28 August 2015

Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen (3): Die Sozialdemokratische Partei Europas

Die Namen ihrer nationalen Mitgliedsverbände können ein Indiz für den inneren Zusammenhalt der europäischen Parteien sein: Treten sie in allen EU-Ländern unter ähnlichen Bezeichnungen auf und suchen so den symbolischen Schulterschluss? Oder folgen sie jeweils nationalen Benennungstraditionen? Heute: Die Sozialdemokratische Partei Europas. (Zum Anfang der Serie.)

Sozialisten, Demokraten, Sozialdemokraten? Der Unterschied ist nur eine Nuance, bereitet der SPE aber einiges Kopfzerbrechen.
Wie Europas große Mitte-Links-Partei eigentlich genau heißt, ist gar nicht so einfach zu sagen. Auf Englisch nennt sie sich Party of European Socialists (PES, „Partei Europäischer Sozialisten“), auf Französisch Parti Socialiste Européen (PSE, „Europäische Sozialistische Partei“), auf Deutsch Sozialdemokratische Partei Europas (SPE). Auch wenn die Unterschiede nur in Nuancen liegen, machen sie doch zweierlei deutlich: Zum einen, dass die europäischen Sozialdemokraten (oder Sozialisten) in ihrer Selbstbezeichnung durchaus auf feine Konnotationen achten. Und zum anderen, dass diese Konnotationen offenbar nicht in jedem Land und jeder Sprache dieselben sind.

So wird der Begriff „sozialistisch“ in einigen Ländern vor allem mit einer links-autoritären Ideologie in Verbindung gebracht – etwa in Deutschland, wo sich die dominierende Organisation der DDR als Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) bezeichnete. Entsprechend groß ist in diesen Ländern das Bedürfnis der SPE-Mitglieder, sich als „Sozialdemokraten“ auch zu einem freiheitlichen politischen System zu bekennen. In anderen Staaten hingegen weckt der Begriff „sozialistisch“ keine derartigen Assoziationen. Und in Portugal steht gar „sozialdemokratisch“ für eine Mitte-Rechts-Position: nämlich die des Partido Social Democrata (PSD, „Sozialdemokratische Partei“), der auf EU-Ebene Mitglied der christdemokratisch-konservativen Europäischen Volkspartei ist.

Sozialisten und Sozialdemokraten

Diese unterschiedlichen Konnotationen führen nicht nur dazu, dass die SPE auf europäischer Ebene je nach Sprache etwas unterschiedliche Namen führt, sondern schlagen sich natürlich auch in der Bezeichnung ihrer Mitglieder auf nationaler Ebene nieder. Unter den gut dreißig nationalen SPE-Mitgliedsparteien tragen zehn den Namensbestandteil „sozialistisch“, fünfzehn „sozialdemokratisch“ – wobei erstere Version vor allem im Süden und Westen, letztere im Norden und Osten der EU verbreitet ist.

Eine „Sozialistische Partei“ gibt es demnach zum Beispiel in Frankreich und Belgien (jeweils Parti Socialiste, PS), Portugal (Partido Socialista, PS) oder Italien (Partito Socialista Italiano, PSI); eine „Sozialdemokratische Partei“ hingegen in Estland (Sotsialdemokraatlik Erakond, SDE), Finnland (Suomen Sosialidemokraattinen Puolue, SDP), Tschechien (Česká strana sociálně demokratická, ČSSD) oder Rumänien (Partidul Social Democrat, PSD).

Vor allem im Osten ist der Zusatz „-demokratisch“ verbreitet

Dass der Zusatz „-demokratisch“ vor allem in den ehemaligen Ostblockstaaten verbreitet ist, ist dabei natürlich kein Zufall: Schließlich haben diese Länder Diktaturen erlebt, die sich selbst als „sozialistisch“ bezeichneten und von denen sich die Mitte-Links-Parteien (die nach 1989 teilweise als Neugründung, teilweise aus einer Umbenennung der alten Einheitsparteien entstanden) absetzen wollten.

Am weitesten geht dabei der polnische Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD, „Bund der demokratischen Linken“), die komplett auf den Begriff „sozial“ verzichtet. Ausnahmen bilden hingegen die Bălgarska Socialističeska Partija (BSP, „Bulgarische Sozialistische Partei“) und die Magyar Szocialista Párt (MSZP, „Ungarische Sozialistische Partei“), die als einzige Parteien im ehemaligen Ostblock dem Namensmuster der west- und südeuropäischen SPE-Mitglieder folgen.

Parteien der Arbeit

Sieht man von diesen Unterschieden ab, ist die Namensgebung der SPE-Mitgliedsparteien allerdings bemerkenswert einheitlich. Außer „sozialistisch“ und „sozialdemokratisch“ gibt es lediglich einen weiteren Begriff, der im Namen von mehreren SPE-Mitgliedern vorkommt und auf deren politischen Ursprünge im 19. Jahrhundert verweist: die „Arbeit“. So bezeichnen sich die britische und die irische Labour Party, die niederländische Partij van de Arbeid (PvdA) und die maltesische Partit Laburista (PL) einhellig als „Arbeitspartei“; dazu kommt noch die kleine polnische Unia Pracy (UP, „Arbeitsunion“).

Einige Parteien schließlich kombinieren die Begriffe „Arbeit“ und „sozialistisch“/„sozialdemokratisch“ auch: etwa der Partido Socialista Obrero Español (PSOE, „Spanische Sozialistische Arbeiterpartei“), die Sveriges Socialdemokratiska Arbetareparti (SAP, „Schwedens Sozialdemokratische Arbeiterpartei“) oder die nordirische Social Democratic and Labour Party (SDLP, „Sozialdemokratische und Arbeitspartei“).

Partei“

Und noch in einer weiteren Hinsicht zeigen die Namen der SPE-Mitgliedsparteien untereinander große Ähnlichkeiten: Auch bei der Frage, um was für eine Art von Organisation es sich handelt, ist die Terminologie in fast allen Fällen identisch. Anders als die Mitglieder der Europäischen Volkspartei (die sich teils als „Union“, „Bund“, „Sammlung“, „Aufruf“, „Bewegung“, „Familie“ oder Ähnliches bezeichnen), findet sich bei den Sozialdemokraten fast immer der Begriff „Partei“.

Auch dies verweist auf ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts, deren Aufstieg parallel zur Etablierung der Parteiendemokratie erfolgte. Ausnahmen bei der Namenswahl bilden nur die Dänen und Slowenen, die sich schlicht als „Sozialdemokraten“ (Socialdemokraterne, Socialni demokrati) bezeichnen, sowie einige wenige weitere SPE-Mitglieder wie der polnische Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD, „Bund der demokratischen Linken“) oder die zyprische Kinima Sosialdimokraton (EDEK, „Bewegung der Sozialdemokraten“).

Zwei Sonderfälle

Politische Schlüsselwörter jenseits des Zweiklangs aus „sozialistisch“/„sozialdemokratisch“ und „Arbeit“ kommen unter den SPE-Parteinamen fast überhaupt nicht vor. Eine Ausnahme bildet die slowakische SMER – sociálna demokracia (SMER-SD, „Richtung – Sozialdemokratie“), die 1999 als SMER – tretia cresta („Richtung – Dritter Weg“) gegründet wurde und deren Name auf das damals in der SPE populäre Konzept eines „dritten Wegs“ zwischen freier Marktwirtschaft und sozialistischer Planwirtschaft anspielte.

Der wichtigste Sonderfall aber ist mit Sicherheit der italienische Partito Democratico (PD, „Demokratische Partei“). Er ist heute die stärkste nationale Mitte-Links-Partei in Europa – und zugleich das einzige SPE-Mitglied, dessen Name keinerlei Hinweise auf eine Positionierung in der linken Hälfte des politischen Spektrums enthält.

Der Grund dafür liegt in der komplexen Geschichte des italienischen Parteiensystems, in dem der Partito Socialista Italiano (PSI, ebenfalls SPE-Mitglied) nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. Die Hauptantagonisten waren vielmehr der kommunistische PCI und die christdemokratische DC, die jedoch Anfang der 1990er Jahre in Korruptionsskandalen untergingen. Nach verschiedenen Neu- und Umgründungen fusionierten 2007 schließlich Nachfolgeparteien des PCI sowie des linken Flügels der DC zum heutigen PD. Dabei konnten sie sich zwar auf eine gemeinsame inhaltliche Linie einigen – nicht aber auf eine Selbstbezeichnung als „sozialistisch“ oder „sozialdemokratisch“.

„Sozialisten und Demokraten“ oder „Sozialdemokraten“?

Am Ende schlugen diese Skrupel der italienischen „Demokraten“ auch auf die Namensgebung auf europäischer Ebene zurück: Als der PD nach der Europawahl 2009 nämlich der SPE-Fraktion im Europäischen Parlament beitrat, bestanden die Italiener darauf, dass ihre Rolle als Nicht-Sozialisten auch im Namen der Fraktion deutlich werden müsse. Infolgedessen entschied sich die Fraktion unter ihrem damaligen Vorsitzenden Martin Schulz für eine Umbenennung. Hatte sie zuvor je nach Sprache entweder Socialist Group oder Sozialdemokratische Fraktion geheißen, so bezeichnete sie sich fortan als Progressive Alliance of Socialists and Democrats (S&D, „Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten“).

Diese Nebeneinanderstellung befriedigte die Bedürfnisse des italienischen PD, war allerdings unter all jenen Fraktionsmitgliedern umstritten, die sich selbst weder als „Sozialisten“ noch als bloße „Demokraten“ verstehen. Letztlich war aber auch dieses Problem durch eine geschickte Übersetzung lösbar: In ihrer deutschen Namensversion lässt die Fraktion das trennende „und“ inzwischen einfach weg – und nennt sich (trotz der Abkürzung mit &-Zeichen) schlicht Progressive Allianz der Sozialdemokraten.

Neues Schlagwort: „progressiv“

Jenseits dieser Namenskapriolen führte die Umbenennung der Fraktion 2009 aber auch noch zu einer weiteren interessanten Änderung in der Selbstbezeichnung der europäischen Mitte-Links-Familie: das neue Schlagwort „progressiv“, das an die Fortschrittsideen der Aufklärung und der frühen Arbeiterbewegung anknüpft und zugleich doch politisch offener ist als das Begriffsfeld „sozialistisch“. Nachdem es im neuen Namen der Fraktion erstmals als Schlüsselbegriff verwendet wurde, scheint es unter den europäischen Sozialdemokraten in den letzten Jahren immer mehr an Beliebtheit zu gewinnen. So läuft etwa der offizielle Twitter-Account der S&D-Fraktion unter dem Namen @TheProgressives; und auch das neue weltweite Mitte-Links-Netzwerk, das 2013 vor allem auf Betreiben der deutschen SPD gegründet wurde, nennt sich Progressive Allianz.

Wie weit sich das neue Schlagwort allgemein durchsetzen und zuletzt womöglich die traditionellen Selbstbezeichnungen ablösen wird, wird erst die Zukunft zeigen. In den Namen der nationalen SPE-Mitglieder kommt der Begriff bis heute noch nicht vor. Aber immerhin hat er einen zentralen Vorteil: Er lässt sich hervorragend in alle europäischen Sprachen übersetzen.

Die europäischen Parteien und ihre nationalen Namen

1: Auftakt
2: Europäische Volkspartei
3: Sozialdemokratische Partei Europas
4: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
5: Partei der Europäischen Linken
6: Europäische Grüne Partei
7: Europäische Freie Allianz

Bild: By Aleksander GLOGOWSKI [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.

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