Nun
ist es also so weit: Seit einer Woche regiert in Griechenland Alexis
Tsipras mit seiner Partei Syriza (EL). Die Europäische Linke konnte
damit ihr schon mehrere Monate andauerndes europaweites
Umfrage-Hoch in einen konkreten Wahlerfolg ummünzen und stellt
erstmals seit der Abwahl des Zyprers Dimitris Christophias 2013
wieder in einem EU-Mitgliedstaat den Regierungschef. Doch während
Christophiasʼ einst
kommunistische Partei AKEL schon lange zum zyprischen Establishment
gehört und über die Jahre hinweg zunehmend sozialdemokratische
Positionen entwickelt hatte, gibt sich die griechische Syriza jung,
wild und konfliktfreudig: Immerhin verdankt sie ihre Erfolge vor
allem der Verdrossenheit vieler Griechen über die alten nationalen
Eliten und über die Bedingungen, die die übrigen EU-Regierungen dem
Land für die Rettungskredite in der Eurokrise auferlegt haben. Und
so gelang es Syriza, dem Rest der EU in den wenigen Tagen seit der
Wahl gleich drei kräftige Schrecken einzujagen.
Erster
Schreck: Der Koalitionspartner
Der
erste dieser Schrecken war die Auswahl des Koalitionspartners. Dank
eines Mehrheitsbonus, den das griechische Wahlsystem für die
stärkste Partei vorsieht, fehlen Syriza mit 36,3 Prozent der Stimmen
nur zwei Mandate für eine absolute Mehrheit der Sitze. Sie musste sich
also unter den fünf Kleinparteien im Parlament einen
Koalitionspartner suchen. Dabei schieden die altkommunistische KKE
(die Syriza schon seit längerem eine allzu
große europapolitische Kompromissbereitschaft vorwirft) und die
rechtsextreme XA a priori aus – ebenso wie die einst
dominante und nun zusammengeschrumpfte Mitte-Links-Partei PASOK
(SPE), die seit 2009 durchgängig an der griechischen Regierung
beteiligt war und daher von den Syriza-Wählern eher als Teil des
Problems als der Lösung betrachtet wird.
Sehr
wohl denkbar war allerdings eine Koalition mit der ebenfalls noch
sehr jungen linksliberalen Partei To Potami (die im Europaparlament
in der sozialdemokratischen Fraktion sitzt, zuletzt aber vor allem
von
der europäischen liberalen Partei ALDE unterstützt wurde). Wie
Syriza profilierte sich To Potami im Wahlkampf durch eine scharfe
Abgrenzung von den bisherigen Regierungsparteien. Zugleich bekannte
sie sich allerdings auch zu einem klar proeuropäischen Kurs, der
sich nicht gut mit Tsiprasʼ
rhetorischer
Hardliner-Linie vertrug.
Tsipras
hält sich für die Neuverhandlungen den Rücken frei
Stattdessen
kam es am Montag
nach der Wahl zu einer Koalition zwischen Syriza und der
rechtskonservativen ANEL (die im Europäischen Parlament zur
ECR-Fraktion gehört, in der unter
anderem auch die
britischen Tories und die deutsche AfD sitzen). Da
die Ablehnung der Sparpolitik so
ziemlich das Einzige
ist, was
die beiden Parteien vereint,
ist es derzeit eher
zweifelhaft, ob dieses
Bündnis tatsächlich
für eine ganze Wahlperiode halten wird. Sollte
es zu Zerwürfnissen kommen, hat Syriza in To Potami schließlich
weiterhin einen alternativen
Koalitionspartner.
Dennoch
war
das Signal, das von der
griechischen
Regierungsbildung ausging,
erst einmal eindeutig:
In den anstehenden
harten Neuverhandlungen
mit den EU-Partnern möchte
sich Tsipras
auf nationaler Ebene den
Rücken freihalten.
Zweiter
Schreck: Veto gegen Russland-Sanktionen?
Der
zweite Schreck folgte dann am vergangenen Mittwoch: Einen Tag, bevor
sich der EU-Außenministerrat traf, um wegen der neuen Entwicklungen
in der Ukraine die Sanktionen gegen Russland zu verlängern,
erklärten führende Syriza-Politiker ihre Unzufriedenheit mit dieser
Politik und deuteten
an, dass ihre Regierung ein Veto dagegen einlegen könnte.
Nun
sind die engen diplomatischen Beziehungen zwischen Griechenland und
Russland grundsätzlich keine Neuigkeit: Der außenpolitische
Thinktank European Council on Foreign Relations etwa
bezeichnete Griechenland und Zypern schon 2007 als „trojanische
Pferde“ Russlands in der EU. In der Ukraine-Krise aber hatte
die alte griechische Regierung die Sanktionen der EU bislang immer
mitgetragen. Dass Syriza nun eine mögliche Kehrtwende andeutete,
löste daher nicht nur verärgerte
Reaktionen des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD/SPE)
aus, sondern auch wilde
Spekulationen über Tsiprasʼ
mögliche Hintergedanken.
Jedes
Land kann die anderen erpressen
Am
Ende aber war dann alles erst einmal nur halb so wild: Die
Syriza-Regierung, erklärte der neue griechische Finanzminister am
Donnerstag, wolle
gar kein Veto einlegen. Sie sei nur verärgert gewesen, dass man
in Brüssel ihre Zustimmung schon vorausgesetzt habe, bevor man
überhaupt mir ihr darüber gesprochen habe. Tatsächlich stimmte
Griechenland im Rat am selben Abend den
neuen Sanktionen zu. Und zuletzt stellte Tsipras noch klar, dass
seine Regierung auch nicht
an russischen Hilfskrediten interessiert sei.
Und
dennoch dürfte auch bei der ominösen Veto-Drohung das Signal an die
Regierungen der übrigen EU-Mitgliedstaaten klar sein: In der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch in
verschiedenen anderen Themenfeldern, ist die EU auf Einstimmigkeit
angewiesen. Positiv gesprochen führt dieser Konsenszwang dazu, dass
keine Regierung mit ihren Kernanliegen einfach übergangen werden
kann. Negativ formuliert ist dadurch jedes Land in der Lage, die
anderen zu erpressen. Sollten die übrigen Mitgliedstaaten darüber
nachgedacht haben, die Syriza-Regierung in wirtschaftspolitischen
Belangen einfach zu isolieren und in die Enge zu treiben, so müssten
sie sich darauf einstellen, dass es künftig auch bei anderen Themen
griechische Blockaden geben könnte.
Dritter
Schreck: Rauswurf der Troika
Doch
die eigentliche Kernfrage
zwischen Griechenland und dem Rest der EU ist natürlich nicht
Russland, sondern die Zukunft des griechischen Hilfsprogramms. Schon
vor der Wahl hatte dieses Thema große Wellen geschlagen: Auf der
einen Seite machte Tsipras im Wahlkampf wieder und wieder deutlich,
dass er nicht bereit sei, den Spar- und Reformkurs fortzusetzen, den
die übrigen Mitgliedstaaten zur Bedingung für die Auszahlung der
Rettungskredite gemacht haben. Auf der anderen Seite lehnten vor
allem Vertreter der deutschen Bundesregierung mögliche
Nachverhandlungen strikt ab und brachten um
den Jahreswechsel sogar
das
Gespenst eines griechischen Euro-Austritts wieder ins Gespräch.
Nicht
gerade entspannter wird die Stimmung noch dadurch, dass Ende Februar
das aktuelle Hilfsprogramm für Griechenland ausläuft. Sollte bis
dahin keine neue Vereinbarung gefunden werden, wäre Griechenland
bankrott. Und nicht nur das: Auch die Europäische Zentralbank
akzeptiert griechische Staatsanleihen derzeit nur deshalb als
Sicherheit, weil das Land den mit den übrigen EU-Staaten
vereinbarten Reformkurs umsetzt. Wenn Griechenland kein
„Programmland“ mehr wäre, könnten deshalb auch die griechischen
Privatbanken nicht mehr die Staatsanleihen ihres Landes nutzen, um
sich bei der EZB zu refinanzieren, und wären dann auf sogenannte
Notfall-Liquiditätshilfen durch die nationale Zentralbank
Griechenlands angewiesen. Schlimmstenfalls könnte eine katastrophale
Pleitewelle die Folge sein.
Ein Weiter-so ist unmöglich geworden
Vor
der Wahl wurde deshalb erwartet, dass Syriza sich wenigstens
kurzfristig auf eine Verlängerung des aktuellen Reformprogramms
einlassen würde, um Zeit für weitere Verhandlungen zu gewinnen.
Aber weit gefehlt: Am vergangenen Freitag erklärte die griechische
Regierung ihre kategorische Ablehnung
gegen jede weitere Zusammenarbeit mit der Troika – also mit
jenem umstrittenen
Gremium aus EZB, Europäischer Kommission und Internationalem
Währungsfonds, das bis jetzt für die Überwachung des
griechischen Reformprogramms zuständig war.
Mit
dem Rauswurf der Troika geht Tsipras aufs Ganze: Ein vorübergehendes
„Weiter so“, um Zeit für mehr Gespräche zu gewinnen, ist damit
unmöglich geworden. Zum entscheidenden Termin dürfte stattdessen
der kommende 12. Februar werden. Dann wird sich Tsipras zum ersten
Mal mit den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs im
Europäischen Rat treffen – und sollte mit ihnen möglichst sofort
zu einem neuen Arrangement gelangen.
Die
Tage der Troika sind ohnehin gezählt
Ganz
unmöglich freilich ist das nicht. Denn erstens ist an einem
plötzlichen Staatsbankrott oder gar einem Euro-Austritt
Griechenlands niemandem gelegen, der in Europa irgendeinen
politischen Einfluss hat – der Bundesregierung ebenso wenig wie
Tsipras, der Mehrheit der griechischen Bevölkerung ebenso wenig wie
der Kommission oder der EZB. Zweitens gab es
auch vor der griechischen Wahl schon Gespräche, in denen mögliche
Kompromisslinien ausgelotet wurden: Denkbar wäre etwa eine
„Wachstumsklausel“, mit der die Zinsen für die bestehenden
griechischen Kredite an
das künftige Wirtschaftswachstum des Landes gekoppelt würden.
Zuletzt gab auch die griechische Regierung noch einmal zu verstehen,
dass das Nein zur Troika keine grundsätzliche Absage an ein neues Reformprogramm
sei.
Und
schließlich scheinen die Tage der Troika ohnehin gezählt, seitdem
Mitte Januar der
Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs
in einem Gutachten die
Beteiligung der Europäischen Zentralbank daran unter bestimmten
Umständen für
europarechtswidrig ansah.
Dieses Gutachten ist zwar
kein rechtskräftiges
Urteil und hat auch nicht
unmittelbar mit der
jetzigen Situation in Griechenland zu tun. Es
führte aber dazu, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
(CSV/EVP) der Troika schon
vor zwei Wochen „keine
glänzende Zukunft“ voraussagte.
Inzwischen sieht es sogar
bereits danach
aus, dass die Kommission
aktiv
nach Alternativen sucht.
Diplomatisches
Feiglingsspiel
In
den letzten Tagen machte die EU in Sachen Griechenland also eine
emotionale Achterbahnfahrt durch: Auf jeden der drei Schrecken folgte
ein Moment der Erleichterung, auf jede rhetorische Drohung ein Signal
der Kompromissbereitschaft. Dieser Holperkurs liegt zum Teil wohl an der fehlenden
Regierungserfahrung der Syriza-Politiker, die noch vor zehn Tagen im
Wahlkampf waren und nun Schwierigkeiten haben, den richtigen Ton zu
finden. Hinzu kommt, dass Syriza als Mitglied der Europäischen
Linkspartei noch kaum über
etablierte Gesprächskanäle zu der informellen Großen Koalition
aus EVP, SPE und ALDE verfügt, die die EU-Institutionen dominiert. Und
schließlich mag es ein wenig auch ein Problem der internationalen
Medien sein, denen in der Aufregung immer wieder bestimmte
Nuancen in den Positionen von Syriza entgangen sind.
Der
eigentliche Grund dafür, dass die Griechenland-Frage zuletzt so hohe
Wellen geschlagen hat, dürfte aber ein anderer sein: Was die EU in
diesen Tagen erlebt, ist eine erneute Auflage des Feiglingsspiels,
das so viele diplomatische Verhandlungen prägt. Sowohl Griechenland
als auch den übrigen EU-Staaten ist sehr an einer erfolgreichen
Kompromisslösung gelegen – aber jede Seite hofft, dass die andere
etwas früher nachgeben wird, und so testen sie beide aus, wie weit
sie einander unter Druck setzen können.
In
der Währungsunion geht Demokratie nur noch überstaatlich
Beide
Seiten haben dabei starke Argumente für sich: Die Kreditgeber können
darauf pochen, dass man das vereinbarte Reformprogramm nicht einfach
einseitig aufkündigen kann und dass (in
den Worten von EVP-Fraktionschef Manfred Weber) die europäischen
Steuerzahler nicht für Tsiprasʼ
nationale Wahlversprechen bezahlen wollen. Umgekehrt kann die
griechische Regierung darauf verweisen, dass sie eben erst von ihren
Wählern ein klares Mandat bekommen hat. Wie Tsipras vor kurzem in
einem Gastbeitrag
für die Financial Times schrieb: „Austerität
ist nicht Teil der EU-Verträge, Demokratie und Volkssouveränität
schon.“
Am
Ende zeigt das Griechenland-Problem deshalb nur wieder einmal, was in
diesem Blog schon
öfters thematisiert wurde: In einer Währungsunion, in der alle
Staaten voneinander abhängig sind, kann eine nur nationale
Demokratie nicht mehr funktionieren. Eine wirtschaftspolitische
Gängelung Griechenlands durch die Kreditgeber ist ebenso wenig
demokratisch wie die Idee, dass die griechischen Wähler nach
Belieben das Geld ausländischer Steuerzahler ausgeben könnten.
Wenn
die Wirtschaftspolitik in der EU aber nur noch gemeinsam festgelegt
werden kann, dann sollte darüber auch gemeinsam entschieden werden.
Kurzfristig wird uns deshalb nichts anderes übrigbleiben, als zu
hoffen, dass sich Tsipras und die anderen Regierungschefs in ihrem
Feiglingsspiel noch rechtzeitig auf einen Kompromiss einigen.
Langfristig aber darf die Zukunft des Kontinents nicht mehr vom
Ausgang einzelner nationaler Parlamentswahlen abhängen. Es gibt ein
Europäisches Parlament, das die europäische Bevölkerung alle fünf
Jahre gemeinsam wählt – hier, und nicht im Europäischen Rat,
müssen die Fragen entschieden werden, in denen kein Mitgliedstaat
mehr ohne die anderen kann.
Bild: By FrangiscoDer (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons.
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