- Sergej Stanishev, Präsident der Sozialdemokratischen Partei Europas, hat auch eine Meinung zum Grexit.
Dass
sich die Griechenland-Krise, die die europäische Währungsunion
derzeit durchlebt, am besten als eine parteipolitische Frage
verstehen lässt, habe ich auf diesem Blog bereits
mehrfach
geschrieben.
In ihrer Berichterstattung konzentrieren sich die europäischen
Medien zwar vor allem auf die nationalen Interessen der beteiligten
Regierungen und sparen dabei auch nicht an Stereotypen über faule
Südländer und herrschsüchtige Deutsche. Doch auf die
interessantere Frage, wie die (griechische und europäische)
Wirtschafts- und Schuldenkrise am besten überwunden werden kann,
gibt es keine nationalen Antworten. Wenn eine produktive
Auseinandersetzung über unterschiedliche Lösungsansätze
stattfindet, dann zwischen den europäischen Parteien.
Und darum kann es helfen, den Blick einmal von der deutschen, französischen und
griechischen Regierung zu lösen und ihn stattdessen auf die
Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialdemokratische Partei
Europas (SPE) und die Partei der Europäischen Linken (EL) zu
richten.
Die
europäische Große Koalition
Seitdem
es die Europäische Union gibt, ist ihre Politik von einer
„informellen Großen Koalition“ geprägt. Dies liegt vor allem an
einer
Reihe von Verfahrensmechanismen, die sicherstellen sollen, dass
kein einzelner Akteur im Alleingang seine Interessen durchsetzen
kann. Beschlüsse sind in der EU meist nur möglich, wenn es dafür
eine breite, parteien-, länder- und institutionenübergreifende
Mehrheit gibt – und das bedeutet in der Regel eine Zusammenarbeit
der beiden größten Parteien EVP
und SPE,
oft erweitert um die liberale ALDE.
Andere
Parteien, zum Beispiel die nationalkonservative AEKR,
die grüne EGP
oder die linke EL,
werden in die europäische Entscheidungsfindung zwar bisweilen
einbezogen, sind aber deutlich weniger einflussreich. Auch politische
Wahlen auf nationaler oder europäischer Ebene konnten an dieser
informellen Großen Koalition bislang kaum etwas ändern. Allenfalls
brachten sie gewisse Verschiebungen im Kräftegleichgewicht zwischen
den beiden großen Parteien. Ein Ende der europäischen Großen
Koalition ist aber nahezu unmöglich, da strukturell eben nur EVP und
SPE in der Lage sind, gemeinsam in allen europäischen Institutionen
die notwendigen politischen Mehrheiten zu sichern.
Eine
liberalkonservative Krisenpolitik
In
den ersten Jahren der Eurokrise nun war innerhalb der Großen
Koalition die EVP die klar dominierende Partei. Sie stellte seit 1999
die größte Fraktion im Europäischen Parlament, seit 2004 den
Präsidenten der Europäischen Kommission, seit 2009 den Präsidenten
des Europäischen Rates und regierte seit 2005 in den beiden größten
EU-Mitgliedstaaten Deutschland und Frankreich. Entsprechend waren
auch die Strategien zur Bekämpfung der Eurokrise vor allem
liberalkonservativ geprägt: Eine Kombination aus Sparmaßnahmen in
den öffentlichen Haushalten und Strukturreformen zur Liberalisierung
der Wirtschaft sollte das Vertrauen der Investoren wiederherstellen
und dadurch das Wachstum zurückbringen.
Zum
Gesicht dieser Politik wurden neben
dem damaligen liberalen Währungskommissar Olli Rehn (Kesk./ALDE)
vor allem die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr
Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU/EVP). Doch auch die
europäischen Sozialdemokraten trugen diese Politik mit – teils aus
Überzeugung (immerhin hatte der Merkels sozialdemokratischer
Vorgänger Gerhard Schröder in den Jahren vor der Krise in
Deutschland eine ganz ähnliche Politik verfolgt), teils weil sie
angesichts der dominanten Position der EVP ohnehin keine
durchsetzbaren Alternativen sahen.
In
der Folge wurden die Mitgliedsparteien der SPE allerdings zum ersten
großen politischen Verlierer der Krise: Vor allem in den
meistbetroffenen Staaten wandten sich ihre Wähler unzufrieden ab,
sodass 2011 mehrere sozialdemokratische Regierungen stürzten und die
EVP in kurzer Zeit die nationalen Wahlen in Portugal,
Spanien
und Griechenland
gewann. Auf dem Höhepunkt
ihrer institutionellen Macht waren die Christdemokraten Ende 2011
an 22 der damals 27 EU-Regierungen beteiligt; in 17 Fällen stellten
sie den Regierungschef. Innerhalb der Eurozone war die EVP nur in
Zypern und Slowenien in der Opposition.
Wahlniederlagen
der EVP
Allerdings
führte die von der EVP vorgegebene Politik nicht zu einer raschen
Überwindung der Krise. Die akute Angst vor einem Zerfall der
Währungsunion wurde im Sommer 2012 vor
allem durch die Europäische Zentralbank beendet, doch die
forcierte Sparpolitik verhinderte einen schnellen wirtschaftlichen
Wiederaufschwung. 2013 erreichte die Arbeitslosigkeit in der Eurozone
den
Rekordwert von 12,0 Prozent; in Griechenland und Spanien stieg
sie im selben Jahr sogar auf über 25 Prozent.
In
der Folge wuchs auch unter den europäischen Bürgern die
Unzufriedenheit mit der Krisenpolitik – und
mit der EVP, die sie dafür verantwortlich machten. Bei den
nationalen Wahlen in Frankreich
2012 und Italien
2013 erlitten die Christdemokraten empfindliche Niederlagen;
heute sind sie nur noch in 17 der 28 Mitgliedstaaten an der Regierung
beteiligt und stellen 10 Regierungschefs. Bei der Europawahl 2014
schließlich verlor die EVP fast ein Fünftel ihrer Sitze und gewann
erstmals seit zwanzig Jahren europaweit weniger
Stimmen als die Sozialdemokraten. Und auch die liberale ALDE
stürzte ab und landete (zum ersten Mal seit 1984) hinter
den Nationalkonservativen nur auf dem vierten Platz.
Trotz
dieser Verluste stellte die EVP dank
einiger Besonderheiten im Europawahlrecht jedoch auch 2014 noch
einmal die stärkste Fraktion des Europäischen Parlaments. Ihr
Spitzenkandidat
Jean-Claude Juncker (CSV/EVP) wurde Kommissionspräsident, und
mit Donald Tusk (PO/EVP) stellt sie weiterhin auch den Präsidenten
des Europäischen Rates. Für die SPE hingegen blieben nur weniger
prominente Ämter: Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD/SPE),
Außenbeauftragte Federica Mogherini (PD/SPE) und
Eurogruppen-Präsident Jeroen Dijsselbloem (PvdA/SPE).
Aufstieg
der Europäischen Linkspartei
Eigentlicher
politischer Profiteur dieser Krise der großen Parteien aber war die
Europäische Linke. Verglichen mit den Erfolgen des Eurokommunismus
in den 70er Jahren hatten die Parteien links der Sozialdemokratie
nach dem Ende des Kalten Krieges stark an Bedeutung verloren. In der
Krise gelang es der EL jedoch, sich als Hauptkritiker der angeblich
„alternativlosen“ Austeritätspolitik der Großen Koalition zu
profilieren. Bei der Europawahl 2014 legte
die linke GUE/NGL-Fraktion deshalb von 35 auf 52 Sitze zu, und
auch danach setzte sich ihr Popularitätsgewinn weiter fort: Wenn
heute Europawahl wäre, käme sie den Umfragen zufolge sogar auf
61 Mandate.
Die
größten Erfolge erzielte die Linke dabei in den Ländern, in denen
die Arbeitslosenquote infolge der Krise am stärksten gestiegen war:
In Spanien etablierte sich die neu gegründete Partei Podemos auf
Augenhöhe mit den Christ- und Sozialdemokraten; in Griechenland
übernahm Syriza Anfang 2015 sogar die Regierung. Alexis Tsipras war
damit zwar nicht der erste linke Regierungschef in der EU; in
Zypern hatte bereits von 2008 bis 2013 die EL-nahe AKEL
regiert. Er war jedoch der Erste, der seine Wahl durch eine explizite
Kampfansage an die europäische Große Koalition gewann – und entgegen einer
klaren Parteinahme
des EU-Kommissionspräsidenten Juncker.
Die
Linke sucht nach einer machtpolitischen Strategie
Trotz
dieser Zugewinne blieb die EL aber europaweit nur eine kleinere
Partei: bestenfalls auf der Höhe von ALDE und AEKR, nicht aber
von EVP und SPE. Mit der Regierungsübernahme in Griechenland stellte
sich für sie deshalb die Frage, wie sie echten Einfluss auf die
europäische Krisenpolitik nehmen könnte. Tsipras
setzte vor allem auf den
Versuch, die
übrigen Euro-Staaten unter Druck zu setzen – sei
es mit angedeuteten
Vetodrohungen in der gemeinsamen Außenpolitik oder auch
mit dem Referendum vom
5. Juli, das nicht
zuletzt als eine Demonstration seines Rückhalts in der Bevölkerung
dienen sollte.
Letztlich
aber zog der griechische Ministerpräsident dabei den Kürzeren und musste schließlich in den
Verhandlungen mit den anderen Regierungschefs nachgeben. Als
Hauptschwäche der Linken erwies sich, dass sie außer in
Griechenland an keiner weiteren nationalen Regierung beteiligt ist
(lediglich in Schweden toleriert sie ein rot-grünes
Minderheitskabinett). Tsiprasʼ
Hoffnung liegt deshalb
inzwischen vor allem auf
den Wahlen in
Spanien und Portugal Ende
dieses Jahres, wo
Podemos und die portugiesische Linkspartei CDU für die
Mehrheitsbildung
entscheidend werden
könnten. Sobald
die Linke erst einmal in genügend
Mitgliedstaaten mitregiert, so die Idee, könnte
ihr Kampf gegen die Austeritätspolitik auch auf europäischer Ebene
erfolgreich sein.
Harte
Linie der EVP
Wie
aber reagieren die anderen Parteien auf die Herausforderung der
Linken? Interessanterweise zeigten sich schon in den Wahlprogrammen
vor der Europawahl 2014 klare
Unterschiede zwischen ihren wirtschaftspolitischen Strategien.
Während EVP und ALDE weiterhin vor allem auf ein
unternehmerfreundliches Klima, weniger Staatsausgaben und eine
strikte Kontrolle der öffentlichen Defizite setzten, machten sich
SPE und Grüne eher für öffentliche Investitionen stark, für die
sie den Mitgliedstaaten auch mehr haushaltspolitische Spielräume zugestehen wollten. Auch wenn sie dabei hinter den radikaleren
Forderungen der EL zurückblieben, begannen sich die Sozialdemokraten
also von dem harten Sparkurs zu distanzieren, den sie in den Jahren
zuvor in vielen Mitgliedstaaten noch mitgetragen hatten.
Und
auch in der aktuellen Griechenland-Krise zeigten sich nun noch einmal
deutliche – inhaltliche wie strategische – Differenzen zwischen
den großen Parteien. So vermeidet die EVP jegliches Eingeständnis
von Fehlern und setzt weiterhin vor allem auf die „alternativlose“
Austeritätspolitik. Die Frankfurter Allgemeine etwa zitierte
jüngst Ratspräsident Tusk (PO/EVP) mit der Warnung vor der
„Illusion […], es gebe eine Alternative zum bestehenden
Wirtschaftssystem, ohne Sparpolitik und Einschränkungen“. Zugleich
verweisen EVP-Politiker oft darauf, dass sich die wirtschaftliche
Lage in den Krisenstaaten in den letzten beiden Jahren schließlich
leicht gebessert habe.
Gegenüber
Alexis Tsipras wiederum verfolgt die EVP eine sehr harte Linie. Parteipräsident Joseph Daul warf der griechischen Regierung nach dem
Referendum vom 5. Juli „reckless
political games“ vor; bei anderen Christdemokraten war die
Wortwahl noch
drastischer. Höhepunkt dieser Kritik waren die
Vorschläge für einen griechischen Euro-Austritt, die zahlreiche Christdemokraten mehr oder weniger unverhohlen vorbrachten: besonders
prominent Wolfgang
Schäuble und Alain
Juppé, etwas weniger eindeutig Alexander
Stubb und Nicolas
Sarkozy. Auch wenn die wohl einflussreichste EVP-Politikerin, Angela
Merkel, zuletzt ein Ende
dieser Grexit-Debatte forderte, wurde darin doch die
Überzeugung vieler Christdemokraten deutlich, dass es eine Politik,
wie sie die linke Tsipras-Regierung betreibt, in der Eurozone
eigentlich gar nicht geben dürfte.
Die
SPE fordert ein Ende der Sparpolitik
Die
SPE hingegen zeigt sich demgegenüber deutlich kompromissbereiter. Im
Wahlkampf vor dem griechischen Referendum gab es zwar auch von
sozialdemokratischer Seite einige Angriffe gegen die
Tsipras-Regierung (etwa durch Martin
Schulz oder Jeroen
Dijsselbloem). Nach der Abstimmung jedoch suchte die SPE anders
als die EVP rasch eine Solidarisierung mit den griechischen
Nein-Stimmenden: SPE-Präsident Sergej Stanishev verwies darauf, dass
die SPE ebenfalls schon seit Jahren gegen
die „harsh austerity-only policies of the conservatives“ sei,
und schloss
einen
Grexit als Lösung kategorisch aus. Auch
die wichtigsten
nationalen SPE-Politiker
wie Matteo
Renzi, François
Hollande und
Jean-Christophe
Cambadélis vertraten
eine
ähnliche Linie – mit
Ausnahme von Sigmar
Gabriel, der dafür allerdings auch von
seiner eigenen nationalen Partei heftig kritisiert wurde und
daher rasch
zurückruderte.
Inhaltlich
verfolgt die SPE
inzwischen mehrheitlich offenbar einen Kurs, der
zwischen
(wünschenswerten) Strukturreformen und (abzulehnenden) Sparmaßnahmen
unterscheidet. Eine
scharfe Distanzierung von der EL vermeidet die Partei dabei; ein
Artikel
auf ihrer Homepage betont
die demokratische Legitimation der Syriza, die „the
only hope for legitimacy in Greece“
sei. Wie weit die
SPE bei dieser
Abkehr von der Austeritätspolitik genau gehen
will, ist bislang
allerdings unklar. Trotz
aller Kritik an der EVP scheinen auch die Sozialdemokraten die
informelle Große
Koalition, die bislang die Regierbarkeit der Eurozone sichert,
jedenfalls nicht
grundsätzlich in Frage zu
stellen.
Eine
fruchtbare Auseinandersetzung
Im
Umgang mit der griechischen Krise zeigen die europäischen Parteien
also sehr deutlich unterscheidbare Ansätze – und natürlich ließe
sich das Bild noch weiter ausdifferenzieren, wenn man auch die
liberale ALDE (die zwischen einem rechten
Pro-Grexit- und einem linken,
eher investitionsfreundlichen Flügel gespalten scheint), die
grüne EGP (die inhaltlich den
Sozialdemokraten nahesteht, ohne durch großkoalitionäre
Disziplin gebunden zu sein) oder die Nationalkonservativen (wo der
finnische Außenminister Timo Soini ein neues Hilfsprogramm für
Griechenland erst kategorisch ausgeschlossen, zuletzt aber
eine Kehrtwende vollzogen hat) mit einbezieht.
Umso
bedauerlicher ist es, dass in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem
nationale Interessen im Vordergrund stehen. Das liegt natürlich
daran, dass die Hauptakteure in den Verhandlungen um ein neues
Kreditprogramm die nationalen Regierungschefs sind, die sich nur
gegenüber ihrer eigenen nationalen Wählerschaft verantworten.
Wenn es um unterschiedliche Vorschläge zur Lösung der Eurokrise
geht, ist die Auseinandersetzung zwischen den europäischen Parteien
jedoch sehr viel fruchtbarer und interessanter. Wir sollten beginnen,
diese Debatte endlich auch in der Öffentlichkeit zu führen.
Bild: By Vladimir Petkov (Кой сега е номер 2?) [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons.
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