Ende
2016 werden zwei der wichtigsten Ämter in der Weltpolitik neu
besetzt: das des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und
das des Generalsekretärs der Vereinten Nationen. Die potenziellen
Nachfolger von Barack Obama bringen sich gerade in Stellung: Während
auf Seiten der Demokraten Hillary Clinton als nahezu
unvermeidlich gilt, gibt es bei den Republikanern einen ganzen
Strauß
an möglichen Interessenten. Und die Nachfolge-Kandidaten von Ban
Ki-Moon? Nun, auch hier nimmt die Debatte allmählich an Fahrt auf –
auch wenn die Medien ihr bislang weitaus weniger Aufmerksamkeit
schenken als dem Wahlkampf in den USA.
Doch
während das Wahlverfahren in den USA bereits bis in viele Details
feststeht, ist jenes in den Vereinten Nationen derzeit noch
Gegenstand politischer Diskussionen, über die ich auf diesem Blog
vor
einem knappen halben Jahr bereits ausführlicher geschrieben habe.
Nach Art. 97 UN-Charta
wird der Generalsekretär „auf Empfehlung des Sicherheitsrats von
der Generalversammlung ernannt“. In der Praxis schlägt der
Sicherheitsrat jedoch stets nur einen einzigen Namen vor, der von der
Generalversammlung dann lediglich bestätigt wird. Und da die
ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats – die USA, Russland,
China, Frankreich und Großbritannien – dabei ein Vetorecht haben,
sind es letztlich meist nur diese fünf, die die Entscheidung unter
sich ausmachen.
In
letzter Zeit regt sich allerdings ein gewisser Widerstand gegen
dieses Verfahren. Mit der
Kampagne One for Seven
Billion setzt sich eine
Gruppe von zivilgesellschaftlichen Organisationen (darunter
das World
Federalist Movement und die
United Nations Association UK) eine
inklusivere und transparentere Auswahlprozedur ein.
Als eine ihrer
Schlüsselforderungen soll der Sicherheitsrat der Generalversammlung
nicht nur einen, sondern mehrere Kandidaten präsentieren. Um die
Unabhängigkeit des Generalsekretärs zu gewährleisten, soll
außerdem seine Amtszeit von fünf auf sieben Jahre verlängert und
zugleich die Möglichkeit einer Wiederwahl abgeschafft werden.
Nur
Russland und die USA blockieren
Im
vergangenen Februar übernahmen
auch The Elders
(eine
renommierte Gruppe ehemaliger
Spitzenpolitiker, die 2007
von dem früheren südafrikanischen Präsidenten
Nelson Mandela gegründet
wurde und inzwischen von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan geleitet
wird) diese Forderungen in
einem Politikpapier
zur UN-Reform.
Anfang März erreichten
sie schließlich auch eine formelle Ebene:
Bei einer
Sitzung der
Ad
Hoc Working Group on the revitalization of the work of the General
Assembly, einer
Arbeitsgruppe der UN-Generalversammlung, sprachen sich
zahlreiche
Mitgliedstaaten für Reformen entlang dieser Vorschläge aus.
Auch
beim nächsten Treffen der Arbeitsgruppe am 27. April wird das
Ernennungsverfahren des Generalsekretärs wieder
Thema sein. Schon das ist ohne Zweifel ein Erfolg der Kampagne
One for Seven Billion – und
ein schönes Zeichen dafür, dass auch zivilgesellschaftliche
Organisationen durchaus eine
Chance haben, sich in den Vereinten Nationen Gehör
zu verschaffen. Ob
sich die Befürworter der Reform letztlich durchsetzen können, ist
aber offen. Zwar lehnten in der Arbeitsgruppensitzung im März nur
zwei Mitgliedstaaten die Vorschläge explizit ab. Doch dabei handelte
es sich ausgerechnet um Russland und die USA, die beide im
Sicherheitsrat ein Vetorecht besitzen. Im weiteren Verlauf dürfte es
deshalb vor allem darauf ankommen, wie viel diplomatischen Druck die
übrigen Mitgliedstaaten aufbringen können und wollen, um die beiden
Blockademächte zum Einlenken zu bringen.
Das
Profil des nächsten Generalsekretärs
Neben diesen Vorschlägen von One for Seven Billion und den
Elders, die auf eine Reform des Wahlverfahrens
insgesamt abzielen, zirkulieren aber auch noch weitere, konkretere
Forderungen, wie das Profil des nächsten UN-Generalsekretärs
aussehen sollte. Immer wieder ist etwa der
Wunsch zu hören, dass nach acht Männern nun endlich auch einmal
eine Frau das Amt übernehmen sollte.
Andere Überlegungen wiederum zielen auf die Vorerfahrungen ab, die
ein UN-Generalsekretär mitbringen sollte. In der Vergangenheit wurde
das Amt meistens von Politikern übernommen, die zuvor eine
diplomatische Karriere gemacht hatten, in einigen Fällen waren sie
nationaler Außenminister ihres Herkunftslandes gewesen. Nur mit Javier Pérez-Cuéllar 1981 und Kofi Annan 1996 wurden Kandidaten ernannt, die
schon zuvor als Vize-Generalsekretär für die Weltorganisation
gearbeitet hatten. Angesichts des großen Reformbedarfs in den
UN-Strukturen könnte es sich nun lohnen, diesen Ansatz zu
wiederholen und einen Kandidaten zu wählen, der die oft barocke und
schwer zu durchschauende UN-Verwaltung bereits von innen heraus
kennt.
Umgekehrt wäre es aber auch denkbar, stattdessen einen früheren
nationalen Regierungschef zu ernennen, um so die Bedeutung des Amtes
zu unterstreichen. Das UN-Sekretariat nähme
damit eine ähnliche Entwicklung wie die Europäische Kommission,
deren Präsidenten lange Zeit in der Regel ebenfalls nur eine
Ministerkarriere hinter sich hatten – während seit Mitte der
1990er Jahre stets ein früherer Regierungschef zum Zuge kam.
Der
Anspruch der Osteuropäer
- Für die UN besteht die Welt aus fünf Regionen. Vier davon haben schon mindestens einmal den Generalsekretär gestellt.
Das Kriterium, dem unter den UN-Mitgliedstaaten wohl die größte
Bedeutung zugeschrieben wird, ist jedoch die regionale Herkunft des
nächsten Generalsekretärs. Obwohl die UN-Charta in Bezug auf die
geografische Ausgewogenheit nur sehr vage Vorgaben macht, hat sich in
der Praxis bei der Verteilung von Ämtern im Laufe der Zeit ein sehr
weitreichender Regionalproporz herausgebildet. Zu diesem Zweck wird
jeder Mitgliedstaat einer von fünf regionalen
Gruppen zugerechnet, die beispielsweise jeweils eine feste Anzahl
von Sitzen im UN-Sicherheitsrat haben und zwischen denen auch sonst
die wichtigsten Positionen der Weltorganisation nach mehr oder
weniger formalisierten Regeln rotieren.
Folgt man dieser Zuordnung, so waren unter den bisherigen
Generalsekretären drei Westeuropäer, zwei Asiaten, zwei Afrikaner
sowie ein Lateinamerikaner. Die einzige Regionalgruppe, die bislang
noch nie zum Zuge kam, ist Osteuropa – und so braucht es wohl nicht zu verwundern, dass der Sprecher
dieser Gruppe Ende 2014 in
unmissverständlichen Worten den Anspruch erhob, nun sei
„endlich die Zeit gekommen, dass ein Staatsangehöriger aus unserer
Region mit der höchsten Position des UN-Sekretariats betraut wird“.
Die
Ukraine-Krise
Diese Forderung macht die Suche nach einem Kandidaten freilich nicht
unbedingt einfacher. Mit nur 23 Mitgliedstaaten ist Osteuropa die
kleinste unter den Regionalgruppen, zugleich aber eine reichlich
heterogene. In ihrer Zusammensetzung folgt sie nämlich noch den
Bündnisstrukturen des Kalten Krieges: Es handelt sich genau um jene
europäischen Staaten, die bis 1990 dem Ostblock angehörten bzw.
kommunistisch regiert wurden – auch wenn deren politische
Entwicklung seitdem grundverschiedene Wege genommen hat. Im Einzelnen
sind elf dieser Staaten heute Mitglied der EU, fünf weitere sind die
EU-Beitrittskandidaten (oder potenziellen Beitrittskandidaten) auf
dem Westbalkan. Hinzu kommen die drei Kaukasus-Länder Georgien,
Armenien und Aserbaidschan, die Republik Moldau, die Ukraine,
Weißrussland und Russland.
Wie angespannt die politische Lage zwischen einigen dieser Länder
derzeit ist, weiß jeder Zeitungsleser. In gleich drei von ihnen
(Georgien, Moldau und der Ukraine) gibt es starke separatistische
Bewegungen, die von Russland mit teils militärischen Mitteln
unterstützt werden. 2014 führte die Annexion der Krim-Halbinsel
dazu, dass die EU und die USA wirtschaftliche Sanktionen gegen
Russland verhängten, wobei besonders die östlichen EU-Staaten wie
Polen oder die baltischen Länder sich für eine harte Linie
einsetzten. Und natürlich haben viele osteuropäische Außenpolitiker
im Laufe der letzten Jahre in der ein oder anderen Form zu diesen
Auseinandersetzungen Stellung bezogen.
Bei der Ernennung des UN-Generalsekretärs aber haben sowohl die USA
als auch Russland ein Vetorecht. Nötig ist deshalb ein Kandidat, der
für beide Seiten akzeptabel ist – und der unabhängig genug sein
müsste, um in einem Konflikt zu vermitteln, der sich in direkter
geografischer Nähe seines Herkunftslandes abspielt.
Namen
im Gespräch
Wer also käme für das Amt in Frage? Anderthalb Jahre vor der
eigentlichen Wahl beinhaltet das Spektrum an möglichen Bewerbern
natürlich alles, was die Gerüchteküche hergibt. Einige Namen
allerdings sind immer wieder zu hören:
● Die Kandidatin, die die inoffiziellen Auswahlkriterien am besten
erfüllt, dürfte derzeit die Bulgarin Irina
Bokova sein, ehemalige Außenministerin ihres Landes und seit
2009 Generalsekretärin der UNESCO. Sie kann mit der Unterstützung
ihrer nationalen Regierung rechnen, hat sowohl in Russland als
auch in den USA studiert und hat es sich auch später mit keinem der
beiden Länder verscherzt.
●
Ebenfalls auf
die Unterstützung seiner nationalen Regierung rechnen kann der
Slowene Danilo
Türk, derzeit
Vorsitzender der
entwicklungspolitischen Organisation Global
Fairness Initiative. Zudem
bringt Türk umfassende
politische Vorerfahrungen mit:
Von
2000 bis 2005 arbeitete er
unter Kofi Annan als
Beigeordneter UN-Generalsekretär, von 2007 bis 2012 war
er Staatspräsident seines
Landes.
● Bei
anderen Kandidaten sind
die Aussichten etwas unklarer. Interessiert
ist offenbar auch der frühere serbische Außenminister Vuk
Jeremić, derzeit Vorsitzender des Außenpolitik-Thinktanks
CIRSD, dessen nationale Regierung
seine Bewerbung derzeit
allerdings nicht unterstützt. Und auch der frühere
OSZE-Generalsekretär und derzeitige UN-Sonderbeauftragte für
Afghanistan, der Slowake Ján
Kubiš, dürfte es nicht ganz einfach haben – mit Außenminister
Miroslav
Lajčák hat er einen Konkurrenten
aus seinem eigenen Herkunftsland.
●
Sollten sich die Osteuropäer am Ende doch nicht durchsetzen, gibt es
zudem noch eine Reihe weiterer Kandidaten aus verschiedenen anderen
Weltregionen. Immer wieder genannt werden etwa die Namen des
Portugiesen António
Guterres, früherer Premierminister seines Landes und seit 2005
Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, oder der
Neuseeländerin Helen
Clark, auch sie frühere Premierministerin und derzeit Leiterin
des UN-Entwicklungsprogramms UNDP. Und natürlich noch viele, viele
weitere, deren Kandidatur mal mehr, mal weniger ernsthaft ins
Gespräch gebracht wird. Ein Überblick über sämtliche
Spekulationen findet sich hier.
So
oder so: Der Wettlauf um das höchste
Amt, das die Vereinten Nationen zu vergeben haben, hat begonnen, und
er ist kaum weniger spannend als derjenige um die Präsidentschaft
der Vereinigten Staaten von Amerika. Dass er so intransparent verläuft, dass die Medien sich bislang
trotzdem kaum dafür interessieren, ist dabei nicht nur ein bedauerlicher
Randaspekt – sondern die Ursache für ein erhebliches Legitimationsdefizit gegenüber uns Bürgern. Es ist der Weltorganisation nur zu wünschen, dass sie es in den nächsten
anderthalb Jahren noch überwinden kann.
Ján Kubiš ist seit dem 24.2.2015 Leiter der UN-Mission und UN-Sonderbeauftragter im Irak. Da dieser Posten vom UN-Sicherheitsrat bestätigt werden muss, kann man diese Berufung möglicherweise als Unterstützung für seine Person werten.
AntwortenLöschenhttp://www.nytimes.com/aponline/2015/02/24/world/middleeast/ap-un-bc-united-nations-iraq-appointment.html