- Für seine Verdienste um die europäische Währungsunion hat Wolfgang Schäuble dieses Jahr den Karlspreis gewonnen. Seine Verdienste um die europäische Demokratie sind noch unklar.
Da können die Van
Rompuys, Barrosos und Junckers dieser EU noch so viele Papiere über
die Zukunft der Eurozone veröffentlichen: So richtig aufgeschreckt
ist die deutsche Medienlandschaft dann doch erst, wenn auch die
Bundesregierung sich der Forderung nach einer tiefgreifenden
Neuordnung der Währungsunion anschließt. Heute nun hat sie dies
getan, und zwar in Gestalt von Finanzminister Wolfgang Schäuble
(CDU/EVP). Kurz nach dem Weltfinanzgipfel in Tokio und wenige Tage
vor dem nächsten Treffen des Europäischen Rates hat dieser nicht
nur in Bezug auf Griechenland den denkwürdigen Satz „There will not be a Staatsbankrott“ geprägt, sondern auch ein Reformprogramm skizziert, das die EU dem Ziel einer gemeinsamen
Wirtschafts- und Finanzpolitik ein gutes Stück näher bringen
könnte.
Schäubles Plan baut
dabei auf Reformschritte auf, die bereits in den vergangenen Jahren
vollzogen wurden. Speziell mit dem Europäischen Semester wurde versucht, die Koordinierung der nationalen
Budgetpolitiken verbessern: Seit 2011 müssen alle Mitgliedstaaten
ihre Haushaltspläne für das Folgejahr jeweils bereits im Januar der
Europäischen Kommission vorlegen, die dann bis Juli sogenannte
„länderspezifische Empfehlungen“ erarbeitet. Wenn dann in der
zweiten Jahreshälfte die nationalen Parlamente die Haushaltspläne
verabschieden, sollen sie diese Empfehlungen berücksichtigen. Sofern
das Defizit über 3 Prozent liegt, kann die Kommission sie dank der
sogenannten Sixpack-Verordnungen
sogar dazu zwingen, indem sie bei Verstößen gegen die Empfehlungen
Geldbußen verhängt. Hingegen können Staaten, die die
Defizitgrenzen einhalten, bislang straflos gegen die
Kommissionsempfehlungen verstoßen – selbst wenn das der Eurozone
insgesamt schadet, etwa weil dadurch ein asymmetrischer Schock
verschärft wird.
Macht für den Währungskommissar
Bereits vor einigen Tagen
schlug deshalb Ratspräsident Herman Van Rompuy (CD&V/EVP) vor, dass
künftig nicht nur die überschuldeten Länder, sondern alle
Euro-Mitgliedstaaten „mit der
europäischen Ebene individuelle vertragliche Vereinbarungen über
die von ihnen geplanten Reformen und deren Implementierung treffen“.
Schäuble stößt nun in dasselbe Horn, verschärft jedoch Van
Rompuys Ansatz noch: Statt einer „vertraglichen Vereinbarung“
zwischen dem Mitgliedstaat und der Union soll das für Wirtschaft und
Währung zuständige Kommissionsmitglied (derzeit Olli Rehn,
Kesk./ELDR) einen nationalen Haushaltsplan, der seiner Meinung nach
gegen die länderspezifischen Empfehlungen verstößt, künftig
schlicht mit einem Veto belegen können. Die Parlamente müssten dann
so lange nachbessern, bis alle Vorgaben erfüllt sind. Die genaue
Ausgestaltung des Etats wäre zwar weiterhin Sache der nationalen
Abgeordneten, faktisch aber würde die Haushaltshoheit künftig von
den nationalen Parlamenten und dem Währungskommissar gemeinsam
ausgeübt.
Und
wenn Schäuble Währungskommissar sagt, dann meint er auch den
Währungskommissar – und nicht die Kommission als Ganzes. Bislang
nämlich funktioniert die europäische Exekutive nach dem
Kollegialprinzip, bei dem alle Beschlüsse von der Kommission
insgesamt beschlossen werden müssen; die Zuteilung von
Zuständigkeitsbereichen an einzelne Mitglieder dient nur
praktischen Zwecken. Schäuble jedoch will, dass der
Währungskommissar die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung
eines nationalen Haushaltsplans künftig allein treffen kann
(eingeschränkt allenfalls durch die Richtlinienkompetenz des
Kommissionspräsidenten). Das Kollegialprinzip würde damit zumindest
in dieser Frage dem Ressortprinzip weichen, wie man es etwa von der
Funktionsweise des deutschen Bundeskabinetts kennt.
Wer kennt Olli Rehn?
Der
Vorteil von Schäubles Plan liegt auf der Hand: Die fiskalpolitische
Koordinierung würde stark vereinfacht; Mitgliedstaaten würden dazu
gezwungen, bei der Gestaltung ihrer Haushalte auch die
wirtschaftspolitischen Bedürfnisse der übrigen europäischen Länder
zu berücksichtigen; und durch die Einführung des Ressortprinzips
würden etwaige Blockaden innerhalb der Kommission (die mit 27
Mitgliedern eigentlich längst zu groß für ein Kollegialorgan
geworden ist) unwahrscheinlicher. Die Nachteile sind jedoch nicht
weniger offenkundig: Mit der Verwirklichung von Schäubles Plänen
würde sehr viel wirtschaftspolitische Macht künftig beim
europäischen Währungskommissar gebündelt – und welche negativen
Folgen das haben kann, ließ sich erst Anfang dieses Jahres in Belgien beobachten.
Damals
nämlich machte Olli Rehn zum ersten Mal von seinen
Sixpack-Befugnissen Gebrauch und wies den Haushaltsplan der kurz
zuvor ins Amt gekommenen belgischen Regierung zurück – die
daraufhin umgehend einen neuen Entwurf mit Einsparungen von 1,3
Milliarden Euro vorlegte. Gleichzeitig jedoch erklärte der belgische
Wirtschaftsminister Paul Magnette (PS/SPE) in einem
Zeitungsinterview, die Europäische Kommission sei „dabei, eine
fünfzehnjährige Rezession vorzubereiten“, und feuerte eine
rhetorische Salve ab, die in dem Ausruf gipfelte: „Wer kennt Olli
Rehn? Wer hat jemals das Gesicht von Olli Rehn gesehen? […]
Niemand. Und doch sagt er uns, wie wir unsere Wirtschaftspolitik
führen sollen. Europa hat keine demokratische Legitimation, dies zu
tun.“ Zwar distanzierte sich Regierungschef Elio Di Rupo (PS/SPE)
wenige Stunden später von diesen Äußerungen seines
Wirtschaftsministers, doch an dem Grundproblem änderte das nichts:
Selbst wenn Rehns Forderungen inhaltlich sinnvoll gewesen sein mögen,
nahmen ihn die meisten Belgier nicht als einen Politiker wahr, der
ihnen politisch verantwortlich und damit legitimiert war,
Entscheidungen über die belgische Haushaltspolitik zu treffen.
Europaparlament: Stärken durch Entschlacken?
Die
wichtigste Frage, die Wolfgang Schäuble zu seinem Plan beantworten
hat, ist folgerichtig, wie eine weitere Machtfülle des
Währungskommissars denn mit einer Demokratisierung der Europapolitik
einhergehen kann. Leider jedoch hat Schäuble dazu nur recht wenig zu
sagen: Vernünftigerweise spricht er sich für eine Stärkung des
Europäischen Parlaments aus, doch wie diese Stärkung aussehen soll,
bleibt unklar. Irgendwie soll es künftig früher in
haushaltsrelevante Fragen „einbezogen“ werden – aber es scheint
nicht so, als wollte Schäuble ihm die Möglichkeit geben, dem
Währungskommissar bei seinen Entscheidungen irgendwelche
Vorschriften zu machen.
Und
dann greift Schäuble noch einen Vorschlag auf, über den ich hier erst kürzlich ausführlich geschrieben habe:
nämlich die Idee einer „parlamentarischen Eurogruppe“, einer
Unterkammer des Europäischen Parlaments, in der nur die Abgeordneten
aus den Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten sein sollen. Dass das
Europäische Parlament selbst diesen Vorschlag ablehnt,
scheint Schäuble dabei nicht weiter zu bekümmern. Und auch, wie das
Parlament dadurch an Einfluss gewinnen soll, erklärt er nicht näher.
Die Tagesschau spricht vom „Prinzip ‚Stärken durch entschlacken‘“, aber was genau man sich
darunter vorstellen soll, leuchtet wenigstens mir persönlich nicht
ein. Jedenfalls habe ich noch nie davon gehört, dass das Europäische
Parlament an einer zu großen Anzahl von Abgeordneten leiden würde
oder dass es in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt wäre, weil
Parlamentarier aus Nicht-Euro-Staaten auch bei währungsrelevanten
Entscheidungen mitstimmen dürfen.
Die demokratische
Legitimität der Europäischen Kommission
Am Ende ist der Vorschlag einer „Eurokammer“ der besseren demokratischen Legitimation sogar abträglich. Denn es wird ja nicht genügen, das Parlament nur hier und da
ein wenig mehr „einzubeziehen“. Wenn die eigentliche Macht über
die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten beim europäischen
Währungskommissar liegen soll, dann führt kein Weg daran vorbei,
die demokratische Legitimität der Europäischen Kommission selbst zu
verbessern. Insbesondere müssen die Bürger die Möglichkeit
bekommen, durch Wahlen auf die parteipolitische Zusammensetzung der
Kommission einzuwirken, um so demokratische Richtungsentscheidungen
zu ermöglichen.
Das aber ist nur möglich, wenn die Kommissionsmitglieder nicht mehr so wie jetzt in erster Linie durch die Mitgliedstaaten benannt werden: Derzeit kann jede nationale Regierung einen Kommissar vorschlagen, was dazu führt, dass in der Kommission Mitglieder aller Parteien vertreten sind, die in irgendeinem europäischen Land regieren – zwölf Konservative, neun Liberale, sechs Sozialdemokraten. Wer davon Währungskommissar wird und ob er eine eher „linke“ oder eine eher „rechte“ Budgetpolitik verfolgt, entzieht sich dem Einfluss der Bürger fast völlig. Damit die Bürger selbst eine Richtungsentscheidung treffen können, müsste die Ernennung der Kommission deshalb enger mit der Europawahl verbunden sein: Nicht die nationalen Regierungen, sondern das Europäische Parlament allein sollte über ihre Zusammensetzung entscheiden. Dadurch käme es im Parlament zu einem Wechselspiel zwischen einer die Kommission stützenden Mehrheitskoalition und einer Opposition, die eine programmatische und personelle Alternative dazu bieten könnte. Olli Rehn wäre für die Europäer kein Unbekannter mehr, sondern ein Vertreter der Partei oder Koalition, die durch ihren Wahlsieg bei der Europawahl zur Übernahme einer politischen Führungsrolle legitimiert wäre.
Das aber ist nur möglich, wenn die Kommissionsmitglieder nicht mehr so wie jetzt in erster Linie durch die Mitgliedstaaten benannt werden: Derzeit kann jede nationale Regierung einen Kommissar vorschlagen, was dazu führt, dass in der Kommission Mitglieder aller Parteien vertreten sind, die in irgendeinem europäischen Land regieren – zwölf Konservative, neun Liberale, sechs Sozialdemokraten. Wer davon Währungskommissar wird und ob er eine eher „linke“ oder eine eher „rechte“ Budgetpolitik verfolgt, entzieht sich dem Einfluss der Bürger fast völlig. Damit die Bürger selbst eine Richtungsentscheidung treffen können, müsste die Ernennung der Kommission deshalb enger mit der Europawahl verbunden sein: Nicht die nationalen Regierungen, sondern das Europäische Parlament allein sollte über ihre Zusammensetzung entscheiden. Dadurch käme es im Parlament zu einem Wechselspiel zwischen einer die Kommission stützenden Mehrheitskoalition und einer Opposition, die eine programmatische und personelle Alternative dazu bieten könnte. Olli Rehn wäre für die Europäer kein Unbekannter mehr, sondern ein Vertreter der Partei oder Koalition, die durch ihren Wahlsieg bei der Europawahl zur Übernahme einer politischen Führungsrolle legitimiert wäre.
Das
setzt aber natürlich voraus, dass es bei der Europawahl klare
Entscheidungen gibt – eine Koalition, die deutlich von sich
behaupten kann, dass ihr Programm die Mehrheit der europäischen Wähler auf
ihrer Seite hat. Der Vorschlag einer „parlamentarischen Eurogruppe“ steht diesem Ziel im Wege: Was, wenn in der Eurokammer eine andere Koalition die
Mehrheit stellen würde als im Plenum des Parlaments? Sollte der
Währungskommissar dann nur von den Euro-Abgeordneten gewählt
werden? Und was wäre mit dem Kommissionspräsidenten und seiner Richtlinienkompetenz?
Schäubles
Ansatz einer strikteren Kontrolle der nationalen Haushaltspolitiken
durch die Europäische Union hat ohne Zweifel ihre Verdienste –
insbesondere ist es gut, wenn die Bundesregierung endlich erkannt
hat, dass die Aufgabe einer „europäischen Wirtschaftsregierung“
nicht vom Europäischen Rat, sondern nur von der Kommission
übernommen werden kann. Seine demokratiepolitischen Vorschläge
jedoch sind bestenfalls verworren und würden nicht dazu beitragen,
dass die fiskalpolitischen Vorgaben der europäischen Ebene bei den
Bürgern auf größere Akzeptanz stoßen würden. Wenn sich Ende
dieser Woche die europäischen Staats- und Regierungschefs treffen,
dann werden sie gut daran tun, dieser Frage bei ihren
Reformüberlegungen eine etwas höhere Priorität einzuräumen.
PS: Und das
gemeinsame Budget?
Einen
Punkt übrigens hat Schäuble bei der Vorstellung seiner Ideen
überhaupt nicht erwähnt: die Einführung eines gemeinsamen Budgets
für die Eurozone, das hoch genug sein müsste, um daraus Maßnahmen
zur makroökonomischen Steuerung zu finanzieren. In dem Papier, das
Herman Van Rompuy vor zwei Wochen präsentierte, waren
diese „Mechanismen fiskalischer Solidarität, z.B. durch eine angemessene fiskalische Kapazität“ noch enthalten. Es wäre ein schlechtes
Zeichen, wenn die Bundesregierung sich diesen Plänen jetzt
verweigern würde.
Bild: By Euku (Own work) [GFDL or CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0], via Wikimedia Commons.
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