Für
die Parteien rechts der christdemokratischen Europäischen
Volkspartei war 2015 ein erfolgreiches Jahr. Nachdem sie schon bei
der Europawahl 2014 so
gut abgeschnitten hatten wie nie zuvor, kletterten sie seit
Januar 2015 in den Umfragen europaweit von
einem Rekordhoch zum nächsten. Trotzdem: Selbst jetzt, inmitten
von Flüchtlingskrise und Terrorismus-Angst, kämen
rechtskonservative, nationalpopulistische und europaskeptische
Parteien bei einer Europawahl allenfalls auf ein knappes Viertel der
Sitze im Europäischen Parlament – weit entfernt von einer Mehrheit
und überdies von den übrigen politischen Kräften weitgehend
isoliert. Wirklichen Einfluss auf die Politik der EU können die
Rechtsparteien deshalb nur über Erfolge in den Mitgliedstaaten und
die nationalen Regierungen im Ministerrat erreichen.
Wie
aber steht es um die Präsenz rechter Parteien in den nationalen
Regierungen der EU? Und vor allem: Was werden die nächsten Jahre
bringen?
Die
drei europäischen Rechtsparteien
Zur
Erinnerung: Derzeit gibt es rechts der Christdemokraten drei große
europäische Parteien, von denen jede eine Fraktion im Europäischen
Parlament hat. Allerdings sind die Parteien und Fraktionen nicht
exakt deckungsgleich; jeder der Fraktionen gehören noch nationale
Einzelparteien an, die nicht in der EU-Partei organisiert sind. Auch
die Namen von Fraktion und Partei unterscheiden sich jeweils leicht.
In Reihenfolge steigender Radikalität sind diese Parteien:
●
erstens die rechtskonservative Allianz
der Europäischen Konservativen und Reformisten (AEKR, Fraktion:
EKR), in
der die britischen Conservatives
und die polnische
PiS
tonangebend sind,
●
zweitens die europaskeptisch-populistische Allianz
für Direkte Demokratie in Europa (ADDE, Fraktion: EFDD)
um Nigel Farage und die britische UK Independence Party,
●
drittens
die stramm
nationalistische Bewegung
für ein Europa der Nationen und der Freiheit (BENF,
Fraktion: ENF),
initiiert
durch den französischen
Front National um Marine Le Pen.
Einfluss
auf sieben nationale Regierungen
Mitglieder
dieser Parteien und Fraktionen nehmen derzeit auf sieben europäische
Regierungen Einfluss. Besonders erfolgreich waren dabei im letzten
Jahr Parteien, die der AEKR angehören oder nahestehen. Ihre beiden
größten Mitglieder erzielten 2015 jeweils eine absolute Mehrheit
und stellen mit David Cameron in Großbritannien und Beata
Szydło in
Polen zwei nationale
Regierungschefs. Zwei
weitere AEKR-Mitglieder,
die finnischen PS und die
lettische NA, sind
in ihren Ländern
Juniorpartner in
Mitte-Rechts-Koalitionen.
Hinzu
kommt
die griechische ANEL, die nicht der AEKR, aber der EKR-Fraktion
angehört und
seit Januar
als kleiner
Partner der linken Syriza
(EL) an der
griechischen Regierung
beteiligt ist.
Die dänische DF, ebenfalls
Mitglied der EKR-Fraktion, wurde bei der nationalen Parlamentswahl im
Juni stärkste Kraft des konservativen Lagers und
toleriert nun ein
Minderheitskabinett der liberalen Partei
Venstre (ALDE).
Die
ADDE hingegen ist in nur einem Land an der Regierung beteiligt,
nämlich in Litauen, wo ihre Mitgliedspartei TT einer
sozialdemokratisch geführten Regenbogenkoalition angehört. Die
radikale BENF schließlich regiert bislang in keinem einzigen
EU-Staat.
Folgenreiche
AEKR-Alleinregierungen
Vergleicht
man diese sieben Regierungsbeteiligungen, so zeigen sich von Land zu
Land erhebliche Unterschiede. Wo die rechten Parteien nur als
Juniorpartner mitregieren, hält sich ihr Einfluss bislang meist in Grenzen. In
Großbritannien und Polen hingegen zeigen die AEKR-Alleinregierungen
deutliche Folgen: Bei den britischen Conservatives betrifft dies vor
allem die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die in
dem von David Cameron einberufenen Austrittsreferendum auf dem
Spiel steht. In Polen wiederum hat die erst vor wenigen Wochen
gewählte PiS-Regierung in kurzer Zeit Reformen
in Gang gesetzt, die das Land nach innen autoritärer machen werden,
und sucht auch mit den EU-Institutionen die Konfrontation.
Ist
in Zukunft mit weiteren solchen Entwicklungen zu rechnen? Hier ein
kleiner Überblick über die in den nächsten drei Jahren anstehenden
Wahlen, bei denen rechte Parteien Aussicht auf eine
Regierungsbeteiligung haben.
Slowakei:
Rückkehr der SNS?
2016
dürfte in dieser Hinsicht ein eher ruhiges Jahr werden. Obwohl von
Irland über Zypern bis Rumänien in zahlreichen EU-Ländern Wahlen
stattfinden, können rechte Parteien nirgendwo mit größeren
Erfolgen, geschweige denn einer Regierungsbeteiligung rechnen. Die
einzige Ausnahme sind die slowakischen
Wahlen im März 2016. Hier könnte die bislang allein regierende
sozialdemokratische SMER (SPE) künftig einen Koalitionspartner
brauchen, wofür verschiedene kleinere Parteien in Frage kämen. Eine
davon ist die rechtsnationalistische SNS, mit der die SMER schon
einmal von 2006 bis 2010 eine Koalition bildete.
Allerdings
führte dieses Bündnis damals zu scharfer Kritik und einer
zeitweiligen Suspendierung der SMER-Mitgliedschaft in der
Sozialdemokratischen Partei Europas. Es ist deshalb fraglich, ob sich
die SMER noch einmal auf diese Koalitionsoption einlassen würde –
umso mehr, als es erst vor wenigen Wochen aufgrund der
Flüchtlingskrise erneut zu Spannungen zwischen ihr und den anderen
SPE-Parteien kam, die nur
mit einiger Mühe beigelegt werden konnten.
Niederlande:
PVV stärkste Kraft
Zum
Schlüsseljahr für die rechten Parteien in Europa dürfte hingegen
2017 werden. Den Auftakt macht dabei die niederländische
Parlamentswahl im März. Die PVV, eine der prominentesten
BENF-Mitgliedsparteien, ist hier derzeit in Umfragen mit Abstand die
stärkste Kraft und könnte rund 35 der 150 Parlamentssitze
erreichen. Rechnerisch wäre damit eine Mitte-Rechts-Koalition der
PVV mit der rechtsliberalen VVD (ALDE) und dem christdemokratischen
CDA (EVP) möglich.
Ob
diese sich tatsächlich darauf einlassen würden, den umstrittenen
PVV-Chef Geert Wilders zum Premierminister zu wählen, ist freilich
unklar. Für die PVV spricht allerdings, dass in dem stark
zersplitterten niederländischen Parteiensystem derzeit keine
plausible alternative Mehrheit in Sicht ist: Für eine
Regierungsbildung ohne die Rechtspopulisten müssten sich mindestens
fünf andere Parteien zu einer Koalition zusammenfinden.
Frankreich:
Marine Le Pen und der FN
Wenige
Wochen nach der niederländischen Wahl wird dann Frankreich folgen:
zunächst mit der Präsidentschaftswahl
im April, dann mit der Parlamentswahl
im Juni. Mit Marine Le Pen und ihrem Front National (FN/BENF) tritt
hier die wohl bekannteste Führungsfigur der europäischen Rechten
an. Ihr möglicher Wahlsieg wurde schon in der Vergangenheit gern als politisches
Worst-Case-Szenario für die EU beschrieben; und dass der FN gestern mit fast 30 Prozent in der ersten Runde der Regionalwahlen zur meistgewählten Partei wurde, heizt erst recht die Spekulationen an.
Immerhin:
Allzu wahrscheinlich scheint ein Triumph Le Pens derzeit nicht. Folgt
man den aktuellen Wahlumfragen,
ist das plausibelste Szenario vielmehr, dass sie bei der
Präsidentschaftswahl zwar in die Stichwahl kommen, dort aber deutlich verlieren wird, und zwar unabhängig davon, ob der Gegenkandidat Nicolas Sarkozy oder Alain Juppé von den Républicains (EVP) oder Manuel Valls vom PS (SPE) sein wird. Eine Chance hätte Le Pen nur gegen den unbeliebten amtierenden Präsidenten François Hollande (PS/SPE), aber der dürfte ohnehin kaum in die Stichwahl einziehen.
Größere
Unsicherheit besteht hingegen bei der Parlamentswahl: Durch das
Zwei-Runden-Mehrheitswahlverfahren
könnte der FN entweder drastisch an Sitzen dazugewinnen – oder auch weitgehend
bedeutungslos bleiben, wenn sich die übrigen Parteien in der zweiten
Runde jeweils hinter einem gemeinsamen Kandidaten vereinigen.
Letzteres war in der Vergangenheit die Regel, ist inzwischen jedoch vor allem unter
den Spitzenpolitikern der Républicains umstritten.
Italien:
LN, M5S und das Wahlsystem
In
doppelter Hinsicht besonders ist die italienische
Parlamentswahl, die voraussichtlich Anfang 2018 stattfinden wird.
Zum einen gibt es hier gleich zwei konkurrierende europaskeptische
Parteien: die rechte Lega Nord (LN/BENF) und das populistische
Movimento Cinque Stelle (M5S), das keiner europäischen Partei
angehört, aber der ADDE nahesteht. Zum anderen wird es die erste
Wahl sein, bei der das ungewöhnliche neue
italienische Wahlrecht zur Anwendung kommt. Dieses sieht zwei
Wahlgänge vor, wobei es in der zweiten Runde zu einer Stichwahl
zwischen den beiden Listen kommt, die im ersten Wahlgang landesweit
die meisten Stimmen erhalten haben; der Gewinner der Stichwahl
gewinnt dann automatisch eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze.
Nach
den aktuellen Umfragen hätten drei „Lager“ eine Chance, in diese
Stichwahl einzuziehen: der derzeit regierende sozialdemokratische PD
(SPE), das M5S sowie eine mögliche gemeinsame rechte Liste der Lega
Nord mit der Berlusconi-Partei Forza Italia (FI/EVP). Für die
Stichwahl sehen die Umfragen PD und M5S praktisch Kopf an Kopf,
während beide gegenüber der rechten Liste einen knappen Vorsprung
hätten. Insgesamt aber sind die Ergebnisse so knapp, dass bis 2018
alles möglich scheint.
Ungarn:
Jobbik stärkste Oppositionspartei
In
Ungarn, wo ebenfalls 2018
eine Parlamentswahl stattfindet, gehört die Regierungspartei
Fidesz zwar zur christdemokratischen EVP; sie bildet aber deren
äußersten rechten Flügel und betreibt seit
Jahren eine Entdemokratisierung des Landes. Noch problematischer
wird die Situation dadurch, dass die stärkste Oppositionspartei mit
gut 20 Prozent die rechtsextreme und teils offen antidemokratische
Jobbik ist, mit der selbst die BENF eine Zusammenarbeit ablehnt. Die
drei Mitte-Links-Parteien MSzP (SPE), LMP (EGP) und DK (SPE-nah)
hingegen kommen jeweils nur auf 5 bis 10 Prozent und sind weit von
einer regierungsfähigen Mehrheit entfernt.
In
den aktuellen Umfragen erscheint die absolute Mehrheit der Fidesz
nicht gefährdet. Wie die politische Lage sich entwickeln würde,
falls sie sie doch verpassen sollte, lässt sich kaum absehen: Die
Mitte-Links-Parteien wären wohl kaum bereit, dem autoritären
Ministerpräsident Viktor Orbán das Amt zu retten – aber würde
dieser sich seinerseits auf Jobbik stützen wollen?
Schweden:
alle gegen die SD
In
Schweden steht die nächste Parlamentswahl
im Herbst 2018 an,
und auf den ersten Blick ist
die Lage auch hier verfahren: Umfragen
sehen die rechtspopulistischen Sverigedemokraterna (SD/ADDE) bei gut
20 Prozent, nahezu gleichauf mit SAP (SPE) und Moderaterna (EVP). Es
ist deshalb durchaus wahrscheinlich, dass nach der Wahl weder
das „rot-grüne Lager“ um die
SAP noch die
liberalkonservative „Allianz“ um die
Moderaterna eine Mehrheit im
Parlament haben wird.
Allerdings
haben die beiden großen demokratischen Lager für diese Situation
bereits vorgebeugt: Ende 2014 schlossen fast alle Parlamentsparteien
das sogenannte
Dezemberabkommen (Wortlaut),
dem zufolge bis 2022 das jeweils unterlegene Lager zulassen wird,
dass das erfolgreiche Lager eine Minderheitsregierung bildet. Sinn
dieser Einigung ist die Isolierung und faktische parlamentarische Neutralisierung
der Sverigedemokraterna: Wenn Rot-Grüne und Allianz dem Abkommen
treu bleiben, werden die Rechtspopulisten für die Regierungsbildung
in Schweden keine Rolle spielen.
Österreich:
FPÖ gefährdet Mehrheit der Großen Koalition
Den
Abschluss dieser Drei-Jahres-Vorausschau macht schließlich
Österreich, wo ebenfalls spätestens im
Herbst 2018 gewählt wird. Die
rechtspopulistische FPÖ (BENF) ist hier schon seit vielen
Jahren so stark, dass eine
stabile Regierungsbildung
ohne sie nur durch eine Große Koalition aus SPÖ (SPE) und ÖVP
(EVP) möglich ist. Seit
einiger Zeit allerdings sagen die Umfragen für die nächste Wahl
noch eine weitere Verschärfung der Lage voraus: Wäre
heute Parlamentswahl, würde die FPÖ mit gut 30 Prozent stärkste
Partei; und SPÖ
und ÖVP besäßen erstmals
in der Geschichte gemeinsam keine Mehrheit mehr im Parlament.
Wie
die Parteien darauf reagieren würden, ist unklar. Die
ÖVP, die
bereits von 2000 bis 2005 eine Koalition
mit der FPÖ bildete,
hielt sich diese Option auch
später stets offen;
und auch die SPÖ hat sich
auf regionaler Ebene erst
vor wenigen Monaten auf
ein Bündnis mit der FPÖ eingelassen. Allerdings
stellten ÖVP und SPÖ dabei
jeweils selbst den
Regierungschef, während sie
nun nur noch Juniorpartner
einer FPÖ-Regierung wären.
Als Alternative käme eine
Erweiterung der Großen Koalition um Grüne (EGP) oder NEOS (ALDE) in
Frage. Vor allem aber dürften
die österreichischen Regierungsparteien darauf setzen, dass es bis
zur Wahl ja
noch eine Weile dauert
– und hoffen, dass die FPÖ
in der Wählergunst bis 2018 wieder verliert.
Fazit
Der Trend ist bedrohlich: Bei den Wahlen in den nächsten Jahren werden Parteien rechts der EVP in vielen EU-Mitgliedstaaten an Stimmen gewinnen, teilweise wohl auch stärkste Kraft ihres Landes werden. Zudem kommen innerhalb des rechten Spektrums zunehmend extremere Parteien zum Zuge: Während
2015 vor allem die
nationalkonservative AEKR Erfolge feierte, dürfte
bei den Wahlen 2017/18
besonders die radikale
BENF zulegen. Im äußersten Fall könnte diese in drei Jahren gleich vier nationale Regierungschefs stellen.
Wahrscheinlich ist dieses Szenario jedoch nicht: Wirklich gute Siegchancen haben nach den heutigen Umfragen nur die niederländische PVV und die österreichische FPÖ – und auch diese könnten jeweils durch eine Mehrparteienkoalition von der Regierung ferngehalten werden. Die größte Gefahr dürfte deshalb anderswo liegen: nämlich darin, dass die Parteien der demokratischen Mitte beginnen, aus Furcht vor den Rechtspopulisten nach und nach selbst deren Positionen zu übernehmen.
Wahrscheinlich ist dieses Szenario jedoch nicht: Wirklich gute Siegchancen haben nach den heutigen Umfragen nur die niederländische PVV und die österreichische FPÖ – und auch diese könnten jeweils durch eine Mehrparteienkoalition von der Regierung ferngehalten werden. Die größte Gefahr dürfte deshalb anderswo liegen: nämlich darin, dass die Parteien der demokratischen Mitte beginnen, aus Furcht vor den Rechtspopulisten nach und nach selbst deren Positionen zu übernehmen.
Bild: By Blandine Le Cain (Meeting 1er mai 2012 Front National) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons.
Vielleicht müsste man auch Deutschland erwähnen. Sollte die AfD in den Bundestag einziehen, könnte die Große Koalition selbst über Experimente wie Schwarz-Grün, Jamaika oder Rot-Rot-Grün nicht mehr verhindert werden.
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