- 2012 haben wir ESM und Fiskalpakt bekommen. 2013 wäre ein wenig mehr europäische Demokratie ganz schön.
Lieber europapolitischer Weihnachtsmann,
für
das neue Jahr wünsche ich mir eine Reform der EU-Verträge. Nicht
einfach irgendeine Reform, davon hatten wir ja in letzter Zeit schon
viele. Sondern eine richtige – so eine mit Europäischem Konvent
und viel Medienaufmerksamkeit und öffentlicher Debatte und am
Schluss vielleicht einem europaweiten Referendum. Das wäre ganz
toll. Und wenn ich mir noch mehr wünschen darf, dann fände ich es gut,
wenn bei dieser Vertragsreform Folgendes beschlossen würde:
●
die Wahl des Kommissionspräsidenten allein durch das Europäische
Parlament, ohne Beteiligung des Europäischen Rates,
●
die Einführung eines konstruktiven Misstrauensvotums, durch welches das
Europäische Parlament mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder jederzeit
einen neuen Kommissionspräsidenten ernennen kann,
●
die Ernennung der übrigen Kommissionsmitglieder allein durch den
Kommissionspräsidenten, ohne weitere Vorgaben über ihre Anzahl und Nationalität,
● eine Reform des
Europawahlrechts zur Einführung transnationaler Wahllisten, oder noch besser: die Streichung
aller primärrechtlichen Vorgaben zu nationalen Sitzkontingenten und
die Einführung einer Regelung, nach der das Europawahlrecht künftig
allein durch das Europäische Parlament (ohne Beteiligung des
Ministerrates) beschlossen wird,
●
eine Reform des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 294 AEU-Vertrag, sodass im Europäischen Parlament nur noch eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen, nicht eine Mehrheit aller Abgeordneten notwendig ist,
● die Festlegung von
Brüssel als einzigen Sitz des Europäischen Parlaments (und damit
ein Ende der monatlichen Abgeordneten-Umzüge nach Straßburg),
● ein legislatives
Initiativrecht für das Europäische Parlament in allen Bereichen,
für die das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gilt,
● neue
EU-Kompetenzen bei der Festlegung von Mindeststandards für die
Sicherheit von Kernkraftwerken und Atommüll-Lagern,
● die
Einführung automatischer Stabilisatoren gegen asymmetrische Konjunkturschocks in der
Eurozone: zum Beispiel durch Eurobonds,
oder durch eine massive Ausweitung des EU-Haushalts (z.B. mit einer gesamteuropäischen
Arbeitslosenversicherung), oder auch einfach durch einen neuen
„Stabilisierungsfonds“, der aus einer stark konjunkturabhängigen
Steuer (z.B. der Mehrwertsteuer) gespeist und dann gemäß einem
konjunkturbereinigten Schlüssel unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt
würde,
● die Übertragung des
Vorsitzes in der Eurogruppe an den Kommissar für Wirtschaft und
Währung (und damit die Abschaffung des „Präsidenten der
Eurogruppe“ als eigenständiges Amt),
Gut,
ich weiß, das ist schon eine ganze Menge. Aber, lieber
europapolitischer Weihnachtsmann, weil ich wirklich das ganze Jahr
über brav gewesen bin, habe ich noch ein paar etwas weitergehende
Vorschläge:
● eine Ausweitung des
ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens (d.h. gemeinsame Entscheidung
durch Europäisches Parlament und Ministerrat, ohne Vetomöglichkeit
für einzelne Mitgliedstaaten) auf alle Politikbereiche der EU,
einschließlich Steuern, Sozialpolitik etc.,
● eine Reform von Art. 7 EU-Vertrag, sodass künftig
nicht mehr ein einstimmiger Beschluss des Rates, sondern ein Urteil
des Europäischen Gerichtshofs notwendig ist, um die Verletzung der EU-Grundwerte durch einen Mitgliedstaat festzustellen,
● eine
Reform von Art. 22 AEU-Vertrag, sodass Unionsbürger künftig nicht nur bei
kommunalen, sondern auch bei regionalen und nationalen Wahlen
unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft an ihrem Wohnort wählen
können,
● eine Reorganisation des Europäischen Systems der Zentralbanken, bei der die
einzelnen „nationalen Zentralbanken“ im Eurosystem von den
Nationalstaaten gelöst werden, sodass sie künftig nicht mehr für
einzelne Staaten, sondern für transnationale Zentralbank-Distrikte
zuständig sind,
● eine Reform des
EU-Haushaltsverfahrens, sodass das EU-Budget künftig ohne
Beteiligung des Ministerrats allein durch das Europäische Parlament
verabschiedet wird,
● wenn das Europäische
Parlament alleinige Haushaltsbehörde wird und eigene Steuern erheben
kann: die Einführung von Anleihen auf den EU-Haushalt zur Finanzierung von Investitionen und zum Ausgleich konjunktureller Schwankungen,
● wenn das Europäische
Parlament alleinige Haushaltsbehörde wird, eigene Steuern erheben
und Anleihen auf den EU-Haushalt herausgeben kann: die Abschaffung
des Europäischen Stabilitätsmechanismus, weil der dann überflüssig
sein wird,
● die Zusammenfassung
des gesamten europäischen Primärrechts (vor allem EU-Vertrag, AEU-Vertrag und EU-Grundrechtecharta) in ein
einheitliches Dokument,
Na schön, dieser letzte Punkt ist wirklich ein ziemlich dicker Brocken. Ich will aber nicht unbescheiden sein. Immerhin
gibt es auch ein paar Reformvorschläge, auf die ich gut
verzichten kann. Explizit nicht möchte ich also:
● eine
Stimmrechtsreform im EZB-Rat oder in anderen Gremien, durch die die
Stimmen von Mitgliedstaaten nach ihrer Wirtschaftskraft gewichtet werden.
Das,
lieber europapolitischer Weihnachtsmann, sind meine Wünsche für
eine große EU-Vertragsreform 2013, mit Konvent und allem Drum und Dran. Vielleicht habe ich auch noch den
einen oder anderen Wunsch vergessen, den die Leserinnen und Leser dieses
Blogs mithilfe der Kommentarfunktion gerne nachtragen können. Aber
wenn du diese hier erfüllst, dann würde ich mich jedenfalls schon
einmal sehr darüber freuen. Und wenn es nicht klappt, lieber
europapolitischer Weihnachtsmann, kannst du uns stattdessen ja auch
einfach wieder wie dieses Jahr einen Friedensnobelpreis bringen. Der war ja auch ganz nett.
Und damit geht dieses
Blog für eine Weile in die Winterpause. Allen Leserinnen und Lesern
frohe Feiertage und ein glückliches 2013!
Bild: von Sigismund von Dobschütz (Eigenes Werk) [GFDL oder CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons.
Hallo Herr Müller,
AntwortenLöschenich habe mir den Wunschzettel mal angeschaut und überlegt, was ich als Weihnachtsmann denn erfüllen würde.
1. KP-Wahl nur durch Parlament: Dafür
Fände ich konsequent, wenn man die EU demokratischer, bzw. direkter an den Bürger anbinden will.
2. Konstruktives Misstrauensvotum: Dafür
Logische Konsequenz aus Nr. 1.
3. KP ernennt Kommission: Neutral
Nur wenn Nr. 1 und Nr. 2 erfüllt sind. Ansonsten eher Parlament stärken und dieses die Kommission aussuchen lassen.
4. Transnationale Listen: Zurzeit dagegen
Im Moment brauchen wir meines Erachtens erst eine „Europäische Öffentlichkeit“. Ich denken nicht, dass sich das von oben verordnen lässt. Sprache ist ein erhebliches Hindernis, gerade bei Sprachen die ausschließlich in einem kleineren Land gesprochen werden.
5. Reform des ordentlichen Ggv.: Dagegen
Kann mir ein zusätzliches Ggv. vorstellen, welches für manche kleinere Bereiche gilt und bei dem die Mehrheit der Stimmen reicht. Finde es aber wichtig, dass im EP nicht passieren kann, was im Bundestag gelegentlich passiert, wenn nur 10 Abgeordnete anwesend sind (Bsp. Meldegesetz)
6. Festlegung auf Brüssel als Sitz: Dafür
Aber weil ich gern dagegen bin, leg ich mich auf Strasbourg als einzigen Sitz fest ;D.
7. Initiativrecht für EP: Dafür
Eine Stärkung des demokratisch direkt legitimierten EP ist zu begrüßen.
8. Atomkompetenz: Dafür
Strahlung hält sich nicht an Landesgrenzen, daher ist das eine europäische Aufgabe.
9. Automatische-Stabilisatoren: Dagegen
Ich bin immer noch der Auffassung, dass es für die wirtschaftliche Koordination andere bzw. bessere Mechanismen gibt, zumal hier auch noch einmal zwischen Euro-Zone und unterschieden werden muss.
10. Kommissar wird Eurogruppen-Chef: Neutral
Im Moment kann ich mir hierzu keine Meinung bilden, da ich mir nicht sicher bin, ob es überhaupt hilfreich ist, die Euro-Gruppe weiter in die EU einzubinden. Viele EU-Mitglieder wollen keine weitere Integration, die Euro-Staaten benötigen diese aber. Möglicherweise würde durch eine solche Einbindung eine stärkere Integration sogar mehr blockiert als gefördert.
11. Gemeinsame Einlagensicherung: Dagegen
Ich würde mir eine europäische Pflichtversicherung für Banken vorstellen, die nicht privatwirtschaftlich, sondern von einem öffentlichen Träger verwaltet, aber von den Banken durch eine Versicherungsabgabe getragen wird.
12. Einführung einer EU-Steuer: Dafür
Jede kleine Gemeinde hat nach dem Prinzip der Selbstverwaltung eigene Finanzquellen, nicht aber die EU. Persönlich fände ich eine Kerosin-Steuer sehr geeignet oder die Übereignung der Erlöse aus dem CO²-Handel.
Ja das ist schon eine ganze Menge. Die beiden ersten Zusatzpunkte kann ich nicht beurteilen, das Wahlrecht von Unionsbürger darf gerne auf andere Ebenen ausgeweitet werden, bei den Zentralbanken sehe ich allerdings nicht die Notwendigkeit diese zusammenzufassen. Was es mit dem nächsten Punkt auf sich hat verstehe ich nicht und beim Haushaltsrecht bin ich der Auffassung, dass das Parlament nicht ganz alleine entscheiden sollte. Entsprechend entfallen dann auch die beiden darauffolgenden Punkte. Ebenso würde ich eine EU-Verfassung erst dann bewerten wollen, wenn ich den Inhalt kenne.
Insgesamt ein netter Wunschzettel und einiges davon darf gerne in Erfüllung gehen.