- Dass Deutschland Europa so schlecht führt, liegt nicht an Angela Merkel persönlich. Aber sie könnte wenigstens versuchen, das zu ändern.
Am
vergangenen 6. Februar hielt der Präsident des Europäischen Rates,
Herman van Rompuy, in Berlin eine Rede, die in
einer leidenschaftlichen Verteidigung der heutigen
Politikergeneration gipfelte. Es sei ungerecht, den Ratsmitgliedern vorzuwerfen, sie würden im
Vergleich zu ihren Vorgängern zu wenig Entschlossenheit und
Führungsstärke zeigen. Von den Staats- und Regierungschefs, die ihn
im November 2009 ernannten, befinde sich gut zwei Jahre später kaum
noch die Hälfte im Amt: Die übrigen seien abgewählt worden oder
hätten zurücktreten müssen, und viele von ihnen nur deshalb, weil
sie in der Krise gemeinsame europäische Beschlüsse gegen den Druck
der nationalen Öffentlichkeit verteidigt hätten.
Nun ist die deutsche Bundesregierung,
Van Rompuy hin oder her, offenkundig keine von denen, die für Europa ihre
nationale Macht riskieren würden. Im Gegenteil: Hierzulande ist es
die Opposition, die darauf drängt, in der Krise mehr europäische
Solidarität zu üben, während die Regierung eher zurückhaltend
agiert. Sie befindet sich damit in Einklang mit den deutschen
Meinungsumfragen, wo die Rettungsmilliarden für Griechenland oder
Portugal regelmäßig auf Ablehnung stoßen. In der Öffentlichkeit
vieler Krisenländer ist Angela Merkel dafür inzwischen zur
Hassfigur geworden. Aber kann man ihr die Scheu vor der eigenen
Bevölkerung eigentlich zum Vorwurf machen? Macht sie das im
Vergleich zu ihren Amtsvorgängern wirklich zu einer schlechteren
Politikerin? Wie viel Europäismus muss, wie viel darf man überhaupt
von einer Regierung verlangen, die letztlich doch ihren nationalen
Wählern gegenüber verantwortlich ist?
Die Verantwortung für die EU als Ganzes gehört
ins Europaparlament
Tatsächlich hat die Forderung nach
europapolitischer Führung oft einen etwas zweifelhaften
Beigeschmack. Es ist ja gerade der Sinn der Demokratie, die Regierung
an den Willen ihrer Wählerschaft zu binden. Natürlich kann und soll
sie auch versuchen, die Bevölkerung von dem zu überzeugen, was sie
langfristig für richtig hält – bei Verhandlungen mit anderen
europäischen Mitgliedstaaten muss sie aber notwendigerweise die
Interessen ihrer Wähler vertreten, nicht diejenigen der EU als
Ganzes. Wenn es um die Frage geht, wie die wirtschaftlichen Kosten
der Eurokrise verteilt werden, kann man es der Bundesregierung
deshalb nicht übelnehmen, dass sie eher bereit ist, eine griechische
Rezession als ein aus deutschen Steuergeldern finanziertes
Konjunkturpaket in Kauf zu nehmen. Es sind die Mechanismen der
nationalen Demokratie selbst, die der Solidarität zwischen Staaten
eine Grenze setzen.
Gerade aus diesem Grund ist es
sinnvoll, dass die Verantwortung für das europäische Gemeinwohl bei
den supranationalen Institutionen liegt. Die Überwindung der
Eurokrise und die Stabilisierung der Währungsunion sind vor allem
Fragen der europäischen Innen-, nicht der nationalen Außenpolitik.
Ihre gerechte Ausgestaltung betrifft die Bevölkerung der EU als
Ganzes und kann deshalb nicht Aufgabe einzelner Nationalstaaten sein.
Mit dem Europaparlament steht eine demokratisch legitimierte
Institution zur Übernahme dieser Funktion bereit: Wie viel
Solidarität in der Krise zwischen reichen und armen Europäern geübt
wird, sollte von den europäischen Parteien entschieden werden, die
sich dafür bei den Europawahlen vor der europäischen Bevölkerung
insgesamt zu rechtfertigen haben.
Eine wirkliche Leistung wäre es, den
Supranationalismus zu stärken
Unglücklicherweise haben die
supranationalen Organe jedoch nicht die politischen Mittel, um diese
Aufgabe zu erfüllen. Die EU kann keine eigenen Steuern erheben, ihr
Budget ist viel zu klein, als dass sich daraus nennenswerte
Konjunkturmaßnahmen finanzieren ließen, und die Ausgestaltung der
Sozialsysteme fällt fast vollständig in die Kompetenz der
Mitgliedstaaten. Diese fehlenden unionseigenen Ressourcen waren dann
auch der Grund, weshalb die Krisenbewältigung letztlich dem
Europäischen Rat überlassen blieb – und damit eben doch den
nationalen Regierungen, und besonders der deutschen als der
mächtigsten davon.
Der Europäische Rat aber tat nichts,
um diesem Umstand abzuhelfen. Statt eine Vertragsreform in die Wege
zu leiten, durch die den supranationalen Organen die nötigen
Befugnisse übertragen würden, setzte man auf
Intergouvernementalismus. Zwar wurde die haushaltspolitische
Souveränität der Mitgliedstaaten eingeschränkt, doch weder die
griechischen Notkredite noch die Rettungsschirme EFSF und ESM noch der Fiskalpakt gingen mit
einer Stärkung des Europäischen Parlaments einher. Die neue
„Wirtschaftsregierung“ der Eurozone sollen nach den Vorstellungen
der Bundesregierung die Staats- und Regierungschefs bilden, und auch
die Kommission bleibt trotz einiger neuer Zuständigkeiten im
Wesentlichen eine Erfüllungsgehilfin für deren Beschlüsse.
Dieser intergouvernementale Rahmen aber
wird das Problem einer gerechten Lastenteilung bei der
Krisenbewältigung nicht lösen können und gefährdet so die
Legitimität der EU insgesamt. Hier ist es deshalb, wo die
Bundesregierung europapolitische Führungsstärke zeigen müsste: Sie
müsste die Leistung vollbringen, die Verantwortung für die
makroökonomische Steuerung der Währungsunion aus den eigenen Händen
in die der Kommission und des Europäischen Parlaments zu übertragen. Dass
sie sich dem verweigert, unterscheidet Angela Merkel von ihren
Vorgängern wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl, die die
supranationale Integration als Eckstein der deutschen Europapolitik
ernst nahmen.
Dieser Artikel ist heute leicht gekürzt auch im Blog „Deutschlands Agenda“ der Atlantischen Initiative erschienen.
Bild: European People's Party [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons.
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