- Nein, ein Pakt mit dem Teufel sollen die Vertragspartnerschaften nicht werden. Aber besonders demokratisch wären sie auch nicht.
Der Umbau der
europäischen Währungsunion kommt schleichend, aber er kommt: Wenn
alles nach Zeitplan geht, will der Europäische Rat
am 14./15. Dezember die sogenannten „Vertragspartnerschaften“
beschließen, und wenn jemand nicht weiß, was es damit auf
sich hat, dann dürfte er wohl zur großen Mehrheit der europäischen
Bevölkerung zählen. Dabei ist der Vorschlag durchaus nicht
neu: Zum ersten Mal fand er sich bereits im Oktober 2012 in einem Bericht des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy (CD&V/EVP), als „Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit“ (CCI) übernahm ihn später auch die Europäische Kommission. Besonders gefördert wurde er von
der deutschen Bundesregierung; als „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ erschien er im Bundestagswahlprogramm der CDU/CSU (EVP);
und als „vertragliche
Reformvereinbarungen mit der europäischen
Ebene“ steht er auch im Koalitionsvertrag
mit der SPD (SPE).
Im
vergangenen Oktober schließlich sprach sich der Europäische Rat
prinzipiell für den Ansatz aus – obwohl das Nachrichtenportal
EUobserver danach
gewisse
Zweifel vermeldete, „weil verschiedene Regierungschefs überhaupt
nicht zu verstehen schienen, worum es bei diesen Verträgen
eigentlich ging“. Da Angela Merkel (CDU/EVP) die Vertragspartnerschaften allerdings
zur politischen Bedingung für Fortschritte bei der Bankenunion
gemacht hat, ist eine Einigung im Dezember sehr wahrscheinlich. Und
bevor wir dann hinterher alle überrascht sind, lohnt es sich wohl,
spätestens jetzt etwas genauer hinzusehen, was da eigentlich auf die
Eurozone zukommt.
Ziel: Mehr Biss für
die wirtschaftspolitische Koordinierung
Gedanklicher
Ausgangspunkt des Vorschlags ist die Erkenntnis, dass sich in einer
Währungsunion die Wirtschaftspolitik jedes einzelnen Landes auch auf
alle übrigen auswirkt. Das im Vertrag von Maastricht vereinbarte
System, bei dem die Mitgliedstaaten zwar bestimmte
Verschuldungsgrenzen einhalten müssen, aber in ihrer
Wirtschaftspolitik weitgehend frei entscheiden können, kann deshalb
auf die Dauer nicht funktionieren. Um die zwischenstaatliche
Koordinierung zu verbessern, wurden 2011 die „länderspezifischen
Empfehlungen“ eingeführt, mit denen die Europäische
Kommission die heterogenen nationalen Wirtschaftspolitiken zu
einer gesamteuropäischen Strategie zusammenzufügen versucht.
Allerdings bleiben diese Empfehlungen bislang
weitgehend wirkungslos, da die Mitgliedstaaten sie oft einfach nicht
umsetzen – und sich im Zweifel darauf berufen, dass nach den
EU-Verträgen das Letztentscheidungsrecht über die
Wirtschaftspolitik ja nach wie vor nicht auf europäischer, sondern
auf nationaler Ebene liegt.
Die
Vertragspartnerschaften nun sind der Versuch, der europäischen
Koordinierung mehr Biss zu verleihen, ohne formal die nationale
Hoheit über die Wirtschaftspolitik aufzugeben. Das Mittel dazu sind
sogenannte „Reformverträge“, mit denen die einzelnen
Mitgliedstaaten sich zu bestimmten wirtschaftspolitischen Maßnahmen
(etwa zu Reformen am Arbeitsmarkt oder im Rentensystem) verpflichten
sollen. Rechtlich würde es sich dabei um bilaterale völkerrechtliche
Abkommen zwischen dem jeweiligen Staat und der EU handeln,
möglicherweise gestützt auf einen neuen multilateralen
Rahmenvertrag, der wie der ESM-Vertrag und der Fiskalpakt
eigenständig neben den existierenden EU-Verträgen existieren würde.
Damit
die nationalen Regierungen auch tatsächlich bereit sind, solche
bilateralen Reformverträge abzuschließen, könnte als Anreiz ein
neuer europäischer Solidaritätsmechanismus eingerichtet
werden, der den Mitgliedstaaten bei der Finanzierung der vereinbarten
Strukturreformen hilft. Allerdings ist derzeit noch
unklar, wo das Geld dafür herkommen soll. Sobald der
Reformvertrag erst einmal unterzeichnet ist, könnte seine Einhaltung
dann der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs unterliegen.
Drohender
Demokratieverlust
Der
Hauptzweck der Vertragspartnerschaften liegt also in der Garantie,
dass die Mitgliedstaaten zugesicherte wirtschaftspolitische Maßnahmen
auch tatsächlich verwirklichen. Zugleich würden damit auch
Hängepartien wie in Griechenland im Sommer 2012 vermieden, als die
Linkspartei Syriza (EL) ankündigte, dass sie im Falle eines
Wahlsiegs einen Teil der Sparmaßnahmen, die die
Technokraten-Regierung unter Lukas Papadimos zuvor mit dem
Europäischen Rat vereinbart hatte, nicht umsetzen würde.
Auf
den zweiten Blick erweist sich dieser wichtigste Nutzen
der Vertragspartnerschaften allerdings zugleich als ein massiver Verlust an
Demokratie: Da die Reformverträge künftige wirtschaftspolitische
Kehrtwenden ausschließen sollen, schränken sie auch die Möglichkeit
der Bürger ein, über Wahlen Einfluss auszuüben. Zwar müssten die
Vereinbarungen als völkerrechtliche Abkommen jeweils von den
nationalen Parlamenten der betroffenen Staaten ratifiziert werden.
Das allein genügt aber nicht, um tatsächlich eine demokratische
Kontrolle zu sichern: Wenn der Wahlakt nicht zu einer hohlen
Zeremonie verkommen soll, müssen auch danach noch Kursänderungen
möglich bleiben. Mit den Vertragspartnerschaften hingegen bräuchte
die Europäische Kommission nur noch abzuwarten, bis in einem Land
einmal eine zustimmungswillige Parlamentsmehrheit existiert –
und könnte mit dieser dann womöglich für Jahre im Voraus
vertraglich einen bestimmten wirtschaftspolitischen Kurs festlegen.
Das Rodrik-Trilemma
Am
Ende erscheint mir das Problem der Vertragspartnerschaften geradezu
als ein typischer Fall des Rodrik-Trilemmas, von dem ich in diesem
Blog schon
öfters
geschrieben habe. Dessen Kernaussage ist, dass man nicht
gleichzeitig Demokratie, nationale Souveränität und starke
grenzüberschreitende Wirtschaftsverflechtungen haben kann, sondern
immer auf eines der drei verzichten muss.
Anders
ausgedrückt: In einer Wirtschafts- und Währungsunion funktioniert
eine rein nationale Demokratie nicht mehr, da die starken
Abhängigkeiten zwischen den Staaten dazu führen, dass kein Land
seine Entscheidungen mehr frei treffen kann. Will man die
wirtschaftliche Integration nicht rückabwickeln, bleiben deshalb nur
zwei Alternativen: Die eine ist der supranationale Föderalismus, bei
dem die wesentlichen wirtschaftspolitischen Kompetenzen von den
Nationalstaaten auf die demokratischen Organe der EU übertragen
werden. Die andere hingegen besteht in dem, was
Dani Rodrik (in
Anlehnung an Thomas L. Friedman) als die „goldene Zwangsjacke“ bezeichnet. Dabei liegt die Entscheidungsgewalt formell zwar
weiterhin bei den nationalen Regierungen und Parlamenten. Ihre realen
politischen Handlungsspielräume jedoch werden immer weiter
reduziert, bis von einer echten Demokratie keine Rede mehr sein
kann.
Die
Vertragspartnerschaften als „goldene Zwangsjacke“
Die
Vertragspartnerschaften wären geradezu ein Musterbeispiel für eine
solche goldene Zwangsjacke. Sie entstehen aus dem Wunsch heraus, die
formale Kompetenzverteilung in der Europäischen Union unangetastet
zu lassen, aber dennoch die nationalen Spielräume für eine
eigenständige Wirtschaftspolitik so stark einzuschränken, dass für
die Währungsunion kein Schaden entsteht. Ihre Folge wird zum einen
sein, dass die politische Verantwortung für die Wirtschaftspolitik
verschwimmt: Wenn Reformen künftig immer das Resultat einer
umständlich ausgehandelten Vereinbarung zwischen Kommission, Rat und
nationaler Regierung sind, können alle Beteiligten die Verantwortung
für ihre unpopulären Bestandteile auf die jeweils anderen Akteure
abwälzen, ohne dass für den Bürger erkenntlich ist, wen er dafür
zur Rechenschaft ziehen soll.
Zum
anderen können durch die Vertragspartnerschaften bestimmte
politische Optionen auch komplett vom Tisch geräumt werden, indem
eine langfristige Reformagenda vertraglich festgeschrieben und damit
dem demokratischen Wechselspiel entzogen wird. Ein ähnliches Problem
kennt man auf einzelstaatlicher Ebene, wenn zu viele konkrete
Politikinhalte in die Verfassung eingeschrieben werden. Selbst wenn
ein Großteil der Bürger mit dem eingeschlagenen Kurs nicht
zufrieden ist, sind die rechtlichen Hürden so hoch, dass er kaum
noch korrigiert werden kann.
Die demokratische
Alternative
Die
Alternative zu diesem Weg habe ich oben bereits angedeutet: Sie
besteht darin, nicht auf die Demokratie, sondern auf die nationale
Souveränität im wirtschaftspolitischen Bereich zu verzichten. Wenn
wir uns darüber einig sind, dass wir eine europäische Währungsunion
wollen und dass daher ein gewisses Maß an Zentralisierung
wirtschaftspolitischer Entscheidungen notwendig ist, dann sollten wir
dazu stehen und der EU die entsprechenden Kompetenzen für die
Planung und Umsetzung einer gesamteuropäischen
Wirtschaftsstrategie auch formell übertragen. Die nationalen
Parlamente wären dann in dieser Frage vollständig aus dem Spiel –
dafür aber könnte das Europäische Parlament zum zentralen
demokratischen Akteur aufsteigen. Durch den Gegensatz von
parlamentarischer Mehrheit und Opposition wären in der öffentlichen
Debatte die Verantwortungsstrukturen wieder klarer zu erkennen, und
die Bürger hätten die Möglichkeit, bei der Europawahl effektiven
Einfluss auf politische Richtungsentscheidungen zu nehmen.
Natürlich
erfordert diese föderalistische Lösung eine Änderung der
existierenden EU-Verträge, wofür als Erstes ein
Europäischer Konvent einberufen werden müsste. Das ist,
zugegeben, keine ganz leichte Übung, aber wenn wir die Demokratie in
der Währungsunion bewahren wollen, dann werden wir darum nicht
herumkommen. Wenn die Regierungschefs im Europäischen Rat
politischen Mut haben, sollten sie dieses Ziel besser heute als
morgen auf die Agenda bringen. Die „Vertragspartnerschaften“, die
sie im Dezember beschließen wollen, sind hingegen ein
demokratiepolitischer Irrweg, der kurzfristig zu einer
wirtschaftlichen Stabilisierung führen mag, aber langfristig die
Legitimität der Europäischen Union untergräbt.
Bild: By Derek Smootz (Scan from Compendium Maleficarum) [Public domain], via Wikimedia Commons.
Die "demokratische Alternative" ist doch in sich völlig undemokratisch. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik eines Landes ist einer der zentralen Streitpunkte, über die im demokratischen Prozess gestritten wird. Diese Kompetenz auf EU-Ebene abzugeben, widerspräche fundamental dem Grundgesetz. Man bräuchte also nicht nur einen europäischen Konvent, sondern auch eine Verfassungsgebende Versammlung in Deutschland. Zumal man auch bedenken sollte, dass der demokratische Wettstreit um die besten Ideen, keine Spaßesübung ist, sondern wichtige Funktionen erfüllt.
AntwortenLöschenHinzu kommt, dass das europäische Parlament höchstens ein demokratisches Feigenblatt darstellt. Sowohl die Funktionsweise (es gibt eben keine "Regierung und Opposition" es gibt höchstens eine Fundamentalopposition), als auch die Art der Wahl (ein Bürger Luxemburgs hat eine gewichtigere Stimme, als einer Frankreichs) sind meilenweit davon entfernt eine angemessene demokratische Partizipation der Bürger sicher zu stellen.
Der hier gemachte Vorschlag müsste in letzter Konsequenz zu einer Auflösung der Europäischen Union und zur Schaffung eines europäischen Bundesstaates führen. Das kann man wollen, sollte man dann aber auch so verfolgen und benennen. Eine Bundesrepublik Deutschland, die sämtliche wirtschaftspolitische Kompetenzen auf die EU überträgt, kann und wird es nicht geben.
@Mooks: Dass über die Wirtschafts- und Sozialpolitik gestritten werden muss, sehe ich ganz genauso. Aber das sagt noch nichts darüber aus, auf welcher Ebene man das tun sollte. Man sollte sich da nicht vom deutschen Bundesverfassungsgericht täuschen lassen, das im Lissabon-Urteil den Begriff der "Demokratie" so sehr auf die nationale Demokratie verengt hat, dass es ihn zuletzt gleichbedeutend mit der nationalen Souveränität gebraucht. Das Rodrik-Trilemma ermöglicht es, diese Perspektive zu überwinden. Demokratie kann eben nicht nur im nationalen Parlament stattfinden, sondern auch auf überstaatlicher Ebene. Mehr noch: Wo die grenzüberschreitenden Wirtschaftsverflechtungen so groß sind wie in der europäischen Währungsunion, ist Demokratie zuletzt nur noch auf europäischer Ebene möglich.
AntwortenLöschenDass dafür auch im Europäischen Parlament Veränderungen nötig sind: geschenkt. Zu der Frage, wie man die Auseinandersetzungen zwischen "Mehrheit" und "Opposition" im Parlament befördern könnte, habe ich unter anderen hier bereits einige Vorschläge gemacht. Die degressive Proportionalität bei der Sitzverteilung erscheint mir hingegen unter anderem aus den hier beschriebenen Gründen nicht ganz so gravierend. Dennoch bin ich für die Einführung transnationaler Listen, die dieses Problem weiter abmildern würden.
Ob man das Ganze dann am Ende als europäischen Bundesstaat bezeichnet oder nicht, ist mir persönlich eigentlich ziemlich gleichgültig. Allgemein halte ich von dem hochtrabenden Gegensatzpaar "Bundesstaat/Staatenbund" (mit der EU als irgendetwas "sui generis" in der Mitte) nicht so besonders viel. Die Grenzen zwischen beiden Konzepten sind (übrigens auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur) längst so fließend geworden, dass es mir sinnvoller erscheint, nicht mit solch allgemeinen Schlagwörtern zu hantieren. Stattdessen sollte man jeweils die konkrete institutionelle Ausgestaltung eines Mehrebenensystems in den Blick nehmen, und genau das ist es, was ich in dem Artikel hier angestrebt habe.