- Sollen bei Entscheidungen über den Euro die Abgeordneten aus blauen Ländern künftig den Saal verlassen müssen?
Vergangenen Samstag habe
ich hier die Pläne von Ratspräsident Herman Van Rompuy (CD&V/EVP)
kommentiert, der die Eurozone mit einem eigenen Budget ausstatten will, das als automatischer
Stabilisator bei asymmetrischen Wirtschaftsschocks wirken könnte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommen wird, ist seitdem noch
einmal gestiegen: Inzwischen nämlich hat auch der britische
Premierminister David Cameron (Cons./AECR) seine Unterstützung dafür ausgesprochen, dass der EU-Haushalt in ein
allgemeines Budget und einen speziellen Eurozonen-Etat aufgeteilt
wird – und Großbritannien bei Letzterem außen vor bleibt.
Doch wie ich schon letzte
Woche schrieb, wirft ein solches Eurozonenbudget auch neue Fragen der
demokratischen Verantwortung und Kontrolle auf. Es war einer der
größten Erfolge des Lissabon-Vertrags von 2009, dass das
Europäische Parlament dadurch endlich ein Mitbestimmungsrecht über
den gesamten EU-Haushalt erhielt – gemeinsam mit dem Ministerrat,
der zuvor über bestimmte Bereiche allein entscheiden konnte.
Entsprechend problematisch ist es auch, dass die Rettungsfonds EFSF und ESM,
die im Zuge der Finanzkrise geschaffen wurden, allein der Kontrolle
der nationalen Regierungen und Parlamente unterliegen. Für ein neues
Euro zonenbudget, das auch der makroökonomischen Steuerung dienen
soll, gilt dies erst recht: Wirtschafts- und haushaltspolitische
Entscheidungen sind nicht nur eine Frage der Optimierung, sondern auch der Umverteilung und
müssen deshalb parlamentarisch getroffen werden. Doch auch eine
Legitimation allein über die nationalen Parlamente (wie sie de facto
für den ESM vorgesehen ist) genügt nicht, da es für das
demokratische Wechselspiel auch darauf ankommt, eine Opposition zu haben, die Alternativvorschläge präsentieren kann – und zwar eben nicht nur in jedem
Einzelstaat, sondern auf der gemeinsamen, supranationalen Ebene.
Wenn wir für die
Währungsunion also ein gemeinsames Budget haben wollen, benötigen
wir dafür auch ein gemeinsames Parlament. Bislang jedoch sind die
politischen Institutionen der Eurozone nur recht schwach ausgeprägt:
Neben der Europäischen Zentralbank gibt es als Entscheidungsorgan
für die Währungsunion offiziell nur die Eurogruppe,
in der sich die Finanzminister (und bei wichtigen Fragen die Staats-
und Regierungschefs) der Euro-Länder treffen. Das Europäische
Parlament und die Europäische Kommission jedoch sind Organe der
gesamten EU. Je intensiver die Diskussion über ein eigenes
Eurozonenbudget wird, desto dringlicher stellt sich deshalb auch die
Frage nach einer institutionellen Reform: Benötigen wir ein eigenes
Parlament für die Eurozone? Im Wesentlichen gibt es dazu vier
Vorschläge.
Erstens: Ein völlig
neues Parlament
Die
erste Option bestünde darin, das Eurozonenparlament (und vielleicht
eine Eurozonenkommission) als völlig neues Organ einzurichten. Es
wäre zuständig für alle Fragen, die die Eurozone, nicht aber die
Nicht-Euro-Staaten betreffen, und würde von den Bürgern der
Euro-Staaten in einer gemeinsamen Wahl gewählt, die getrennt (aber
vielleicht gleichzeitig) mit der Wahl zum Europäischen Parlament
stattfinden würde.
So
naheliegend dieser Vorschlag jedoch ist, so unpopulär ist er auch.
Insbesondere hat niemand ein Interesse daran, die Diäten hunderter
neuer Vollzeit-Abgeordneter zu finanzieren, die dann doch nur für
den recht schmalen Aufgabenbereich der Währungsunion zuständig
wären. Warum dann nicht gleich auch noch ein Schengen-Parlament (das
Norwegen und Liechtenstein, nicht aber Großbritannien und Irland
umfassen würde)? Ernsthaft wird dieser Plan deshalb von niemandem
verfolgt.
Zweitens: Eine
Parlamentarische Versammlung
Die
zweite Möglichkeit wäre, statt eines genuinen Eurozonenparlaments
eine Parlamentarische Versammlung einzurichten – also eine Kammer,
die sich aus Delegationen der verschiedenen nationalen Parlamente der
Mitgliedstaaten zusammensetzen würde. Ein entsprechendes Modell
vertritt etwa Jean-Claude Piris, ehemaliger Leiter der
Rechtsabteilung des EU-Ratssekretariats, in seinem Buch The Future of Europe. Und auch der frühere deutsche
Außenminister Joschka Fischer (Grüne/EGP) meldete sich vergangenes
Jahr mit einem ähnlichen Vorschlag zu Wort.
Warum
mich diese Idee nicht überzeugt, habe ich in diesem Blog schon damals erklärt: Auch wenn sie in einem
gemeinsamen europäischen Gremium zusammenkommen, sind nationale
Parlamentarier letztlich immer allein dem Publikum ihres eigenen
Landes verpflichtet. Da sie auf nationaler Ebene gewählt werden,
richten sie auch ihr Verhalten in erster Linie an der nationalen
öffentlichen Meinung, nicht an einem europäischen Gemeinwohl aus.
So werden die Abgeordneten eine Partei, die auf nationaler Ebene
regiert, in einer Parlamentarischen Versammlung der Eurozone wohl
kaum ihrer Regierung in die Arme fallen. Möglicherweise würde die
ein oder andere nationale Oppositionspartei hier eine Möglichkeit
zur Profilierung finden – insgesamt aber dürften die Debatten in
der Versammlung gegenüber denjenigen in der Eurogruppe kaum einen
Mehrwert bieten.
Vor
allem aber entfiele bei einer Parlamentarischen Versammlung das
entscheidende Element für die Entstehung einer demokratischen
politischen Öffentlichkeit: die gemeinsame Wahl, bei der die Wähler eine Richtungsentscheidung über zentrale Leitfragen treffen können. Wer mit der Wirtschaftspolitik in der
Eurozone unzufrieden ist, hätte weiterhin nur bei den eigenen
nationalen Parlamentswahlen die Möglichkeit, darauf einzuwirken.
Eine gemeinsame europäische Debatte, bei der die gesamteuropäischen
Parteien europaweit gleichzeitig für ihr jeweiliges Programm werben
würden, fände nicht statt.
Drittens: Eine
Eurogruppe im Europäischen Parlament
Unter
den Regierungen vieler Mitgliedstaaten ist deshalb eine andere,
dritte Option recht beliebt: die Übertragung des Prinzips der
Eurogruppe vom Ministerrat auf das Europäische Parlament. Bei
Abstimmungen, die nur die Währungsunion und nicht den Rest der EU
betreffen, sollen künftig im Europäischen Parlament nur noch jene
Abgeordnete ein Stimmrecht haben, die in Mitgliedstaaten der Eurozone
gewählt worden sind.
Bereits seit Längerem wird diese Idee einer speziellen
innerparlamentarischen Euro-Kammer etwa von Henning Meyer, dem Gründer des Social Europe Journal, vertreten.
Und im September war sie in
etwas verklausulierter Form auch
im Abschlussbericht der sogenannten „Zukunftsgruppe“ zu finden, in dem elf
europäische Außenminister unter Leitung von Guido Westerwelle
(FDP/ELDR) ihre Vorstellungen zur künftigen EU erläuterten.
Doch
auch diese Variante ist bei näherem Hinsehen nicht besonders
überzeugend. Denn anders als die Vertreter der nationalen
Regierungen im Rat sind die Abgeordneten des Europäischen Parlaments
keine Repräsentanten ihrer jeweiligen Nationalstaaten – sondern
nach Art. 14 EU-Vertrag Vertreter der
Unionsbürger.
Unionsbürger aber sind wir alle, unabhängig davon, ob wir aus einem
Land der Eurozone oder einem anderen EU-Staat kommen. Dies schlägt
sich schon jetzt im Europawahlrecht nieder, das jeder Unionsbürger
unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit im Land seines jeweiligen
Wohnsitzes ausüben kann. Und erst recht würde die Unterscheidung
zwischen Eurozonen- und Nicht-Eurozonen-Abgeordneten hinfällig, wenn
es bei der Europawahl endlich transnationale Wahllisten gäbe, wie
sie etwa im Duff-Bericht gefordert wurden (worüber ich im März einiges in diesem Blog geschrieben habe).
Viertens:
Das Parlament der Eurozone ist das Europäische Parlament
Es
ist deshalb wenig überraschend, dass die Pläne einer speziellen
„Euro-Kammer“ unter den Europaabgeordneten selbst auf wenig
Zustimmung stoßen. In einem Papier, das Elmar Brok (CDU/EVP), Guy
Verhofstadt (Open-VLD/ELDR) und Roberto Gaultieri (PD/SPE-nah)
vergangene Woche vorlegten, wurde der Vorschlag jedenfalls klar zurückgewiesen. Stattdessen
sprachen sich die drei Europaabgeordneten, die im Namen des
Parlaments mit Van Rompuy und den Staats- und Regierungschefs über
mögliche Vertragsreformen verhandeln (und übrigens allesamt aus
Mitgliedstaaten der Eurozone stammen), für eine andere,
bemerkenswert einfache Lösung aus. Über Angelegenheiten der
Währungsunion soll ihnen zufolge wie über alle anderen
Angelegenheiten der EU das Europäische Parlament als Ganzes
entscheiden – denn:
Der Euro ist die Währung der Europäischen Union und das Europäische Parlament ist das Parlament der Europäischen Union. Das Europäische Parlament ist deshalb das Parlament des Euro.
Und
tatsächlich: Liest man die Bestimmungen zur Wirtschafts- und Währungspolitik im AEU-Vertrag, so kann
kein Zweifel daran bestehen, dass der Euro nicht nur die Währung
eines Teils der Mitgliedstaaten, sondern der gesamten EU sein soll.
Mit Ausnahme von Großbritannien und Dänemark (denen in Protokollen
zum Vertrag besondere Opt-out-Regelungen zugestanden wurden) haben
sich alle Mitgliedstaaten zur Einführung der gemeinsamen Währung
verpflichtet, sobald die dafür notwendige wirtschaftliche Konvergenz
erreicht wurde. Die Länder mit einer eigenen nationalen Währung
sind dem Vertrag zufolge „Mitgliedstaaten, für die eine
Ausnahmeregelung gilt“ – und die sie betreffenden Regelungen
befinden sich in einem Kapitel mit der Überschrift „Übergangsbestimmungen“.
Dagegen
ließe sich natürlich einwenden, dass sich in der Krise schon so
manche Regelung der EU-Verträge als hinfällig oder
überholungsbedürftig erwiesen hat. Und hat nicht gerade erst der
ungarische Regierungschef Viktor Orbán (Fidesz/EVP) angekündigt,
dass sein Land bis auf Weiteres nicht den „Fehler“ machen wolle, den Euro einzuführen? Steuert die
EU also nicht in der Realität auf eine dauerhafte Spaltung zwischen
der Eurozone und dem Rest zu?
Offen
gesagt: Ich denke, nein. Selbstverständlich hält sich bei den nord-
und osteuropäischen Staaten die Begeisterung für einen
Euro-Beitritt im Augenblick angesichts der Unwägbarkeiten der Krise
in Grenzen; und natürlich nutzen das europaskeptische Populisten wie
Orbán, um den ein oder anderen öffentlichkeitswirksamen Punkt zu
setzen. Doch selbst der ungarische Premierminister spricht lediglich
davon, dass sein Land „noch nicht reif“ für einen Euro-Beitritt
sei. Und betrachtet man die zugrunde liegende wirtschaftliche Logik
aus der Perspektive der Theorie optimaler Währungsräume, so zeigt
sich zwar einerseits, dass derzeit die Eurozone wohl etwas zu groß für einen
optimalen Währungsraum ist (nicht zuletzt aufgrund ihres fehlenden
fiskalpolitischen Unterbaus, aber dem soll unter anderem das gemeinsame Budget ja
gerade abhelfen!). Andererseits aber sind aus ökonomischer Sicht die einzelnen Nationalstaaten in Europa für eine eigene Währung recht offensichtlich zu
klein.
Sobald sich also die Wogen der derzeitigen Krise geglättet haben,
werden die allermeisten Länder schon aus wirtschaftlichem
Eigeninteresse bald den Euro als Währung einführen wollen.
Wenn
aber mittelfristig die Europäische Union und die Eurozone ohnehin zusammenfallen werden, dann ist es nur sinnvoll, die
Hoheit über das Eurozonen-Budget schon jetzt dem Europäischen
Parlament zu überlassen, das besser als jede andere Institution den Prinzipien einer supranationalen Demokratie entspricht. Der Ministerrat mag als Staatenvertretung
in beliebige Untergruppen teilbar sein, das Parlament als Vertretung
der Unionsbürger ist es nicht. Und Unionsbürger sind nun einmal
auch Briten und Ungarn – selbst wenn für ihre Länder in der
Währungspolitik derzeit (noch) „eine Ausnahmeregelung gilt“.
Bild: By Glentamara (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons.
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