Die
Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den
inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in
allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so
den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen
Benennungstraditionen? Heute: Die Sozialdemokratische Partei Europas. (Zum Anfang der Serie.)
- Sozialisten, Demokraten, Sozialdemokraten? Der Unterschied ist nur eine Nuance, bereitet der SPE aber einiges Kopfzerbrechen.
Wie
Europas große Mitte-Links-Partei eigentlich genau heißt, ist gar
nicht so einfach zu sagen. Auf Englisch nennt sie sich Party of
European Socialists (PES,
„Partei Europäischer Sozialisten“), auf Französisch Parti
Socialiste Européen (PSE,
„Europäische Sozialistische Partei“), auf Deutsch
Sozialdemokratische Partei Europas (SPE).
Auch wenn die Unterschiede
nur in Nuancen liegen, machen
sie doch zweierlei deutlich: Zum einen, dass die europäischen
Sozialdemokraten (oder Sozialisten) in
ihrer Selbstbezeichnung durchaus
auf feine Konnotationen
achten. Und zum anderen, dass diese Konnotationen offenbar nicht in
jedem Land und jeder Sprache dieselben
sind.
So
wird der Begriff
„sozialistisch“ in
einigen Ländern vor allem
mit einer
links-autoritären Ideologie
in Verbindung gebracht –
etwa in Deutschland, wo sich
die dominierende Organisation
der DDR als Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
(SED) bezeichnete. Entsprechend
groß ist in diesen Ländern
das Bedürfnis der
SPE-Mitglieder, sich als
„Sozialdemokraten“ auch
zu einem freiheitlichen politischen System zu bekennen. In
anderen Staaten hingegen
weckt der
Begriff „sozialistisch“
keine derartigen
Assoziationen. Und in
Portugal steht gar
„sozialdemokratisch“ für eine Mitte-Rechts-Position: nämlich
die des Partido Social Democrata (PSD,
„Sozialdemokratische Partei“), der
auf EU-Ebene Mitglied der christdemokratisch-konservativen Europäischen Volkspartei ist.
Sozialisten und Sozialdemokraten
Diese
unterschiedlichen Konnotationen führen nicht
nur dazu, dass die SPE auf
europäischer Ebene je nach Sprache etwas unterschiedliche Namen
führt, sondern
schlagen sich natürlich auch in der Bezeichnung
ihrer Mitglieder
auf nationaler Ebene nieder. Unter
den gut dreißig
nationalen SPE-Mitgliedsparteien tragen
zehn den Namensbestandteil „sozialistisch“, fünfzehn
„sozialdemokratisch“ –
wobei erstere
Version
vor allem im Süden und
Westen, letztere im
Norden und Osten der EU verbreitet ist.
Eine
„Sozialistische Partei“ gibt es demnach zum
Beispiel in Frankreich und Belgien (jeweils Parti
Socialiste, PS), Portugal
(Partido Socialista, PS)
oder
Italien (Partito Socialista Italiano, PSI);
eine
„Sozialdemokratische Partei“ hingegen
in Estland
(Sotsialdemokraatlik Erakond, SDE),
Finnland (Suomen
Sosialidemokraattinen Puolue, SDP),
Tschechien
(Česká
strana sociálně demokratická, ČSSD)
oder
Rumänien
(Partidul Social Democrat,
PSD).
Vor
allem im Osten ist der Zusatz „-demokratisch“ verbreitet
Dass
der Zusatz „-demokratisch“
vor allem in
den ehemaligen
Ostblockstaaten verbreitet
ist, ist dabei natürlich
kein Zufall: Schließlich
haben diese
Länder Diktaturen erlebt,
die sich selbst als „sozialistisch“ bezeichneten und
von denen sich die
Mitte-Links-Parteien (die
nach 1989 teilweise
als Neugründung,
teilweise aus einer Umbenennung der alten
Einheitsparteien entstanden)
absetzen wollten.
Am
weitesten geht dabei der
polnische Sojusz
Lewicy Demokratycznej (SLD,
„Bund der demokratischen
Linken“), die
komplett auf den Begriff
„sozial“ verzichtet.
Ausnahmen bilden
hingegen die Bălgarska
Socialističeska Partija (BSP,
„Bulgarische Sozialistische Partei“) und
die
Magyar
Szocialista Párt (MSZP,
„Ungarische Sozialistische Partei“), die
als einzige Parteien im ehemaligen Ostblock dem
Namensmuster der west- und südeuropäischen SPE-Mitglieder
folgen.
Parteien
der Arbeit
Sieht
man von diesen Unterschieden ab, ist die Namensgebung der
SPE-Mitgliedsparteien allerdings bemerkenswert einheitlich. Außer
„sozialistisch“ und „sozialdemokratisch“ gibt es lediglich
einen
weiteren
Begriff,
der
im
Namen von mehreren
SPE-Mitgliedern
vorkommt
und
auf deren politischen
Ursprünge im
19. Jahrhundert verweist:
die
„Arbeit“. So bezeichnen sich die britische und
die irische Labour
Party, die
niederländische Partij
van de Arbeid (PvdA)
und
die maltesische Partit
Laburista (PL)
einhellig
als „Arbeitspartei“; dazu
kommt noch die kleine polnische Unia
Pracy (UP,
„Arbeitsunion“).
Einige
Parteien schließlich kombinieren die
Begriffe „Arbeit“ und „sozialistisch“/„sozialdemokratisch“
auch: etwa der Partido
Socialista Obrero Español
(PSOE,
„Spanische Sozialistische Arbeiterpartei“), die
Sveriges
Socialdemokratiska
Arbetareparti
(SAP,
„Schwedens Sozialdemokratische Arbeiterpartei“) oder die
nordirische Social
Democratic and Labour Party (SDLP,
„Sozialdemokratische und Arbeitspartei“).
„Partei“
Und
noch in einer weiteren Hinsicht zeigen die Namen der
SPE-Mitgliedsparteien untereinander große Ähnlichkeiten: Auch
bei
der Frage, um was für eine Art von Organisation es sich handelt, ist
die Terminologie
in
fast
allen Fällen
identisch.
Anders
als die Mitglieder der
Europäischen Volkspartei (die
sich teils als „Union“, „Bund“, „Sammlung“, „Aufruf“, „Bewegung“, „Familie“ oder Ähnliches bezeichnen),
findet
sich bei den
Sozialdemokraten fast
immer der
Begriff
„Partei“.
Auch
dies
verweist
auf ihre
Wurzeln
in
der Arbeiterbewegung
des 19. Jahrhunderts, deren Aufstieg parallel zur Etablierung der
Parteiendemokratie erfolgte.
Ausnahmen
bei
der Namenswahl bilden
nur die Dänen und Slowenen, die sich schlicht als „Sozialdemokraten“
(Socialdemokraterne, Socialni demokrati)
bezeichnen, sowie
einige wenige weitere SPE-Mitglieder
wie
der
polnische Sojusz
Lewicy Demokratycznej (SLD,
„Bund der demokratischen
Linken“)
oder
die
zyprische Kinima
Sosialdimokraton (EDEK,
„Bewegung der Sozialdemokraten“).
Zwei Sonderfälle
Politische
Schlüsselwörter jenseits des Zweiklangs
aus
„sozialistisch“/„sozialdemokratisch“
und „Arbeit“ kommen unter
den SPE-Parteinamen fast überhaupt nicht vor. Eine
Ausnahme bildet die slowakische SMER
– sociálna demokracia (SMER-SD,
„Richtung – Sozialdemokratie“),
die
1999
als SMER
– tretia
cresta („Richtung
– Dritter
Weg“) gegründet wurde
und deren Name auf das
damals in
der SPE populäre Konzept eines „dritten
Wegs“ zwischen
freier
Marktwirtschaft
und sozialistischer
Planwirtschaft
anspielte.
Der
wichtigste Sonderfall aber
ist mit Sicherheit der
italienische Partito Democratico (PD,
„Demokratische Partei“). Er
ist heute
die stärkste nationale Mitte-Links-Partei in Europa – und
zugleich das einzige SPE-Mitglied, dessen
Name keinerlei Hinweise auf
eine Positionierung in der
linken Hälfte
des politischen Spektrums
enthält.
Der
Grund dafür liegt in der komplexen
Geschichte des italienischen Parteiensystems, in
dem der Partito Socialista Italiano (PSI,
ebenfalls SPE-Mitglied) nach
dem Zweiten Weltkrieg nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. Die
Hauptantagonisten waren vielmehr der
kommunistische PCI und die christdemokratische DC, die
jedoch Anfang der 1990er Jahre in
Korruptionsskandalen untergingen.
Nach verschiedenen Neu- und
Umgründungen fusionierten
2007 schließlich Nachfolgeparteien des
PCI sowie
des linken Flügels
der DC
zum heutigen PD. Dabei
konnten sie sich zwar
auf eine gemeinsame inhaltliche
Linie einigen
– nicht aber auf eine
Selbstbezeichnung als „sozialistisch“
oder „sozialdemokratisch“.
„Sozialisten und Demokraten“ oder „Sozialdemokraten“?
Am
Ende schlugen
diese
Skrupel der italienischen „Demokraten“
auch
auf
die Namensgebung auf europäischer Ebene zurück:
Als
der PD nach der Europawahl 2009 nämlich
der
SPE-Fraktion
im Europäischen Parlament beitrat, bestanden
die Italiener darauf,
dass ihre
Rolle als Nicht-Sozialisten auch
im Namen der Fraktion deutlich
werden müsse. Infolgedessen
entschied sich die Fraktion unter
ihrem
damaligen Vorsitzenden Martin
Schulz für
eine Umbenennung. Hatte sie zuvor je nach Sprache entweder Socialist Group oder Sozialdemokratische Fraktion geheißen, so bezeichnete sie sich fortan als
Progressive
Alliance of Socialists and Democrats (S&D, „Progressive
Allianz der Sozialisten und Demokraten“).
Diese
Nebeneinanderstellung
befriedigte die Bedürfnisse
des
italienischen PD, war allerdings
unter all
jenen
Fraktionsmitgliedern umstritten,
die sich selbst weder als
„Sozialisten“ noch
als bloße „Demokraten“
verstehen. Letztlich
war aber auch dieses Problem
durch eine geschickte
Übersetzung lösbar: In
ihrer deutschen Namensversion lässt
die Fraktion das trennende
„und“ inzwischen einfach
weg – und nennt sich (trotz der Abkürzung mit &-Zeichen) schlicht Progressive
Allianz der Sozialdemokraten.
Neues
Schlagwort: „progressiv“
Jenseits
dieser Namenskapriolen
führte die
Umbenennung der Fraktion 2009
aber auch noch zu einer
weiteren interessanten Änderung in der Selbstbezeichnung der
europäischen Mitte-Links-Familie:
das neue
Schlagwort „progressiv“,
das an
die Fortschrittsideen
der Aufklärung
und der frühen
Arbeiterbewegung anknüpft
und zugleich doch
politisch offener ist als
das Begriffsfeld „sozialistisch“. Nachdem
es im neuen Namen der Fraktion erstmals als Schlüsselbegriff
verwendet wurde, scheint es unter
den europäischen Sozialdemokraten in den
letzten Jahren immer
mehr an Beliebtheit zu gewinnen. So läuft etwa der offizielle Twitter-Account der S&D-Fraktion
unter dem Namen @TheProgressives; und auch das neue weltweite
Mitte-Links-Netzwerk, das 2013 vor allem auf Betreiben der deutschen
SPD gegründet wurde, nennt
sich Progressive
Allianz.
Wie weit sich das neue Schlagwort allgemein durchsetzen und zuletzt womöglich die traditionellen Selbstbezeichnungen ablösen wird, wird erst die Zukunft zeigen. In den Namen der nationalen SPE-Mitglieder kommt der Begriff bis heute noch nicht vor. Aber immerhin hat er einen zentralen Vorteil: Er lässt sich hervorragend in alle europäischen Sprachen übersetzen.
Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz
Bild: By Aleksander GLOGOWSKI [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
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