Hillary
Clinton und Irina Bokova haben einiges gemeinsam: Beide kandidieren
dieses Jahr für eines der einflussreichsten Ämter in der
Weltpolitik, beide wären die erste Frau auf diesem Posten, beide
gelten als Favoritin. In einem jedoch unterscheiden sie sich: Die
frühere Außenministerin der USA ist mit ihrer
Präsidentschaftskandidatur weltweit in den Schlagzeilen. Die
Generaldirektorin der UNESCO, die UN-Generalsekretärin werden will,
dürfte hingegen selbst auf ihrem Heimatkontinent Europa den meisten
Zeitungslesern reichlich unbekannt sein.
Ihr
selbst muss das nicht viel ausmachen – ein herausragendes
öffentliches Profil ist bei Wahlen auf UN-Ebene, wo diplomatische
Diskretion regiert, nicht unbedingt zuträglich. Uns Bürgerinnen und
Bürgern jedoch könnte unser Desinteresse noch teuer zu stehen
kommen. Denn zum einen wird Bokova (oder wer sonst zum UN-Generalsekretär gewählt wird) in den nächsten Jahren
auch auf unser Leben einigen Einfluss ausüben. Und zum anderen
experimentieren die Vereinten Nationen dieses Jahr zum ersten Mal mit
einem neuen Verfahren, das die Wahl des Generalsekretärs geordneter,
transparenter und etwas partizipativer machen soll. Doch dieses neue
Verfahren hat einige mächtige Gegner. Ob es erfolgreich ist oder
nicht, wird deshalb auch davon abhängen, was die Weltöffentlichkeit
daraus macht.
Hinterzimmerdeal
der Vetomächte
Über
die Hintergründe des neuen Verfahrens habe ich auf diesem Blog schon
mehrmals geschrieben (vor allem hier
und hier).
Formal sieht die UN-Charta vor, dass der Sicherheitsrat einen oder
mehrere Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs vorschlägt,
der dann von der Generalversammlung ernannt wird. Faktisch nominierte
der Sicherheitsrat bis jetzt jedoch immer nur einen einzelnen
Kandidaten, wodurch das Mitspracherecht der Generalversammlung zur
leeren Hülse wurde. Innerhalb des Sicherheitsrats dominieren zudem
die fünf Vetomächte USA, Russland, China, Frankreich und
Großbritannien, die jeden Kandidaten blockieren können und das auch
immer wieder tun, und zwar häufig noch in letzter Minute.
Statt
zu einem nachvollziehbaren Austausch über den geeignetsten
Kandidaten kommt es deshalb regelmäßig nur zu einem diplomatischen
Hinterzimmerdeal zwischen den Großmächten, was weder für die
Autorität des Generalsekretärs noch für die legitimen
Mitsprachewünsche der übrigen Mitgliedstaaten förderlich ist –
und erst recht nicht für das
Fernziel einer demokratischen und bürgernahen UNO.
Ein
neues, transparenteres Wahlverfahren
Schon
seit 2014 setzten sich deshalb die Kampagne 1for7billion
sowie der von dem
früheren UN-Generalsekretär Kofi
Annan geleitete Thinktank The
Elders für Reformen im
Wahlverfahren ein. Diese
Forderungen wurden von
zahlreichen
UN-Mitgliedstaaten
aufgegriffen,
vor allem von der
sogenannten ACT-Gruppe sowie
der Blockfreien-Bewegung, aber
beispielsweise auch
von Großbritannien.
Widerstand kam dagegen von
anderen Großmächten,
vor allem Russland, China und
den USA.
Im
September 2015 verabschiedete die Generalversammlung schließlich
eine Resolution (Wortlaut),
die für
den Ablauf der Wahl
in diesem Jahr erstmals
ein halbwegs
geregeltes Verfahren etablierte.
Die Details dazu stellten die
Präsidenten der Generalversammlung und des Sicherheitsrats im
Dezember in
einem gemeinsamen Schreiben vor. Insbesondere
forderten sie darin
die Mitgliedstaaten auf,
schon frühzeitig
mögliche Bewerber für
das Amt zu präsentieren
– eine Einladung, der
bislang sieben Regierungen nachgekommen sind.
Öffentliche
Anhörungen
Am
kommenden 12.-14. April wird es zudem
öffentliche Anhörungen
mit diesen Kandidaten
geben, in denen sie ihre
Vision für die Vereinten Nationen darlegen und
auf Nachfragen der Mitgliedstaaten antworten sollen.
Diese Anhörungen sollen
in alle sechs UN-Amtssprachen
übersetzt und als Video
auf der
Internetseite
des Präsidenten der Generalversammlung veröffentlicht
werden.
Als
weitere Geste an die globale Zivilgesellschaft sollen bei den
Anhörungen zudem auch einige Fragen gestellt werden, die nicht von
den Regierungen stammen, sondern von
zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Einzelpersonen
eingereicht werden können, nämlich
über dieses
Webformular, per E-Mail
oder via Twitter unter dem Hashtag #UNSGcandidates.
Eine Übersicht über die
bisher formulierten Fragen findet sich hier,
weitere können noch bis zum
20. März vorgeschlagen werden.
Die Auswahl, welche Fragen
den Kandidaten tatsächlich
unterbreitet werden, trifft
ein Ausschuss, der vom UN-Verbindungsbüro
für zivilgesellschaftliche Organisationen (UN-NGLS) ernannt
wird.
Geht
es nach dem Präsidenten der Generalversammlung, könnten auf diese
Anhörungen noch weitere folgen, die
bestimmte inhaltliche
Schwerpunkte (zum Beispiel Frieden,
Entwicklung oder
Menschenrechte) zum Thema
haben. Und außerhalb
des engen UN-Formats plant
1for7billion darüber
hinaus noch,
die Kandidaten zu eigenen Debatten einzuladen, die
dann komplett in der Hand der Zivilgesellschaft statt der Regierungen
liegen sollen.
Nicht
überall konnten sich die Reformer durchsetzen
Was
aber geschieht nach den Anhörungen? Hier
wird der Zeitplan des
Wahlverfahrens deutlich vager. Klar
ist, dass der neue Generalsekretär sein Amt zum 1. Januar 2017
antreten soll. Um ihm
genügend Zeit zur Einarbeitung zu geben, plant der Sicherheitsrat
jedoch schon deutlich vorher einen Kandidaten vorzuschlagen. Die
Beratungen dazu sollen Ende Juli beginnen. Wie
lange sie letztlich dauern werden, ist jedoch ungewiss.
Und
noch in anderen Aspekten
konnten sich die
Reformer nicht gegen die
russisch-amerikanische
Blockade durchsetzen: Wie
in der Vergangenheit wird der Sicherheitsrat voraussichtlich auch
dieses Jahr nur einen einzigen
Kandidaten vorschlagen,
sodass die Generalversammlung
keine echte Auswahlmöglichkeit hat. Trotz
des großen Aufwands um die Anhörungen
ist die Teilnahme daran für die Kandidaten zudem keineswegs
verpflichtend. Und
mehr noch: In dem Schreiben,
in dem die Präsidenten der Generalversammlung und des
Sicherheitsrats das neue Verfahren vorstellten, heißt es
ausdrücklich, der darin
enthaltene Zeitplan „sollte andere [Kandidaten] nicht davon
abhalten, sich während des gesamten Prozesses bekannt
zu machen, wie es ihnen angemessen erscheint“.
Kann
ein Überraschungskandidat verhindert werden?
Mit
anderen Worten: Trotz aller
Bemühungen um mehr
Transparenz ist es bis jetzt
nicht ausgeschlossen, dass
der Sicherheitsrat nach
langen Beratungen im Dezember einen Überraschungskandidaten
vorschlägt, der weder an den
Anhörungen teilgenommen hat noch in anderer Weise der
Öffentlichkeit bekannt war. Und
es ist nicht ausgeschlossen, dass Vetomächte
wie Russland, China
oder die USA, die
dem neuen Verfahren von Anfang an ablehnend gegenüberstanden, genau
darauf spekulieren.
Allerdings
gibt es auch verschiedene Akteure, die eine
solche Sabotage des neuen Verfahrens verhindern
können.
Da ist zum einen die
britische Regierung, die zu
den wichtigsten Fürsprechern der Reform zählte und im
Sicherheitsrat ebenfalls ein
Vetorecht besitzt.
Da ist zum anderen aber auch
die Generalversammlung selbst,
in der die Reformbefürworter
eine Mehrheit haben und ohne
deren Bestätigung der neue Generalsekretär sein Amt nicht antreten
kann. Im
äußersten Fall könnte deshalb ein
Überraschungskandidat des
Sicherheitsrats, der sich
nicht an dem regulären Wahlverfahren beteiligt hat, von
der Generalversammlung abgelehnt
werden – was zu einem
institutionellen Patt führen würde, das
es in der Geschichte der UN
so noch nicht gegeben hat.
Öffentliche
Erwartungen aufbauen
Dass
es dazu kommt, ist allerdings
sehr unwahrscheinlich.
Die diplomatischen
Gepflogenheiten verlangen es,
dass derartige Konflikte nicht offen ausgetragen, sondern schon im
Vorfeld geklärt werden.
Dabei geht es wesentlich
darum, bestimmte Erwartungshaltungen aufzubauen: Wird
das neue Verfahren nur
als ein
Experiment wahrgenommen,
das aber letztlich nichts an den bisherigen Machtverhältnissen in
den Vereinten Nationen ändert? Oder ist es in
Sachen Transparenz und Partizipation der
neue Standard,
von dem auch die Regierungen der Großmächte nicht mehr
so einfach abweichen können?
Und
hier kommen
nun wir ins Spiel, die
Bürgerinnen und Bürger und
die zivilgesellschaftlichen Organisationen, aus denen
die globale Öffentlichkeit
besteht.
Wenn wir uns für das
Wahlverfahren des neuen
Generalsekretärs interessieren,
wenn uns Namen wie der von
Irina Bokova in den nächsten
Monaten geläufig werden,
wenn die Anhörungen der
Kandidaten auf ein weltweites
Millionenpublikum stoßen:
Dann ist die
Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch unsere Regierungen im
Sicherheitsrat und in der Generalversammlung das
zur Kenntnis nehmen. Wenn wir
uns jedoch damit abfinden, dass
die UN-Politik allein
eine Sache der Großmächte ist, für die
wir uns nicht weiter zu
interessieren brauchen, dann
wird wohl auch dies nicht ohne Folgen bleiben.
Sieben
Namen, die wir kennen sollten
Und
dies sind sie nun,
die sieben Namen, von denen
wir gehört haben sollten:
●
Die Bulgarin
Irina Bokova (*
1952, BSP/SPE/SI),
seit
2009
UNESCO-Generaldirektorin,
gilt
aufgrund ihrer langen
diplomatischen
Erfahrung,
ihrer
guten Beziehungen sowohl zu den USA als auch zu Russland, ihrer
Sprachfähigkeiten, aber auch ihres Geschlechts und ihrer Herkunft –
zahlreiche
Länder wollen diesmal
eine
osteuropäische Frau – als
Favoritin
für das Amt.
● Die Moldauerin Natalia Gherman (* 1969, PLDM/EVP/IDU), bis vor wenigen Wochen nationale Außenministerin, gilt als starke Befürworterin einer Annäherung ihres Landes an die EU und dürfte deshalb Schwierigkeiten haben, die Zustimmung Russlands im Sicherheitsrat zu gewinnen. Andererseits stammen die meisten ihrer Gegenkandidaten aus Ländern, die schon jetzt Mitglied in EU oder NATO sind, was aus russischer Sicht nicht unbedingt besser wäre.
● Der Portugiese António Guterres (* 1949, PS/SPE/SI) ist an einschlägiger politischer Erfahrung kaum zu übertreffen: 1995-2002 war er Premierminister seines Landes, 1999-2005 Präsident der Sozialistischen Internationale, 2005-15 Hoher UN-Kommissar für Flüchtlinge. Als männlicher Westeuropäer ist er allerdings nur für solche Regierungen wählbar, die weder auf Regional- noch auf Geschlechterquoten besonderen Wert legen.
● Der Mazedonier Srgjan Kerim (* 1948, parteilos) ist der älteste der Kandidaten. 2001 unterzeichnete er als Außenminister ein Assoziierungsabkommen seines Landes mit der EU, war dann UN-Botschafter, 2007-08 Präsident der Generalversammlung und 2008-09 Sondergesandter des UN-Generalsekretärs für den Klimawandel. Derzeit leitet er das mazedonische Medienunternehmen MPM.
● Der Montenegriner Igor Lukšić (* 1976, DPS/SPE/SI), der jüngste der Kandidaten, war 2010-12 Ministerpräsident und anschließend Außenminister seines Landes. In diesem Amt suchte er nicht nur die Annäherung an die EU, sondern schloss Ende 2015 auch Beitrittsverhandlungen mit der NATO ab – sehr zum Ärger Russlands, was für seine Kandidatur nicht allzu förderlich sein dürfte.
● Die Kroatin Vesna Pusić (* 1953, HNS/ALDE/LI) war bis vor wenigen Wochen Außenministerin ihres Landes. Das Kabinett, dem sie angehörte, wurde inzwischen allerdings abgewählt, und die Nachfolgeregierung hat anscheinend wenig Interesse, ihre Kandidatur weiter zu unterstützen. Auch wenn das für die Wahl kein formales Hindernis ist, werden sich ihre Chancen dadurch deutlich verschlechtern.
● Der Slowene Danilo Türk (* 1952, parteilos) war 1992-2000 Beigeordneter UN-Generalsekretär für Politische Angelegenheiten und 2007-12 Präsident seines Landes. Dass ein Schwerpunkt seiner politischen Arbeit im Bereich der Menschenrechte liegt, wird wohl nicht allen Vetomächten gefallen; und auch der weitverbreitete Wunsch nach einer Frau als nächster Generalsekretärin spricht gegen ihn. Trotzdem dürfte er dank seiner einschlägigen Vorerfahrungen und seines globalen Netzwerks Irina Bokovas wichtigster Konkurrent sein.
Die
Lebensläufe und offiziellen Bewerbungsdokumente aller Kandidaten
sind hier
auf der Seite des Präsidenten der UN-Generalversammlung zu finden;
weitere
werden gegebenenfalls folgen. Der
Wahlkampf um
das wichtigste Amt der globalen Exekutive hat begonnen. Bleiben
Sie dran.
Bild: By UNAMA News [CC BY-NC 2.0], via Flickr.
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