- Das Europäische Parlament bleibt in den Vorschlägen der nationalen Regierungen zur Reform der Eurozone weitgehend außen vor.
Vor
dem Treffen des Europäischen Rats am kommenden 25./26. Juni haben
die Regierungen der vier größten Euro-Länder Pläne zu einer
Reform der europäischen Währungsunion formuliert, über die ich
hier schon in
der vergangenen Woche geschrieben habe. Unter anderem geht es
darin um einen kohärenteren Ansatz in der gemeinsamen
Wirtschaftspolitik, um eine engere Zusammenarbeit der Sozialsysteme
und womöglich um ein eigenes Budget für die Eurozone, etwa in Form
einer europäischen Arbeitslosenversicherung, die auch als
automatischer Stabilisator dienen könnte. Nur auf diese Weise, so
die Überzeugung der Euro-Regierungen, wird die Währungsunion
gefährliche Krisen wie in den letzten Jahren künftig vermeiden
können. (Im Wortlaut sind das deutsch-französische Memorandum hier,
das italienische hier,
das spanische hier
zu finden.)
Doch
während die Eurozone sich zu einem neuen Integrationsschub
anschickt, hält sich die Begeisterung für eine weitere
Europäisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik in anderen Ländern
– speziell in Großbritannien – in engen Grenzen. Die Reform der
Währungsunion dürfte deshalb den Spalt zwischen Euro- und
Nicht-Euro-Ländern vertiefen: Die Idee eines „Kerneuropa“, die
europäische Verfassungspolitiker seit rund zwei Jahrzehnten
beschäftigt, könnte, scheint mehr denn je zur Realität zu werden.
Euro-Gruppe
und Euro-Gipfel
Damit
aber stellt sich gleich eine ganze Reihe von institutionellen Fragen.
Außer der Europäischen Zentralbank gibt es in der EU bislang
nämlich nur zwei politische Gremien, die explizit auf die Eurozone
zugeschnitten sind: zum einen die „Euro-Gruppe“,
die faktisch seit 2004 existiert, aber erst 2009 durch den Vertrag
von Lissabon offiziell wurde, zum anderen den „Euro-Gipfel“,
der 2012 mit dem Fiskalpakt eingerichtet wurde. Beide sind rein
intergouvernemental: Während sich in der Euro-Gruppe die nationalen
Finanzminister der Euro-Länder treffen, versammelt der Euro-Gipfel
die Staats- und Regierungschefs. De
facto
handelt es sich dabei also um eine auf die Eurozone verkleinerte
Version des EU-Finanzministerrats bzw. des Europäischen Rates.
Tatsächlich finden ihre Treffen in der Regel unmittelbar vor oder
nach den Tagungen des entsprechenden EU-weiten Gremiums statt.
Zur
Leitung ihrer Sitzungen ernennen sowohl die Euro-Gruppe als auch der
Euro-Gipfel einen eigenen Präsidenten. Derzeit sind das Jeroen
Dijsselbloem (PvdA/SPE), der zugleich niederländischer
Finanzminister ist, und Donald Tusk (PO/EVP), gleichzeitig Präsident
des Europäischen Rates. Allerdings gelten die beiden Gremien nur als
„informelle“ Foren. Auf internationaler Ebene, etwa bei IWF oder
G-20, wird die Eurozone deshalb nicht etwa von Dijsselbloem
repräsentiert, sondern nur über die einzelnen nationalen
Regierungen der Euroländer oder über die Organe der Gesamt-EU.
Machtgewinn
der intergouvernementalen Gremien
Anders
als der Europäische Rat und der Finanzministerrat haben die
supranationalen Organe der EU – das Europäische Parlament und die
Europäische Kommission – kein Pendant auf Ebene der Eurozone. Zwar
ist mit Valdis Dombrovskis (V/EVP) einer der Vizepräsidenten
der Kommission speziell für den Euro zuständig, und im
Europäischen Parlament gibt es einen Ausschuss
für Wirtschaft und Währung. Doch diesem Ausschuss gehören auch
Mitglieder an, die in Großbritannien, Schweden oder Tschechien
gewählt wurden. Verantwortlich sind die Abgeordneten letztlich allen
europäischen Bürgern.
Hinzu
kommt, dass das Parlament in wirtschaftspolitischen Fragen zuletzt
immer weiter an den Rand gedrängt wurde. Da der
Währungsunion die notwendigen Instrumente fehlten, um die Eurokrise
zu bewältigen, verlagerten sich die Entscheidungen zunehmend auf
Euro-Gipfel und Euro-Gruppe, wo die nationalen Regierungen
improvisierte Vereinbarungen aushandelten. Dieser Machtgewinn der
intergouvernementalen Gremien aber ist nicht nur ein Problem für die
Demokratie: Da die formelle Kompetenz für die Wirtschaftspolitik
weiterhin bei den Einzelstaaten liegt, ist der Euro-Gipfel immer auf
einen Konsens seiner Mitglieder angewiesen, was die Währungsunion
etwa im Streit über die Reformpolitik in Griechenland immer
wieder an den Rand des Abgrunds treibt.
Stärkung
des Präsidenten der Euro-Gruppe
In
den Memoranden der vier großen Euro-Staaten spielt die
institutionelle Reform deshalb aus gleich mehreren Gründen eine
zentrale Rolle. So kritisiert etwa die italienische Regierung, die
„Notwendigkeit, Einstimmigkeit zu erreichen“ sei „oft ein
Hindernis für effektive EU-Entscheidungen im gemeinsamen Interesse
der Mitgliedstaaten“. Sie schlägt deshalb vor, die nationalen
Vetorechte „wenigstens teilweise zu überdenken“, und verweist
auch gleich auf die Brückenklausel
in Art. 48 Abs. 7
EUV,
die einen Übergang zu Mehrheitsentscheidungen auch ohne Vertragsreform möglich machen würde.
Deutschland
und Frankreich wiederum setzen für die bessere Koordinierung der
Wirtschaftspolitik in der Eurozone vor allem auf eine Stärkung des
Euro-Gipfels. So sollen sich die Staats- und Regierungschefs der
Eurozone künftig nicht nur „regelmäßiger“ treffen, sondern
auch die Möglichkeit bekommen, „andere
Minister der Eurozone zu beauftragen, z. B. die Arbeits- und
Sozialminister, Forschungs- und Wirtschaftsminister“. Neben der
Euro-Gruppe als Kerneuropa-Version des Finanzministerrats könnte es
künftig also auch für jede andere Ratsformation ein Pendant auf
Ebene der Eurozone geben. Darüber hinaus wollen Deutschland und
Frankreich wenigstens eine „Prüfung der Möglichkeit“, den
Präsidenten der Euro-Gruppe zu stärken und ihm zusätzliche
Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Eine
gemeinsame Forderung aller drei Länder ist schließlich, der
Eurozone auch in den internationalen Finanzorganisationen eine
gemeinsame Stimme zu geben – wobei die Memoranden nicht explizit
machen, aber doch erahnen lassen, dass auch dies eine Aufgabe für
den Präsidenten der Euro-Gruppe sein könnte.
Und
das Europäische Parlament?
Eher
im Vagen bleiben die Memoranden hingegen, wenn es um den
Parlamentarismus geht. So erklärt die italienische Regierung nur
sehr allgemein, dass die „Einbindung des Europäischen Parlaments
und der nationalen Parlamente in das Europäische Semester gestärkt
werden könnte“. Deutschland und Frankreich wiederum wollen „die
Einrichtung von spezifischen, der Eurozone gewidmeten Strukturen im
Europäischen Parlament, wobei es dem Parlament überlassen bleibt,
welche Mittel dafür eingesetzt werden“ – was auf Anhieb etwas befremdlich klingt, da es den Ausschuss für
Wirtschaft und Währung im Parlament ja bereits gibt.
Tatsächlich
scheint der deutsch-französische Vorschlag auf die Idee einer
„Euro-Kammer“ anzuspielen, also einer speziellen Formation
innerhalb des Parlaments, an der nur diejenigen Abgeordneten
beteiligt sein sollen, die in Mitgliedstaaten der Eurozone gewählt
wurden. Im Europäischen Parlament stieß dieser Vorschlag bislang
allerdings immer auf Ablehnung (zu den Gründen dafür siehe hier
und hier).
Warum das künftig anders sein sollte, erklärt das Memorandum nicht.
Und auch welchen Sinn die neue Kammer haben sollte, bleibt offen: Von
zusätzlichen Mitspracherechten für die Abgeordneten ist in dem
deutsch-französischen Plan jedenfalls keine Rede.
„So etwas wie ein Finanzminister der Eurozone“
Einen
ganz eigenen Vorschlag unterbreitet schließlich die spanische
Regierung, die bei der demokratischen Legitimation der
Eurozonen-Politik vor allem auf eine „stärkere Zusammenarbeit
zwischen den nationalen Parlamenten“ setzt. Zu diesem Zweck möchte
sie eine neue interparlamentarische Versammlung einrichten, die sich
aus den Wirtschaftsausschüssen des Europäischen Parlaments und der
nationalen Parlamente der Eurozone zusammensetzen soll. Dieses
Gremium soll in einem ersten Schritt das Recht bekommen, zweimal im
Jahr die Präsidenten von Euro-Gipfel, Euro-Gruppe und Europäischer
Zentralbank sowie die für Währungsfragen zuständigen
Kommissionsmitglieder zu befragen.
In
einem zweiten Schritt soll die neue interparlamentarische Versammlung
dann „auf Vorschlag des Europäischen Rates“ eine „für die
Wirtschaftspolitik der Eurozone verantwortliche Autorität, so etwas
wie einen Finanzminister der Eurozone“ wählen. Dieser
Finanzminister würde nicht nur das (ebenfalls im spanischen
Memorandum vorgeschlagene) Eurozonen-Budget verwalten, sondern
langfristig „volle Befugnisse über die Fiskalpolitik der Währungsunion“ und eine
„direkte Sanktionsmacht gegenüber den nationalen Behörden“
erhalten. Er würde damit zweifellos mehr Macht auf sich vereinen als
jeder andere Amtsträger auf europäischer Ebene. Für die Parlamente
selbst sieht der spanische Plan hingegen keine weiteren
Mitspracherechte vor.
Demokratie
ist für die Regierungen nur ein Nebenthema
Natürlich
handelt es sich bei den drei Memoranden nur um die Vorschläge
einzelner Regierungen, bis
zu deren Umsetzung es auf jeden Fall noch ein längerer Weg ist.
Trotzdem
gibt das Demokratieverständnis, das darin zum Vorschein kommt,
einigen Anlass zur Sorge.
So ist Spanien offenbar vor allem daran gelegen, der Eurozone ein
starkes exekutives Entscheidungszentrum
zu verschaffen, während die
parlamentarische Dimension auf eine als Wahlverein konzipierte
Versammlung begrenzt bliebe, die noch nicht einmal direkt von den
Bürgern gewählt würde.
Deutschland
und Frankreich wiederum setzen fast ausschließlich auf
Intergouvernementalismus. Mit dem gestärkten Eurogruppen-Präsidenten
wollen auch sie der Eurozone ein neues exekutives Zentrum geben (wenn
auch mit etwas weniger Allmacht als der Finanzminister des spanischen
Memorandums), und es ist nicht ganz abwegig, dies als den Embryo für
eine Eurozonen-Version der EU-Kommission zu deuten. Doch während der
Kommissionspräsident immerhin vom
Europäischen Parlament gewählt wird, würde der Präsident der
Euro-Gruppe weiterhin allein von den nationalen Finanzministern
ernannt.
Die
italienische Regierung schließlich erscheint unter den vieren als
diejenige, die noch die meiste Rücksicht auf eine parlamentarische
Legitimation der Euro-Wirtschaftspolitik nimmt. Auch sie gibt jedoch
keinerlei konkrete Antworten, wie diese ausgestaltet sein könnte.
Insgesamt, so scheint es, ist die Demokratie für die nationalen
Regierungen bei der Eurozone-Reform bestenfalls ein Nebenthema.
Alles
nur Verhandlungstaktik?
Eine
Möglichkeit allerdings sollte noch in Betracht gezogen werden: Es
könnte auch sein, dass den vier Regierungen am Ende gar nicht
wirklich an einer Umsetzung ihrer institutionellen Reformvorschläge
gelegen ist. Denn neben der Zukunft der Währungsunion diskutiert der
Europäische Rat am 25./26. Juni ja auch noch über ein anderes
großes Thema – die Forderungen, die der britische Premierminister
David Cameron (Cons./AECR) zur Bedingung macht, um sich bei dem
britischen EU-Austrittsreferendum im nächsten oder übernächsten
Jahr für einen Verbleib in der Union einzusetzen. Und eine dieser
Forderungen ist gerade, dass die wesentlichen wirtschaftspolitischen
Entscheidungen der EU auch in Zukunft unter Beteiligung aller
Mitgliedstaaten getroffen werden, und nicht von der Eurozone allein.
Wenn
Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien mit ihren Vorschlägen
nun genau in die entgegengesetzte Richtung zielen, so könnte
das also auch eine bloße Verhandlungstaktik sein: Je
deutlicher sie mit der Möglichkeit eines institutionell weitgehend
eigenständigen „Kerneuropa“ drohen, desto mehr Raum haben sie
später, um sich in dieser Frage auf Cameron zuzubewegen. Am Ende
bliebe es dann vielleicht bei ein, zwei zusätzlichen Treffen des
Euro-Gipfels pro Jahr, die aber weiterhin nur informelle Bedeutung
hätten.
Nur:
Wäre das wirklich eine Lösung? Wohl nicht – denn ganz gleich, zu welchem Deal die EU mit Großbritannien
kommt, bleibt eine Reform der Währungsunion ja weiterhin notwendig,
um eine Wiederholung der Eurokrise zu verhindern. Wie es aussieht, hat die Diskussion über die künftige
institutionelle Gestalt der
Eurozone gerade erst begonnen.
Die Eurozone als Kerneuropa
1: Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion
2: Vorschläge zur institutionellen Reform
3: Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt
1: Deutsch-französische, spanische und italienische Reformvorschläge für die Währungsunion
2: Vorschläge zur institutionellen Reform
3: Was das Europäische Parlament zur Reform der Währungsunion sagt
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