„Can democracy and a monetary union coexist? Or must one give
way? This is the pivotal question that the Eurogroup has decided to
answer by placing democracy in the too-hard basket. So far, one
hopes.“
Yanis Varoufakis, As
it happened, 28. Juni 2015
- Ein „anderes Europa“ erhofften sich Tsiprasʼ Unterstützer im Wahlkampf. Doch im Referendum nächsten Sonntag fehlt diese Option auf dem Stimmzettel.
Auf den ersten Blick scheint das Referendum, das die griechische
Regierung unter Alexis Tsipras (Syriza/EL) für
den kommenden Sonntag angesetzt hat, die einzige demokratisch
sinnvolle Lösung zu sein. Nach vielen Jahren vergeblicher
Sparpolitik von Pasok (SPE) und ND (EVP) wählte eine erschöpfte und
frustrierte griechische Bevölkerung Anfang dieses Jahres die linke
Syriza (EL) in die Regierung, deren wichtigstes Versprechen darin
bestand, die Bedingungen für die Hilfskredite von EU und
Internationalem Währungsfonds neu zu verhandeln. Was folgte, war von
der ersten Woche an ein diplomatisches
Feiglingsspiel, in dem beide Seiten einander mit immer neuen
Manövern unter Druck zu setzen versuchten.
Neuwahl oder Referendum
Jetzt, fünf Monate später, musste die griechische Regierung
einsehen, dass sie ihr Ziel nicht würde erreichen können. Sei es,
dass sie ungeschickt verhandelt hat, sei es, dass die Kreditgeber von
Anfang an am längeren Hebel saßen und sich auf keine grundsätzliche
Neuausrichtung des vereinbarten Programms einzulassen bereit waren –
klar ist, dass Tsipras sein Wahlversprechen nicht wird halten können.
Unter diesen Umständen gibt es nur zwei schlüssige Optionen:
Entweder die Regierung tritt zurück und stellt sich erneut dem Votum
der Wähler. Oder sie lässt sich den Kurswechsel in einem Referendum
bestätigen.
Über beide Möglichkeiten war in den letzten Monaten bereits
wiederholt
spekuliert
worden.
Dass es schließlich das Referendum wurde, lässt sich wohl am besten
mit der parteiinternen Dynamik der Syriza erklären: Da ihr linker
Flügel jeden Kompromiss ablehnt, würde der Versuch, mit einem
angepassten Wahlprogramm in eine Neuwahl zu gehen, wohl zu einer
Spaltung der Partei führen. Das Referendum, in dem die griechische
Regierung offiziell zwar für ein Nein wirbt, den Umfragen zufolge
aber das
Ja zum Kompromiss recht deutlich gewinnen wird, könnte hingegen
ein geeignetes Mittel sein, um auch den linken Flügel für den
Positionswechsel zu gewinnen.
Giorgos Papandreou vor Augen
Finanzminister Yanis Varoufakis
(Syriza/EL) jedenfalls begründete das Referendum in seiner (von ihm
selbst veröffentlichten) Rede
vor der Eurogruppe am vergangenen Samstag genau mit dem Argument,
dass nur eine Bestätigung durch die Bevölkerung den Beschlüssen
die nötige Legitimität verleihen könnte:
If our government were to accept the institutions’ offer today, promising to push it through Parliament tomorrow, we would be defeated in Parliament with the result of a new election being called within a very long month – then, the delay, the uncertainty and the prospects of a successful resolution would be much, much diminished. But even if we managed to pass the institutions’ proposal through Parliament, we would be facing a major problem of ownership and implementation. Put simply, just as in the past the governments that pushed through policies dictated by the institutions could not carry the people with them, we too would fail to do so.
Wenn unsere Regierung das Angebot der Institutionen heute akzeptieren und versprechen würde, dass sie es morgen durch das Parlament drückt, würden wir im Parlament eine Niederlage erleiden, mit der Folge, dass es in einem guten Monat Neuwahlen gäbe – und dann wären die Verzögerung, die Unsicherheit und die Aussichten auf eine erfolgreiche Lösung sehr, sehr vermindert [sic]. Aber auch wenn es uns gelänge, den Vorschlag der Institutionen durch das Parlament zu bringen, hätten wir ein größeres Problem damit, es uns zu eigen zu machen und umzusetzen. Einfach gesagt: So wie in der Vergangenheit die Regierungen, die von den Institutionen diktierte Politiken durchdrückten, das Volk nicht mitnehmen konnten, würden auch wir scheitern.
Bei diesen Worten dürfte Varoufakis wohl besonders einen vor Augen gehabt haben: den früheren griechischen Regierungschef Giorgos Papandreou (Pasok/SPE), der bereits Ende
Oktober 2011 eine
Volksabstimmung über den von den europäischen Kreditgebern
geforderten Sparkurs angekündigt – und dann unter
dem Druck der anderen Mitgliedstaaten wieder abgesagt hat. Kurz
danach wurde Papandreou abgewählt, seine Partei kommt in Umfragen
heute nicht einmal mehr auf fünf Prozent.
Die Eurogruppe trägt Tsiprasʼ
Kurs nicht mit
Sind Tsipras und Varoufakis also gerade dabei, alles richtig zu
machen? Ist die Grexit-Panik,
die die Eurozone gerade durchmacht, nur der Preis dafür, dass nun
alles seine demokratische Wende zum Guten nehmen könnte – eine
„Krise“ im eigentlichen Sinn des Wortes, also eine kurze Phase
enormer Anspannung, an deren Ende aber eine wie auch immer geartete,
aber jedenfalls von der griechischen Bevölkerung mit getragene
Lösung steht?
Zwei Dinge lassen mich daran zweifeln. Das eine ist die Haltung der
übrigen Euro-Mitgliedstaaten, die auf das angekündigte Referendums
sehr
negativ reagierten und auch den Wunsch der griechischen Regierung
ablehnten, das am morgigen Dienstag auslaufende Hilfsprogramm um
einige Tage bis nach dem Volksentscheid zu verlängern. Dank der
Notfall-Liquiditätshilfen
der EZB und der heute
verhängten Kapitalverkehrskontrollen bestehen zwar gute Chancen,
dass der befürchtete Bankrun, der zum Grexit führen könnte, nicht
schon diese Woche stattfindet. Klar ist aber, dass die Eurogruppe das
Ziel der griechischen Regierung, am Sonntag eine Entscheidung per
Referendum zu erzwingen, nicht mitträgt.
Kein finaler Entwurf für eine Einigung
Dass die
letzten Verhandlungen im
Eklat endeten, führte
auch dazu, dass es keinen finalen Entwurf für eine Einigung zwischen
Griechenland und den Geldgebern gibt – sodass gar nicht wirklich
feststeht, worüber die Griechen in dem Referendum eigentlich
abstimmen. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass die
griechische Regierung offiziell ja für ein Nein werben will und
natürlich nicht gut ihre Unterschrift unter ein Abkommen setzen
kann, das sie der
Bevölkerung zur Ablehnung empfiehlt.
Dass Griechenland und die übrigen
Länder sich
nicht gemeinsam auf einen
Text geeinigt
haben,
den man der griechischen Bevölkerung zur Abstimmung vorlegt, wird
aber jedenfalls für
weitere Unsicherheit sorgen.
Im Sinne der „Transparenz
und Unterrichtung des griechischen Volkes“ veröffentlichte
die Europäische Kommission am Sonntag immerhin
den
letzten Verhandlungsstand.
Dijsselbloems Misstrauen
Hinzu kommt, dass
Eurogruppen-Präsident Jeroen
Dijsselbloem (PvdA/SPE) der griechischen Regierung offenbar auch dann
kein Vertrauen mehr schenken will, wenn bei der Abstimmung am Sonntag
das Ja gewinnt. Am Samstag äußerte er jedenfalls
„große
Zweifel, wie glaubwürdig das ist“: Schließlich würden
Reformen erfahrungsgemäß nur dann wirklich umgesetzt, wenn die
Regierung voll dahinterstehe, was angesichts der Nein-Empfehlung der
Tsipras-Regierung offensichtlich nicht der Fall
ist.
Dass umgekehrt Tsipras und Varoufakis wiederholt betonten, dass sie
sich als „überzeugte Demokraten“ auch bei einem Ja an das
Wählervotum gebunden fühlen würden, könnte zuletzt also zu wenig
sein, um die Eurogruppe wieder zu konstruktiven Verhandlungen zu
bringen. Der ungelöste parteipolitische Gegensatz zwischen der
europäischen Großen Koalition aus Christdemokraten,
Sozialdemokraten und Liberalen einerseits und der Europäischen
Linken um Alexis Tsipras andererseits war schon
in den vergangenen Monaten ein zentrales Verhandlungshindernis.
Durch Dijsselbloems Äußerungen dürfte sich in der Syriza-Regierung
der Eindruck nun noch verstärken, dass es manchen in der Eurogruppe
gar nicht in erster Linie darum geht, das Problem zu lösen, sondern
die Linke zu diskreditieren.
Nur die Wahl zwischen schlecht und schlechter
Der zweite
Grund, aus dem ich daran
zweifle, dass die griechische
Volksabstimmung endlich
die Wende zum
Besseren bringt, ist von grundsätzlicher
Art – und tatsächlich habe
ich auf diesem Blog darüber bereits
vor fast vier Jahren geschrieben, als
es noch um das Referendum von Giorgos Papandreou
ging.
Einfach ausgedrückt besteht er darin, dass die Griechen am
Sonntag nur die Wahl zwischen einer schlechten und einer noch
schlechteren Option haben. Eine Ablehnung der Kreditgeber-Vorschläge würde sich rein destruktiv
auswirken: Auch wenn Tsipras derzeit etwas anderes
behauptet, wäre die Folge wohl der Austritt aus der Eurozone – was
fatale Auswirkungen auf die griechische Wirtschaft hätte, aber auch
die europäische Währungsunion selbst politisch schwer beschädigen würde.
Aber auch wenn sich die Griechen mehrheitlich für das Ja
entscheiden, wird daraus nicht unbedingt die notwendige soziale
Akzeptanz für neue Steuererhöhungen, Sozialkürzungen und
Strukturreformen erwachsen. Denn die Vorschläge, über die sie
abstimmen, bleiben am Ende eben doch ein von außen, nämlich von den
Kreditgebern auferlegtes Programm. Das Referendum bietet damit
letztlich nur die Wahl zwischen „friss oder stirb“. Ob das
Ergebnis dieser Entscheidung wirklich die notwendige
Überzeugungskraft entfalten kann, um dauerhaft den Frust der
griechischen Bevölkerung zu überwinden und die Krise zu lösen?
Eine überstaatliche Währungsunion braucht überstaatliche Demokratie
Letztlich zeigt die Debatte über das Referendum wieder einmal, dass
eine überstaatliche Währungsunion mit rein nationalen
demokratischen Verfahren einfach nicht legitimiert werden kann. Auch
wenn es für Alexis Tsipras der beste Weg sein mag, um eine
Kurskorrektur einzuleiten, ohne offen seine Wahlversprechen zu
brechen, eröffnet die Volksabstimmung den Griechen selbst nahezu
keine eigene Gestaltungsmöglichkeit. Wenn die einzige Möglichkeit,
nicht dem Kurs der Kreditgeber zu folgen, darin besteht, die
Währungsunion zu verlassen, dann wird dadurch nur umso bitterer
deutlich, dass es für die Bürger innerhalb der Währungsunion
eben keine Hoffnung auf eine demokratische Auswahl zwischen
Alternativen gibt.
Ginge es anders? Natürlich – aber nur, indem man die
demokratischen Verfahren vom Nationalstaat löst und auf die
europäische Ebene überträgt. Will man für wirtschaftspolitische
Maßnahmen öffentliche Zustimmung erzeugen, dann darf man sie nicht
erst der Bevölkerung vorlegen, wenn die einzige Alternative dazu
schon der Zerfall der Währungsunion ist. Stattdessen müsste schon
ihre Aushandlung in einem direkt gewählten Gremium erfolgen:
dem Europäischen Parlament.
Natürlich werden wir niemals erfahren, wie die Lösung der
Griechenland-Krise ausgesehen hätte, wenn sie nicht die Form eines
Memorandum of Understanding zwischen den nationalen
Regierungen, sondern eines rechtlich bindenden Beschlusses der
Fraktionen im Europäischen Parlament angenommen hätte. Der Umstand,
dass die europäischen Parteien anders als die Regierungen nicht
nur jeweils einer nationalen Bevölkerung, sondern allen europäischen
Bürgern verantwortlich sind, lässt jedoch erwarten, dass sie
einen besseren oder wenigstens für die Öffentlichkeit akzeptableren
Interessenausgleich gefunden hätten. Und ziemlich sicher hätten sie
uns die Hängepartie erspart, die die Eurozone in diesen Tagen
erlebt.
Hoffen wir, dass sie sie unversehrt und wohlbehalten übersteht.
Bild: Lorenzo Gaudenzi (Alexis Tsipras @ Piazza Maggiore) [CC BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
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