Im
Westen lassen sich die Briten eine Extrawurst nach der nächsten
servieren. Im Norden sind die Skandinavier ebenfalls
nur widerwillig dabei. Im Osten verweigern
sich die Visegrád-Staaten einer solidarischen Lösung der
Flüchtlingskrise – ganz abgesehen davon, dass in einigen von ihnen
Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit immer mehr unter Druck geraten. Und im
Süden grassiert die Massenarbeitslosigkeit und die nationalen
Regierungen, die in der Eurokrise den Kurs der europäischen
Institutionen mitgetragen haben, verlieren eine Wahl nach der
nächsten. Kein
Wunder also, dass sich im Zentrum der EU, speziell in den beiden
größten Mitgliedstaaten Deutschland und Frankreich, in letzter Zeit
Frustration ausbreitet.
Gerade von Menschen, die es mit der europäischen Einigung gut meinen, hört man immer öfter, dass die Integration zu 28 offenbar so nicht funktionieren kann. Die EU scheint zu heterogen geworden zu sein, die Probleme und Zielvorstellungen der einzelnen Länder zu unterschiedlich, die Blockademöglichkeiten zu groß. Die Hoffnung auf eine baldige Wiederbelebung der Integrationsdynamik klingt zunehmend utopisch. Und zuletzt stellen viele Europafreunde – oft mit ehrlichem Bedauern – fest, dass die einzige Lösung offenbar in mehr „differenzierter Integration“ besteht: in der Herausbildung eines „Kerneuropas“, das auf dem Weg der Einigung voranschreitet, wenn nötig eben ohne die Länder der Peripherie.
Gerade von Menschen, die es mit der europäischen Einigung gut meinen, hört man immer öfter, dass die Integration zu 28 offenbar so nicht funktionieren kann. Die EU scheint zu heterogen geworden zu sein, die Probleme und Zielvorstellungen der einzelnen Länder zu unterschiedlich, die Blockademöglichkeiten zu groß. Die Hoffnung auf eine baldige Wiederbelebung der Integrationsdynamik klingt zunehmend utopisch. Und zuletzt stellen viele Europafreunde – oft mit ehrlichem Bedauern – fest, dass die einzige Lösung offenbar in mehr „differenzierter Integration“ besteht: in der Herausbildung eines „Kerneuropas“, das auf dem Weg der Einigung voranschreitet, wenn nötig eben ohne die Länder der Peripherie.
Doch
so populär die Rede von einem Kerneuropa gerade ist, so unklar sind
im Einzelnen die Pläne dazu. Und blickt man genauer hin, so tun sich
schnell eine ganze Reihe von Problemen auf, für die die Befürworter
dieses Vorschlags meist keine allzu überzeugenden Antworten haben.
Vor allem drei zentrale Fragen bleiben oft offen: Mit welchen
Staaten, mit welchen Institutionen und mit welchem Zweck soll Kerneuropa
vorangetrieben werden?
Mit
welchen Staaten?
In Bezug auf die Wirtschaftspolitik ist die Grenzziehung einigermaßen
klar: Kerneuropa,
das ist die Eurozone. Damit die Währungsunion funktionieren
kann, müssen ihre Mitgliedstaaten ihre Haushalts-, Sozial- und
Konjunkturpolitik noch viel besser als bisher miteinander verknüpfen.
Für die Nicht-Euro-Staaten ist das nicht in demselben Maße
notwendig, und viele von ihnen sind dazu auch nicht bereit. Also muss
sich die Eurozone weiter integrieren, während der Rest womöglich
erst einmal zurückbleibt.
Allerdings: Wirtschaft ist nicht alles in der EU, und wenn es um
innen- oder grenzpolitische Fragen geht, sind die Mitgliedstaaten der
Währungsunion keineswegs alle naheliegende Kandidaten für ein
harmonisch kooperierendes Kerneuropa. So gehören zur Eurozone
beispielsweise Griechenland, das seine Außengrenze nicht effektiv
unter Kontrolle hat und dessen Asylsystem der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte schon
seit mehreren Jahren für erniedrigend und unmenschlich hält,
die Slowakei, deren Regierung wie
keine zweite eine europaweite Umverteilung von Flüchtlingen
blockiert, oder Irland, das nicht einmal Mitglied im
Schengen-Raum ist.
„Mini-Schengen“
zu fünft?
Verschiedentlich
kursieren deshalb in jüngster
Zeit auch Ideen, das
politische Kerneuropa noch enger zu fassen.
So ist beispielsweise von
einem „Mini-Schengen“ aus
Deutschland, Österreich und den Benelux-Ländern die Rede; die
italienische Regierung organisierte vor einigen Wochen ein
Außenminister-Treffen
der sechs EG-Gründungsstaaten; und der Spiegel-Online-Kolumnist
Henrik Müller sprach jüngst von einem „harten
Kern um Frankreich, Deutschland und die Benelux-Länder“.
Diese
kleineuropäischen Pläne irritieren jedoch aus mehreren Gründen.
Zum einen ist für das europäische Einigungsprojekt die territoriale
Reichweite eben doch nicht ganz gleichgültig: Ob ein überstaatlicher
Raum ohne Binnengrenzen 26 Länder umfasst (wie Schengen heute) oder
nur fünf, ist ein bedeutender Unterschied an persönlicher Freiheit
für die reisenden Bürger.
Die
Integrationsbremser sitzen nicht nur an der Peripherie
Zum
anderen ließe der Rückzug auf einen solchen Miniatur-Kern Millionen
Europäer außen vor, die große politische Hoffnungen auf das
Integrationsprojekt gesetzt haben – etwa die Spanier, die in
Umfragen regelmäßig zu den europafreundlichsten Unionsbürgern
zählen, oder auch jene Polen, die in Demonstrationen gegen die
derzeitige nationalkonservative Regierung immer
wieder auch Europafahnen schwenken.
Und
schließlich ist auch die Vorstellung naiv, dass die
Integrationsbremser immer nur an der europäischen Peripherie säßen.
Wenn es etwa darum geht, der Europäischen Union mehr
finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, gehören die
„Kernstaaten“ Deutschland und die Niederlande regelmäßig
zu den wichtigsten Blockierern. Rechtlich hat kein Land einer
weiteren Vergemeinschaftung zentraler Politikfelder so hohe Hürden
entgegengestellt wie das
deutsche Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil. Es waren
Frankreich und die Niederlande, die 2005 den EU-Verfassungsvertrag in
Referenden ablehnten. Und nirgendwo in Europa ist die
Wahrscheinlichkeit, dass in drei Jahren nationalistische
Rechtsaußen-Parteien an der Regierung beteiligt sind, so
hoch wie in den Niederlanden und in Österreich.
Mit
welchen Institutionen?
Auch
mit welchen Institutionen Kerneuropa eigentlich ausgestattet sein
soll und wie diese sich zu den existierenden Organen der EU verhalten
würden, bleibt in der derzeitigen Diskussion meist unterbelichtet.
Tatsächlich beinhaltet der EU-Vertrag mit der Verstärkten
Zusammenarbeit schon heute ein Verfahren, mit dem eine
Staatengruppe bei der Integration allein voranschreiten kann. Die
EU-Organe (in der Regel Kommission, Europäisches Parlament und
Ministerrat, wobei im Rat nur die Regierungen der beteiligten Staaten
ein Stimmrecht haben) können dadurch Rechtsakte erlassen, die nur
für diese Staatengruppe gelten, während die übrigen Länder für
das entsprechende Politikfeld weiterhin nationale Gesetze anwenden.
Allerdings
haben die Kerneuropa-Befürworter bei ihren Vorschlägen meist eher
keine solche Verstärkte Zusammenarbeit im Sinn, sondern
wollen stattdessen eigene kerneuropäische Institutionen schaffen.
Dahinter steht eine grundsätzlich nachvollziehbare Überlegung: In
einer Verstärkten Zusammenarbeit geben nur die beteiligten Staaten
Macht an die EU-Organe ab; das Parlament und die Kommission werden
jedoch von allen Europäern
gewählt. Im
Ergebnis können die Bürger
der nicht beteiligten Staaten
also über Angelegenheiten
mitbestimmen, die sie selbst
gar nicht
direkt betreffen – was
nicht nur demokratisch unschön ist, sondern auch ein
machtpolitischer Nachteil für gerade jene Staaten wäre,
die sich doch
als Kerneuropa vom Rest
emanzipieren wollen.
Parlamentarische
Versammlung oder Euro-Kammer?
Wie
aber könnten eigene kerneuropäische Institutionen aussehen? In
Bezug auf die Eurozone läuft die politische Debatte dazu bereits
seit einer ganzen Weile. Zur
parlamentarischen Legitimation tauchen dabei vor allem zwei
Vorschläge immer wieder auf: Man könnte eine neue parlamentarische
Versammlung schaffen, in der
Delegierte der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten vertreten
sind. Oder man könnte innerhalb
des Europäischen Parlaments eine spezielle „Eurokammer“
schaffen, die sich nur aus Abgeordneten zusammensetzt, die in den
Euro-Ländern gewählt wurden.
Wie
ich an
anderer Stelle schon ausführlicher geschrieben habe, finde
ich keinen dieser beiden Vorschläge allzu überzeugend.
Parlamentarische
Versammlungen haben noch niemals eine allzu große
Legitimationswirkung entfaltet: Auch
das Europäische Parlament, das in den 1950er Jahren zunächst als
Parlamentarische Versammlung eingerichtet wurde, begann erst eine
relevante Rolle zu spielen, seitdem
es 1979 zum ersten Mal direkt gewählt wurde.
Zudem gibt es schon
heute eine
interparlamentarische Konferenz der Mitgliedstaaten des
Euro-Fiskalpakts. Dass
diese den meisten Menschen völlig unbekannt ist, dürfte kein Zufall
sein.
Der
Vorschlag einer Eurokammer innerhalb des Europäischen Parlaments
wiederum widerspricht der Idee, dass die Europaabgeordneten Vertreter
aller Unionsbürger sind – und
eben nicht nur die Interessen ihrer jeweiligen Herkunftsstaaten
repräsentieren. Vor allem
aber verträgt sich der
Vorschlag nicht mit
zwei anderen
zentralen
Vorhaben für die Demokratisierung der EU, nämlich
mit der Einführung
transnationaler Wahllisten und
der Wahl
der Europäischen Kommission direkt durch das Europäische Parlament.
Mehr
Kerneuropa, weniger Demokratie?
Faktisch dürfte eine Institutionalisierung von Kerneuropa deshalb
auf etwas ganz anderes hinauslaufen: nämlich schlicht auf eine
Umgehung und Schwächung parlamentarischer Verfahren. Auch hierfür
gibt es schon heute einige Beispiele. Der Europäische
Stabilitätsmechanismus etwa sieht
auf europäischer Ebene keinerlei parlamentarische Mitspracherechte
vor, sondern setzt allein auf die Zusammenarbeit der nationalen
Regierungen. Und in den Vorschlägen, die verschiedene nationale
Regierungen vergangenen Sommer für die Weiterentwicklung der
Währungsunion präsentierten, spielte
die parlamentarische Demokratie bestenfalls eine Nebenrolle.
Wie
es derzeit aussieht, wird mehr Kerneuropa mehr
Intergouvernementalismus und damit weniger Demokratie bedeuten. Die
einzige plausible Alternative dazu bestünde darin, die
kerneuropäischen Institutionen von Grund auf
bundesstaatlich-demokratisch
zu gestalten. In der schon zitierten Kolumne
von Henrik Müller heißt es etwa, die Kerneuropa-Länder sollten „sich zu einer echten Föderalgemeinschaft
zusammenschweißen – mit allem, was dazu gehört: Parlament,
Regierung, Währung, Armee“. Aber ist das auf absehbare Zeit ein
realistisches Szenario? Ist es tatsächlich das, was die große Mehrheit
der Kerneuropa-Fürsprecher im Sinn hat? Und würde Kerneuropa
wirklich für so viele Dinge zuständig sein, dass sich ein solcher
Aufwand lohnt?
Mit
welchem Zweck?
Und hier ist das dritte Problem der derzeitigen Diskussion: Allzu
häufig ist das Schlagwort „Kerneuropa“ nur als Reaktion zu
hören, wenn wieder einmal die Briten oder die Osteuropäer nerven
und man sich wünschte, dass diese ganze europäische Politik doch
irgendwie ein kleines bisschen einfacher würde. Welche Maßnahmen
man im Kerneuropa-Rahmen im Einzelnen durchführen möchte, welche
Zuständigkeiten diese Zwischenebene konkret haben sollte oder in
welcher Weise sie genau dazu beitragen könnte, die Europapolitik
effizienter und demokratischer zu gestalten, wird dagegen nur selten
erklärt.
Tatsächlich ist diese Unklarheit über den Zweck von Kerneuropa auch
eine wesentliche Ursache für die Verwirrungen über seine
territoriale und institutionelle Gestalt. Es macht eben einen
Unterschied, ob man nur eine harmonischere Konjunkturpolitik für die
Währungsunion will oder einen vollwertigen supranationalen
Bundesstaat anstrebt. Beides wird auf Ebene der Gesamt-EU (wenigstens
in absehbarer Zeit) kaum zu verwirklichen sein und erfordert deshalb
irgendeine Form von differenzierter Integration. Doch die Frage,
welche Staaten sich daran beteiligen könnten und welchen
institutionellen Rahmen man ins Auge fasst, lässt sich erst dann
beantworten, wenn man sich darüber im Klaren ist, worin das Vorhaben
eigentlich genau besteht.
Also, liebe Kerneuropa-Vordenker: Arbeitet euch nicht an
Großbritannien ab, sondern formuliert lieber eure eigene Vision für
Europa – und erklärt uns, mit welchen Staaten, welchen
Institutionen und welchem Zweck ihr sie verwirklichen wollt. Wenn
diese Vision dann wirklich zu mehr Freiheit und Demokratie beitragen
kann, so sei sie willkommen. Aber die konstitutionelle Zukunft des
Kontinents ist zu wichtig für ein Kerneuropa, das nur aus
Frustration geboren ist.
Bild: By abu a.k.a Andrzej Burak [Public domain], via Wikimedia Commons.
Ein anderer Ansatz, den man in der Literatur auch öfter wieder findet, ist die Idee von einem mehrspurigen Europa, das teilweise ja schon existiert (Schengen, Eurozone, UK), aber noch ausgebaut werden könnte. So könnten die verschiedenen Staaten in der Geschwindigkeit, in den Politikfeldern wie auch in den "Endzielen" selbst wählen, wie weit sie wo gehen wollen. Die Frage, wie dies in der Praxis aussieht, besteht natürlich weiterhin, allerdings könnte es so flexibler gestaltet werden, anstatt es nur auf Kerneuropa, Mini-Schengen o.ä. zu fokussieren. Besonders europäisch ist der Gedanke zwar nicht, aber vielleicht ein Lösungsansatz, über den es sich nachzudenken lohnt.
AntwortenLöschenNur damit ich es richtig einordnen kann. Sie befürworten eine europäische Arbeitslosenversicherung und stehen gleichzeitig einem Kerneuropa skeptisch gegenüber?
AntwortenLöschenVor allem stehe ich Kerneuropa-Vorschlägen skeptisch gegenüber, die nicht deutlich machen, mit welchem Zweck, welchen Staaten und welchen Institutionen Sie verwirklicht werden sollen. Sinnvolle Ideen, die nicht zu 28 realisiert werden können und die auch in einem kleineren Rahmen noch sinnvoll sind, können natürlich ein guter Grund für differenzierte Integration sein - insbesondere wenn dabei die Institutionen der Gesamt-EU nicht geschwächt werden.
LöschenSo kann ich das zumindest einordnen, auch wenn ich denke, dass z.B. der Bericht der fünf Präsidenten genau diese Fragen beantwortet.
Löschenhttp://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5240_de.htm