Kaum aus der Sommerpause
zurückgekehrt, befinden sich die Euro-Retter schon wieder mitten im
Chaos. Zwar verhalten sich die Märkte zurzeit (noch) erstaunlich
gelassen, dafür aber tat sich eine Hand voll Populisten in den
deutschen Regierungsparteien FDP (ELDR) und CSU (EVP) mit Forderungen
nach einem raschen griechischen Euro-Austritt hervor. Nachdem
FDP-Parteichef und Vizekanzler Philipp Rösler sich als „mehr als skeptisch“ gegenüber einem Verbleib des Landes in der
Währungsunion geäußert hatte, legte CSU-Generalsekretär Alexander
Dobrindt an diesem Wochenende nach und schlug 2013 als
Austrittsdatum vor.
Das Perfide an solchen
Äußerungen ist, dass sie selbsterfüllend wirken können:
Griechenland muss im Rahmen der EU-verordneten Sparmaßnahmen derzeit
umfangreiche Privatisierungsmaßnahmen durchführen und sucht deshalb
händeringend nach Investoren. Doch warum sollte jemand jetzt Euros
in Griechenland investieren, wenn er dafür in wenigen Monaten
vielleicht nur noch Drachmen zurückbekommt? Wenn aber die Investoren
ausbleiben, wird auch die Privatisierung nicht die erhofften Gewinne
bringen – wodurch Griechenland seine Sparvorgaben nicht erfüllen
könnte und die übrigen Euro-Staaten einen Grund hätten, die
Auszahlung weiterer Hilfskredite zu verweigern. Ob die Rettung des
Landes erfolgreich ist, hängt wesentlich von den kollektiven
Erwartungen ab, die von Schwadroneuren wie Rösler und Dobrindt mit
geprägt werden.
Da das auch die
seriöseren Mitglieder der Bundesregierung wissen, bemühen sich
Politiker aller Koalitionsparteien nun um Schadensbegrenzung.
Besonders hilfreich wäre dabei natürlich ein eindeutiges Bekenntnis
von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU/EVP), in dem sie garantiert,
alles Notwendige zu tun, um einen griechischen Staatsbankrott und
Euro-Austritt zu verhindern. Dies wäre – für Griechenland und für den Rest der Eurozone – mit einiger Sicherheit die
finanziell beste Lösung. Für einen solch entschlossenen Schritt
fehlt Merkel jedoch der politische Mut, und wahrscheinlich auch der
politische Wille. Darum haben sie, ihr Finanzminister Wolfgang
Schäuble (CDU/EVP) und ihr Außenminister Guido Westerwelle
(FDP/ELDR) sich auf eine andere Strategie verlegt: Jegliche
Entscheidung über den Verbleib Griechenlands in der Währungsunion
soll nun von dem Bericht der „Troika“ abhängen, die
derzeit überprüft, welche Fortschritte Griechenland mit seinen
Sparmaßnahmen bisher gemacht hat. Und nun wird es interessant
Die Aufgaben der
Troika
Die „Troika“ ist wohl
eines der skurrilsten Gebilde, die in der Euro-Krise entstanden sind.
Sie setzt sich zusammen aus der Europäischen Kommission, der
Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds –
also drei sehr unterschiedlichen Institutionen, von denen lediglich die Kommission demokratisch legitimiert ist, während die beiden
anderen eigentlich nur ein technokratisches, auf währungspolitische
Fragen begrenztes Mandat besitzen. Der IWF ist noch nicht einmal ein
EU-Organ und nur deshalb beteiligt, weil er selbst im Rahmen des
Rettungsprogramms ein wichtiger Kreditgeber Griechenlands ist. Die
EZB schließlich hat eine völlig eigene Rolle, schon da sie
(wenigstens potenziell) die Krise auch im Alleingang beenden könnte.
Aufgabe der Troika ist
es, die Reformfortschritte Griechenlands und anderer Empängerstaaten
von Rettungskrediten zu beobachten. Da die Finanzhilfen nur gegen
bestimmte Konditionen, vor allem Spar- und Privatisierungsmaßnahmen
sowie Strukturreformen, erteilt wurden, dient die Troika in erster
Linie einer Überwachungsfunktion. Hierfür besucht sie regelmäßig die betroffenen Länder, schreibt Berichte und gibt Empfehlungen an
die Kreditgeber, also die übrigen Euro-Mitgliedstaaten (und den IWF,
der aber, wie gesagt, selbst mit von der Partie ist). In ihrem Griechenland-Bericht von Oktober 2011 etwa
stellte sie fest, dass das Land viele, aber nicht alle Zusagen
erfüllt hatte und dass die wirtschaftliche Situation aufgrund der
Rezession schlimmer als erwartet war. Außerdem empfahl sie, die nächste
Tranche der vereinbarten Kredite freizugeben.
Auflösung
der politischen Verantwortung
Das
Problematische an dieser Situation ist das Auseinanderklaffen von
faktischem Einfluss und formeller Entscheidung. Da die
Rettungskredite formell nicht von der EU, sondern von den einzelnen
Euro-Mitgliedstaaten stammen, kann der Beschluss über ihre
Verlängerung jeweils nur von den nationalen Parlamenten getroffen
werden. Da es jedoch sinnlos wäre, wenn jedes Parlament hier einzeln
agieren würde, haben die nationalen Abgeordneten die Entscheidung
faktisch an ihre Regierungen im Europäischen Rat delegiert. Doch
auch diesen fehlt noch die Möglichkeit, sich ein eigenes genaues
Bild von der Lage in Griechenland zu machen, sodass sie sich auf die
Empfehlungen der Troika verlassen müssen.
Damit
aber löst sich die Verantwortung im politischen System auf: Unter
der Behauptung, die Interessen seiner Wähler schützen zu wollen,
kann jeder nationale Hinterbänkler damit drohen, alle Entscheidungen
zum Kippen zu bringen. Umgekehrt kann sich selbst die Chefin der
mächtigsten europäischen Regierung um eine eindeutige
Positionierung drücken – und auch der Kommission fehlt die
politische Macht, offen zu erklären, welche Lösung sie anstrebt.
Letztlich entfällt die Chance einer politischen Willensbildung: Wie
auch immer die Entscheidung am Ende aussieht, es wird den Wählern
kaum möglich sein, sie einem bestimmten politischen Akteur
zuzuschreiben.
Auch
die Troika drückt sich
Nun
ließe sich einwenden, dass die Troika mit der Überwachung
vereinbarter Maßnahmen ja nur einer rein „technischen“ Aufgabe
nachgeht – wie ein Sachverständiger, der vor Gericht ein Gutachten
abgibt, aber kein Urteil fällt. Doch dieser Vergleich hinkt, denn
die Einschätzung der griechischen Situation ist immer auch von
wirtschaftspolitischen Überzeugungen abhängig. Zwar ist es
offensichtlich, dass die bisherigen Sparmaßnahmen nicht gefruchtet
haben. Aber liegt das daran, dass Griechenland noch nicht genug getan
hat? Oder ist an der ausbleibenden Haushaltskonsolidierung vielmehr
das dramatische Schrumpfen der griechischen Wirtschaft schuld, sodass
die griechische Regierung nur vernünftig und verantwortungsvoll
handelte, wenn sie die Austeritätspolitik nicht noch weiter trieb?
Diese
Einschätzung ist eine politische Frage und
kann nicht allein von Experten vorgenommen werden. Liest man die
Berichte und sonstigen Stellungnahmen der Troika, dann entsteht der
Eindruck, dass auch deren Mitglieder sich dieses Problems bewusst
sind. Bislang jedenfalls bemühten sich Kommission, EZB und IWF,
möglichst allen Seiten gerecht zu werden: So wurden die Fortschritte
Griechenlands ebenso betont wie die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen
– und die Freigabe weiterer Kredite immer dann empfohlen, wenn im
Europäischen Rat ohnehin der politische Wille dazu vorhanden war.
Diesmal aber ist die Sache anders. Durch die unruhige Stimmung in
Deutschland kommt dem Troika-Bericht inzwischen echte Bedeutung zu:
Kritisiert er die griechische Regierung allzu sehr, so hätten die
Hardliner den notwendigen Vorwand, das Land durch die Verweigerung
neuer Kredite in den Bankrott zu treiben. Ist er hingegen zu
großzügig, so sähen sich Kommission und EZB ziemlich sicher erneut
populistischen Angriffen ausgesetzt, von dem Druck der deutschen
Bundesregierung ganz abgesehen.
Die
Troika reagierte deshalb auf ihre neue Macht in bezeichnender Weise:
Nachdem sie schon Anfang August die Veröffentlichung ihres jüngsten
Berichts verschoben hatte,
kündigte sie nun eine weitere Verzögerung bis
Ende September oder Anfang Oktober an. Der Europäische Rat wird
deshalb frühestens auf seinem Gipfel am 8. Oktober über dessen
Ergebnisse sprechen können – anderthalb Monate also, in denen noch
einiges passieren kann.
Die
Entscheidung fällt nicht in Griechenland
Denn
eigentlich, so scheint mir, wird die Frage der griechischen Zukunft
innerhalb oder außerhalb der Eurozone ohnehin nicht von den
Sparbemühungen des Landes selbst abhängig sein. Aus rein
ökonomischer Perspektive ist es ziemlich offensichtlich, dass ein
griechischer Austritt aus der Währungsunion alle Seiten nur teurer
zu stehen käme – wenn es deshalb überhaupt dazu kommen sollte,
dann allein aus politischen Gründen.
Angesichts der Stimmung in großen Teilen der deutschen
Regierungsparteien scheint es mir derzeit allerdings keineswegs mehr
ausgeschlossen, dass sich auch Angela Merkel zuletzt auf die Seite
derer schlägt, die „ein Exempel statuieren“ wollen. Und ohne die
Unterstützung der Bundesregierung wird es den restlichen
Euro-Mitgliedstaaten wohl nicht gelingen, Griechenland vor dem
Staatsbankrott zu bewahren.
Die
schlechteste Nachricht der letzten Tage dürfte deshalb gewesen sein,
dass im deutschen Finanzministerium inzwischen offiziell eine Arbeitsgruppe daran arbeitet, Szenarien für einen griechischen Euro-Austritt vorzubereiten.
Anscheinend ist die Bundesregierung inzwischen bereit, einen gewissen
wirtschaftlichen Preis dafür zu bezahlen, um die Röslers und
Dobrindts in der Koalition ruhigzustellen – jedenfalls solange dieser Preis einigermaßen kalkulierbar bleibt. Das Hauptrisiko einer
solchen Strategie besteht jedoch in der Ansteckungsgefahr für Länder
wie Italien, Spanien und Portugal: Wie erfolgreich sich ein
Staat aus der Schuldenkrise befreien kann, ist, siehe oben, nicht
zuletzt von kollektiven Erwartungen abhängig, und wenn die EU mit
Griechenland einmal ein Land hat fallen lassen, werden die
Investoren natürlich fürchten, dass sie das gegebenenfalls auch ein
zweites Mal täte. Die Folgen einer massiven Kapitalflucht aus Italien oder Spanien aber wären unkalkulierbar. Selbst wenn Merkel dazu bereit ist, die Kosten eines griechischen Austritts aus der Währungsunion auf sich zu nehmen, wird sie diejenigen eines Staatsbankrotts dieser beiden Länder kaum schultern wollen. Entsprechend hat die
Grexit-Arbeitsgruppe im deutschen Finanzministerium vor allem die
Aufgabe, zu „überlegen, wie sich
ein
Dominoeffekt auf die anderen Euro-Staaten verhindern lässt“.
Ob
Griechenland gerettet wird oder nicht, hängt davon ab, wie deutsche
Beamte die wirtschaftliche Lage in Italien einschätzen. Kein Wunder,
dass die Troika sich erst einmal noch etwas mehr Zeit ausbedungen hat.
Bild: By ChickenFalls (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons.
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