis zu einer effektiveren
Verwaltung des UN-Apparats selbst.
Darüber
hinaus aber könnte die neue Transparenz bei der Wahl des
UN-Generalsekretärs auch den Charakter des Amtes selbst verändern.
Bislang haftete ihm eine gewisse Unbestimmtheit an, die für die Welt
der Diplomatie nicht unüblich ist: Nach der UN-Charta hat der
Generalsekretär kaum klar definierte Kompetenzen; seinen
beträchtlichen Einfluss übt er vor allem dadurch aus, dass er in
sehr vielen Beratungen präsent ist, dass er durch Freundlichkeit und
Überredungskunst andere Machthaber auf eine gemeinsame Linie bringt
– und natürlich auch dadurch, dass er zwar bei Gelegenheit an das
Weltgewissen appelliert, gleichzeitig aber keinen wichtigen Akteur
durch eine allzu scharfe Positionierung vor den Kopf stößt.
Das
Amt des Generalsekretärs wird politischer
Dass
nun jedoch öffentlich darüber diskutiert wird, auf welche Weise der
neue Generalsekretär seine Aufgaben ausüben wird und welche
Prioritäten er dabei setzen sollte, macht das Amt politischer. Es
wird deutlich, dass auch die Vereinten Nationen vor Alternativen
stehen: Soll man das UN-Budget erhöhen, wie der portugiesische
Kandidat António Guterres (PS/SI-PA) vorschlägt, oder nur
effektiver
verwalten, wie der
Montenegriner Igor Lukšić (DPS/SI-PA)
meint?
Ist die größte aktuelle
Aufgabe der Kampf gegen den
Klimawandel (so
der parteilose
Serbe Vuk Jeremić)
oder die Förderung
wirtschaftlicher
Entwicklung (wiederum
Lukšić)? Und wie sollte sich die UNO
zum
EU-Türkei-Flüchtlingsdeal positionieren?
Vor
allem aber fördert die Öffentlichkeit der Debatte ein neues
Verständnis darüber, wer die eigentlichen Adressaten für die
Politik des Generalsekretärs sind. Die Kampagne, die das neue
Verfahren für die Generalsekretärswahl wesentlich vorangetrieben
hat, nennt sich nicht umsonst 1
for 7 billion: Durch die Öffentlichkeit der
Auseinandersetzung werden die Kandidaten zu Argumentationsformen
gedrängt, in denen sie ihre Positionen mit dem globalen Gemeinwohl
begründen müssen. Während es in der klassischen Diplomatie nur um
die nationalen Regierungen geht (und in den UN oft sogar nur um die
fünf Großmächte mit einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat),
richtet sich diese Debatte auf die Interessen der gut sieben
Milliarden Bürger dieser Welt.
Kandidaten
im Wahlkampfmodus
Das
hat auch Auswirkungen auf die Selbstdarstellung der elf Kandidaten.
Die meisten von ihnen haben bereits auf nationaler Ebene
Wahlkampferfahrung gesammelt: unter anderem als ehemaliger
Regierungschef (Guterres, Lukšić sowie die Neuseeländerin Helen Clark, Labour/PA), Staatschef (der Slowene
Danilo Türk, parteilos) oder Parteivorsitzende (die Kroatin Vesna
Pusić, HNS/LI). Wie man ein großes Publikum erreicht, ist ihnen
also nicht fremd – und so mischt sich in die
Generalsekretärsdebatten ein neuer Tonfall, den man sonst eigentlich
nur aus der nationalen (oder bestenfalls europäischen) Politik
kennt.
Am
deutlichsten im Wahlkampf-Modus ist dabei wohl Helen Clark. Die
frühere neuseeländische Premierministerin erklärte nicht nur ihre
Kandidatur in
einem Video und unterhält für ihre Kampagne den Twitter-Account Helen4SG. Bei ihrer Anhörung vor der
UN-Generalversammlung gab sie darüber hinaus an, sie sei „niemals
eine Kandidatin des Establishments gewesen“ – eine
Formulierung, die ziemlich deutlich eher nach dem aktuellen
US-Wahlkampf klingt als nach einer Ausdrucksweise, wie sie in
den diplomatischen Kreisen der Turtle Bay üblich ist.
Aber
auch bei anderen Kandidaten sind derartige Wahlkampffloskeln zu
hören. So sprach etwa Vuk Jeremić in
seiner Anhörung von 53 spezifischen Maßnahmen, die er ab
dem „Day One“ umsetzen wolle. In der
Townhall-Debatte in London Anfang Juni fiel das Schlagwort vom
„ersten Tag im
Amt“ sogar so
häufig, dass einige Beobachter etwas irritiert darauf verwiesen,
dass sich solche Aktivitätsversprechen wohl kaum
mit der langsamen Wirklichkeit der UN-Bürokratie in
Einklang bringen lassen.
Die
Leidenschaft eines echten Wahlkampfs fehlt
Und
dennoch: So ganz will die Leidenschaft eines „echten“ Wahlkampfs
bislang noch nicht aufkommen. Auch wenn die Kandidaten in den
öffentlichen Debatte immer wieder gewisse inhaltliche Unterschiede
erkennen lassen, versucht niemand von ihnen sein Profil auf Kosten
der anderen zu schärfen. Statt um Konfrontation geht es um
Nuancierung.
Selbst
als die Kandidaten in New York auf
das Thema Steuerhinterziehung und Geldwäsche angesprochen wurden,
blieben sie vorsichtig. Wo jeder echte Wahlkämpfer ohne Zweifel die
Chance gewittert hätte, durch die Ankündigung entschlossener
Maßnahmen Punkte zu sammeln, flüchteten sie in Gemeinplätze: Man
könnte, sollte, müsste hier wohl etwas tun; aber was genau, blieb
letztlich offen.
Die
Fundamentalregeln des Verfahrens sind unverändert
Für
diese Zurückhaltung gibt es verschiedene Gründe. Zum einen mag sie
daran liegen, dass es doch eine recht spezifische Teilöffentlichkeit
ist, vor der die Kandidaten auftreten. Auch wenn die Debatten für
jeden Menschen mit Internetzugang und Englischkenntnissen zugänglich
sind, ist es ja keineswegs so, dass die ganze Welt sie mitverfolgen
würde. In Deutschland etwa findet die Auseinandersetzung über den
neuen UN-Generalsekretär eher in
spezialisierten Blogs statt als in den großen Massenmedien. Und
von den Publikumsfragen in London wurden gleich
zwei
von früheren oder amtierenden Botschaftern gestellt.
Zum
anderen und vor allem wissen die Kandidaten natürlich auch genau,
dass es am Ende eben nicht die Weltbevölkerung ist, die sie ins Amt
wählen wird. An den Fundamentalregeln des Ernennungsverfahrens hat
sich nichts geändert: Wer Generalsekretär werden (und hinterher als
Generalsekretär erfolgreich sein) will, braucht die Unterstützung
des Sicherheitsrats und der Generalversammlung. Und vor allem muss er
darauf achten, keine der fünf Vetomächte zu vergrätzen.
Nichtssagend-diplomatische
Erklärungen zu den Vetomächten
Dass
Vuk Jeremić erklärt,
der Generalsekretär müsse „Rückgrat“
haben und solle auch gegenüber den Großmächten eine „stärker
politische Rolle“ spielen, ist deshalb wohl das Maximum an
Konfrontation, das sich einer der Kandidaten gegenüber den ständigen
Mitgliedern leisten wird. António Guterres wiederum hielt sich als
UN-Flüchtlingskommissar in der Vergangenheit auch mit Kritik an den
nationalen Regierungen nicht zurück, was Beobachter schon frühzeitig
als mögliche
Schwachstelle seiner Kandidatur identifizierten. Zuletzt hingegen
sprach er bescheiden davon, als Generalsekretär werde er die
Funktion eines „convenor“, also eines Stichwortgebers und
Vermittlers, einnehmen.
Die
argentinische Kandidatin Susana Malcorra (Cambiemos/–) betonte
in ihrer Anhörung sogar ausdrücklich, sie verstehe den
UN-Generalsekretär nicht als „Weltpräsidenten“, sondern sehe
seine Aufgabe eher darin, Entscheidungen durch die Mitgliedstaaten zu
ermöglichen. Und Helen Clark antwortete auf die Frage, ob sie die
Macht der fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat reduzieren
wolle, mit
der nichtssagend-diplomatischen Erklärung: „Ich erkenne die
Bedeutung der fünf ständigen Mitglieder an, so wie ich die
Bedeutung jedes Mitgliedstaats anerkenne.“
Im
UN-Wahlkampf fallen Publikum und Wählerschaft auseinander
Das
Wesen eines normalen Wahlkampfs besteht darin, dass Kandidaten vor
den Bürgern, von denen sie gewählt werden wollen, durch öffentliche
Auftritte um Stimmen werben. Im Wahlkampf um das
UN-Generalsekretariat hingegen fallen Publikum und Wählerschaft
auseinander: Die Kandidaten präsentieren sich vor der globalen
Öffentlichkeit – aber die Stimmen, die sie brauchen, sind vor
allem die der fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat.
Der
Spagat, den sie dabei zustande bringen, ist beeindruckend und wohl
für sich allein schon ein Gewinn für die Vereinten Nationen: Dass
wir öffentlich über die Besetzung des UN-Spitzenamts diskutieren,
regt die globale Debatte an und trägt zum Entstehen einer globalen
öffentlichen Meinung bei. Wenn wir die Weltpolitik demokratisieren
wollen, kann das aber nur der erste Schritt sein. Der Sinn des
gemeinsamen Diskutierens kann letztlich nur darin liegen, globale
Fragen auch wirklich gemeinsam zu entscheiden.
PS
Und
wer sind nun eigentlich die Wettquoten-Favoriten für das Amt des
Generalsekretärs? Vor allem drei Kandidaten finden sich bei mehreren
Buchmachern
auf den ersten Plätzen: Helen Clark, Vuk Jeremić
und die Bulgarin Irina
Bokova (BSP/SI), mit
einigem Abstand gefolgt von António Guterres und Danilo Türk.
Allerdings unterscheiden
sich die Quoten je nach
Anbieter beträchtlich, was
darauf hinweisen dürfte, dass insgesamt
nicht allzu viele Wetten abgegeben wurden. So
richtig kann eben doch
niemand einschätzen, wie
die Regierungen im
Sicherheitsrat zuletzt
auf diesen Wahlkampf
reagieren werden.
Und
dennoch: Wir sollten uns
die Namen dieser
fünf Menschen merken.
Sie sind die ersten, die
dem Wettstreit um
das höchste Amt der
Vereinten Nationen ein
Gesicht gegeben haben.
Bild: By World Trade Organization from Switzerland [CC BY-SA 2.0], via Flickr.
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